Kolja Reichert: „Kann ich das auch? – 50 Fragen an die Kunst“

Die Kunst, über Kunst zu schreiben

05:12 Minuten
Buchcover zu "Kann ich das auch? – 50 Fragen an die Kunst" von Kolja Reichert.
© Klett-Cotta

Kolja Reichert

Kann ich das auch? – 50 Fragen an die KunstKlett-Cotta Verlag, Stuttgart 2022

267 Seiten

20,00 Euro

Von Thorsten Jantschek |
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Was sie schon immer über Kunst wissen wollten, aber nie zu fragen wagten: Kolja Reichert gibt Auskunft und beantwortet "50 Fragen zur Kunst" und räumt mit typischen Vorurteilen auf. Kleiner Spoiler: Nein, sie liegt nicht im Auge des Betrachters.
Achtung, Achtung! Mit diesem Buch verlassen Sie den elitären Sektor! – Jenen Sektor, den die Welt der Kunst und das Reden über sie sehr oft umgibt. Die Schwellenangst, die selbst geübte Kunstweltbewohner empfinden, wenn sie beim Betreten einer Kunstgalerie den einen „noli me tangere – berühre mich nicht“ Blick eines Mitarbeiters empfangen, die heiligen Hallen eines Kunstmuseums betreten oder einen Katalogtext in der Fremdsprache „Kuratorisch“ versuchen zu verstehen.
Kolja Reichert – jahrelang Kunstjournalist und seit Kurzem an der Bundeskunsthalle in Bonn tätig – kennt dies alles, und setzt sich einfach darüber hinweg. Frei nach Woody Allen geht es um das, was sie schon immer über Kunst wissen wollten, aber nie zu fragen wagten. 50 Fragen stellt der Autor sich, von „Wozu ist Kunst gut?“ über „Wie verrückt ist der Kunstmarkt?“ bis hin zu „Ich verstehe nichts. Liegt das an mir?“

 Wie ein anregendes Gespräch

Den Leser und die Leserin verwickelt Reichert in ein überaus anregendes Gespräch. Hier wird man nicht belehrt, sondern in eine Welt verstrickt, für die es keine Regeln zu geben scheint, die aber voller Rituale und Marotten ist. Reichert ist dabei ein so hingebungsvoller wie realistischer Kunstweltbewohner. Klar kann für ihn Kunst nicht die Welt verändern (das tun ja schon Kriege, Naturkatastrophen oder Erfindungen wie die Dampfmaschine oder das Internet), aber Kunst holt unseren Blick auf die Welt heraus aus den immer gleichen Gewohnheiten, lenkt ihn in neue Richtungen, hat – wenn man es etwas pathetisch formuliert: welterschließende Kraft.  
Manchmal sind Reicherts Antworten so einfach wie die Fragen selbst. „Was ist in der Kunst alles erlaubt?“ – Antwort: „In der Kunst ist prinzipiell alles erlaubt, womit man in einer Demokratie durchkommt.“ Das ist aber ganz und gar nicht trivial in einer Zeit, in der darüber diskutiert wird, Kunstwerke ob empfundener moralischer Zumutungen abzuhängen. Anderes Beispiel: „Ist nicht schon alles gemacht?“ – Antwort auf der sonst leeren Seite nur das Wort „Nein“.

"Liegt Kunst im Auge des Betrachters?"

Mitunter weist der Autor auch schon mal eine Frage zurück: „Das ist einer der dümmsten Sprüche die ich kenne“, schreibt Reichert bezogen auf die Frage: „Liegt Kunst im Auge des Betrachters?“ Dennoch kann er aus diesem „dümmsten“ Spruch Funken schlagen. Zum einen durch ein ganz schlankes, aber schlagendes Argument: Wenn Kunst im Auge des Betrachters läge, wäre es völlig egal, welches Objekt dieser Betrachter vor sich hat. Das ist aber ganz offensichtlich nicht der Fall.
Zum anderen schließt sich an den Befund eine folgenreiche Einsicht an: „Kunst“, so Reichert, „ist nicht objektiv. Aber sie ist auch nicht subjektiv. Ein Werk besteht aus Myriaden von Details, und auf jedes dieser Details kommt es an.“ Das ist so etwa wie eine ästhetische Unschärferelation, die Immanuel Kant einmal – bezogen auf das ästhetische Urteil – als subjektive Allgemeinheit gekennzeichnet hatte.
Genau das bewahrt Kunst sogar vor den Zumutungen einer Gegenwart, die fordert, Kunst müsse sich an den Ansprüchen der Betrachterinnen und Betrachter messen lassen. „Man kann mal dies, mal das in sie hineinlesen. Aber die Bilder behalten das letzte Wort. Das ist ja das Unheimliche“, so Reichert bei einer ganz anderen Frage.

Funkelnde Geistesblitze

Am besten ist das Buch nämlich dort, wo man die konkrete Frage aus dem Blick verliert und jäh von einem funkelnden Geistesblitz getroffen wird. Etwa „Museen sind die Zentralbanken ästhetischer Werte. Je mehr Menschen verstehen, wie diese Werte entstehen, desto besser.“ Oder „Kunst ist Philosophie mit Objekten. Sie argumentiert mit Dingen statt mit Worten (und wenn sie dafür Worte benutzt, behandelt sie diese als Objekte).“
Den Sinn – so kann man nach der Lektüre dieses Buches ohne Zweifel sagen – für diese Philosophie mit Objekten gilt es zu verteidigen. „Wenn“, so Reichert, „die Sprache dafür verloren geht, welche Unterschiede Kunstwerke in die Welt bringen, kennt auch die Politik keine anderen Kriterien mehr für den Erfolg als Besucherzahlen.“
Wer Kunst – und so könnte man ergänzen – und Kultur allein an Besucherzahlen misst, nimmt in Kauf, dass „die ganze Gesellschaft die Fähigkeit zur kritischen Selbstbefragung und zur wirklichen, nämlich kulturellen Innovation“ verliert. Reicherts Buch ist das beste Mittel dagegen.
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