Kolja Mensing über seinen Roman "Fels"

Wie Grauen und Glück im Zweiten Weltkrieg zusammen fallen

Frauen beim sogenannten "Reichsarbeitsdienst" während des Nationalsozialismus, hier im Jahr 1940 in einem Lager bei Magdeburg
Frauen beim sogenannten "Reichsarbeitsdienst" während des NS-Diktatur – auch Kolja Mensings Großmutter war Teil dieser Erziehungsmaßnahme zur NS-Zeit. © picture alliance / Günter Kurt Dierlich
Kolja Mensing im Gespräch mit Andrea Gerk · 03.09.2018
Ausgehend vom Schicksal des Euthanasie-Opfers Albert Fels, führt Kolja Mensing in seinem Familienroman "Fels" grausame NS-Geschichte und private Erinnerungen seiner Großmutter zusammen. Ihr damaliges Lieblingslied bringt ihn zu einer überraschenden Erkenntnis.
"Und dann weiß man ja, was passiert ist." An diesen Satz seiner Großmutter erinnert sich Kolja Mensing, Buchautor und Literaturredakteur beim Deutschlandfunk Kultur, sehr gut. Er fällt im Zuge ihrer Erinnerungen an Albert Fels, einen Juden, der während des Zweiten Weltkrieges dem Nachbarn ihrer Familie als Knecht zur Hand ging. Ein schwerer Trinker, der später ins Delirium gefallen sei, so die Großmutter, und daher Anfang des Zweiten Weltkrieges von einem Tag auf den anderen Tag in eine Landesheil- und Pflegeanstalt eingeliefert worden und nie ins Dorf zurückgekehrt sei.
Porträt des Literaturredakteurs und Buchautors Kolja Mensing
Literaturredakteur und Buchautor Kolja Mensing© Deutschlandradio - Bettina Straub
Für Kolja Mensing, der mit seiner Großmutter in fortwährenden Gesprächen über ihre Erlebnisse während des Krieges war, wird dieser Mann damit schlagartig von einer Neben- zur Hauptfigur seines nun veröffentlichten autobiografischen Familienromans "Fels". Denn wo bis dahin vor allem die romantische Verlobung zwischen der Großmutter, damals 17-jährig, und seinem Großvater im Zentrum der Erzählung stand, klang nun etwas ganz anderes an. "Man weiß, was damals passierte, da schwang natürlich mit: Euthanasie. Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland psychisch kranke Menschen systematisch ermordet, um –im Jargon der Nationalsozialisten: 'Rassepflege' – zu betreiben", so Kolja Mensing. "Ich habe dann versucht, mehr über diesen Fels rauszufinden."

Ein fürchterliches Lied – das auch vom Aufbruch erzählt

Was ihm am meisten überrascht und berührt habe, war, dass das Grauen der 30er- und 40er-Jahre auf der einen und die romantische Liebesgeschichte seiner Großeltern auf der anderen Seite sehr wohl zusammengehörten.
"Es gab einen Moment, da erzählte sie mir, was ihr Lieblingslied gewesen war, als sie ein Teenager war. Und es war 'Es zittern die morschen Knochen der Welt', das ist ein wirklich fürchterliches Lied, wo erzählt wird, dass die alte Welt in Stücke zerfällt und eine neue Welt entsteht", so Kolja Mensing. Seine Großmutter habe jeden Morgen beim Reichsarbeitsdienst gestanden in ihrer blauen Uniform, den Arm zum Hitlergruß erhoben und mit 50 anderen Mädchen dieses Lied gesungen. Er habe sich diesen Text dann genauer angeschaut – und eine überraschende Erkenntnis gehabt.
"Dieses Lied ist natürlich auch ein Lied, was vom Aufbruch erzählt. Die alte Welt, die Welt der Eltern, die lässt man hinter sich. Also diese Aufbruchsstimmung, die man haben, kann, wenn man zum ersten Mal die ganz große Liebe erlebt, die spiegelt sich für sie in diesem Lied. Und das fand ich so interessant, zu merken, ihre Gefühle, diese romantischen Gefühle, die haben einerseits mit dem Nationalsozialismus zu tun, und andererseits mit der Liebe zu meinem Großvater."

Kolja Mensing: Fels
Verbrecher Verlag, Berlin 2018
176 Seiten, 16 Euro, auch als E-Book erhältlich

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