Kölner Karneval in Puppengröße

Und der Zoch kütt doch!

07:42 Minuten
12.10.2018, Nordrhein-Westfalen, Köln: 2 Stockpuppen und ihre Puppenspieler posieren am 12.10.2018 bei der Vorstellung des Mottoschals der Kölner Karnevalsession 2019 „Uns Sproch es Heimat” (dt: unsere Sprache ist Heimat) im Hänneschen-Theater - offiziell Puppenspiele der Stadt Köln - ein traditionelles Stockpuppentheater. Foto: Horst Galuschka Foto: Horst Galuschka/dpa/Horst Galuschka dpa
Karneval en miniature: Dieses Jahr wird es den Rosenmontagszug nur im Theater geben. © picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Von Moritz Küpper · 04.02.2021
Audio herunterladen
In einer Woche ist Weiberfastnacht. Weil auch 2021 Corona den Narren einen Strich durch die Rechnung macht, hat das Festkomitee des Kölner Karnevals den Rosenmontagszug für die TV-Übertragung kurzerhand geschrumpft – und in ein Puppentheater verlegt.
Das Bild wackelt ein wenig, es ist wie momentan fast überall.
"Ja, erst einmal ein herzliches ‚Hallo!‘ hier aus meinem kleinen Büro an der Theke." Der Sitzungspräsident, ein sogenannter Büttenredner im Kölner Karneval, sitzt alleine in einer Kneipe und spricht in eine Kamera.
"Und natürlich ein ganz besonderer Gruß an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom virtuellen Vorstellabend. Ich persönlich finde das toll, dass die Kajuja auch in diesem Jahr den Künstlern die Möglichkeit gibt, sich auf diese Art und Weise einem größeren Publikum vorstellen zu können."
Das Land ist im Lockdown, Geschäfte geschlossen, Schulen dicht. Überall wird sich virtuell versucht – auch im Karneval. "Wir machen das heute alles ein bisschen anders", sagt der Sitzungspräsident. "Wir machen es uns anders nett. Sie sind nicht hier, ist ja klar warum, geht nicht, sondern sie gucken an irgendeinem Gerät zu Hause."

Spezialist fürs Feiern – und für den Tod

Vorproduzierte Videos, gestreamte Sitzungen, virtueller Korpsappell – vieles professionell, manchmal ruckelt es, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
"Man kann fast sagen – na, ich würde jetzt nicht sagen, dass der Karneval systemrelevant ist – aber es ist total wichtig, dass die Menschen eine positive Grundstimmung erfahren", sagt Christoph Kuckelkorn.
Zugleiter Holger Kirsch steht vor der Kulisse für den Rosenmontagszug 2021. Der Rosenmontagszug findet dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie nur als Inszenierung des Kölner Hänneschentheaters statt.
Corona trotzen: Rosenmontagszugleiter Holger Kirsch inspiziert die Kulisse für den Miniaturumzug.© picture alliance /dpa / Henning Kaiser
Er steht in der Veranstaltungshalle des Festkomitees Kölner Karneval. Es ist früher Vormittag, still liegt die Halle da. "Der Karneval zeichnet sich ja im Normalfall dadurch aus, dass man ein gemeinsames, großes Erlebnis hat. Und das geht jetzt hier nicht. Das jetzt aber digital dann doch zu vermitteln, das verbindet die Menschen, die im Augenblick ja gar keine Gemeinsamkeit haben."

Kuckelkorn, 56 Jahre alt, ist seit 2017 Präsident des Festkomitees. Als Kölns oberster Karnevalist ist er Experte in Sachen Frohsinn. Aber: Kuckelkorn ist auch ein Spezialist für den Tod und führt in fünfter Generation ein Bestattungsunternehmen.
"Die Pandemie hat den Tod zu den Menschen gebracht. Plötzlich sind Sterbefallzahlen, täglich aktualisiert, in den Nachrichten. Man hört riesige Zahlen aus anderen Ländern. Ja, für uns ist das ein bisschen Alltag, wir sind mit dem Tod immer konfrontiert als Bestatter. Wir stellen fest, dass die Menschen, die mit dem Tod normalerweise nicht so konfrontiert sind, diese Zahlen wirklich, dass sie den wehtun, dass das also wirklich was mit den Menschen macht. Dass Tod plötzlich präsent ist."

Es gib jeden Tag nur einmal

In Kuckelkorns Leben ist das anders: Von klein auf ist er im Karneval aktiv, auch heute – zum Termin im Karnevalsmuseum – ist er mit einem Bestattungswagen gekommen. Es kann vorkommen, dass er an ein und demselben Tag die Eltern eines gestorbenen Kindes betreut, eine Bestattung auf dem Melatenfriedhof organisiert und dann den schwarzen Anzug mit dem Kostüm tauscht. Makaber?

Er kennt es nicht anders, weiß daher auch um die Kraft des Karnevals – auch und gerade in diesen Zeiten: "Insofern sind wir auch sehr glücklich, dass wir natürlich auf digitaler Art und Weise und jetzt eben über solche Hilfsmittel wie ein Puppentheater, aber trotzdem den Karneval in die Herzen der Menschen bringen und damit den Menschen auch ein bisschen Zuversicht geben und Lebensmut vermitteln, alles das, was ja im Augenblick so immens wichtig ist."
"Es gibt jeden Tag nur einmal", hat er durch seine Arbeit gelernt – und das gilt damit auch für den diesjährigen Rosenmontag.
Kuckelkorn zeigt stolz auf die Längsseite der Halle – und wechselt zugleich in den Tonfall eines Kommentators: "Diese Veranstaltungshalle ist jetzt, in diesen Tagen, ein großes Hänneschen-Theater geworden. Wir sprengen alle Räume und haben hier eine über 30 Meter lange Hänneschen-Bühne aufgebaut, Puppenspiel-Bühne, und der Hintergrund, die Kulisse ist die Severinsstraße. Eine sehr, sehr lange Strecke innerhalb der Stadt, hier ein bisschen verkürzt und über diese Strecke werden dann die Wagen des Kölner Rosenmontagszugs fahren. In verkleinerter Form, aber mit ganz viel Herzblut und viel politischer Spitze."

Jeder Wagen ist drei Meter groß

Der Rosenmontagszug als Puppenspiel. Mit Wagen, Kamelle und auch der Müllabfuhr. Gesendet dann im Fernsehen am Rosenmontag. Noch liegt hier alles ruhig dar, ist auch noch nicht klar, wo genau die Wagen lang kommen. Kuckelkorn steht jetzt direkt am Bühneneingang:
"Deutlich mehr als 20 Wagen müssen hier bewegt werden und man muss sich die so vorstellen, dass die immer noch drei Meter groß sind. Das ist schon ein großes Volumen und das hier zu bewältigen über die Eingangstüre, über diese lange Bühne und dann hinten wieder aus der Halle raus, das wird eine große Herausforderung sein, für die Puppenspieler hier. Aber die sind mit so viel Herz dabei, da bin ich überzeugt, das wird die Menschen auch sehr begeistern können."
Bestattung oder eben der Karneval mit dem Rosenmontagszug, beides ähnele sich, hat Kuckelkorn, der jahrelang auch Zugleiter war, einmal gesagt: Beides ist hochemotional und auf gute Planung angewiesen.
"Der Zug wird natürlich auch kommentiert, so wie man das aus dem Fernsehen kennt. Und all das ist eben dieses Jahr mit die einzige Möglichkeit, wie es geht", erklärt Kuckelhorn. "Aber das ist so besonders kölsch und weltweit der einzige Rosenmontagszug, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen."
Während also weiterhin der Zoch kütt, wie es in Köln heißt, kämpft Kuckelkorn aktuell an anderer Stelle.
"Da muss man auch überlegen, wo gibt es Bereiche, die nachhaltig geschädigt werden. Das ist unsere große Sorge, dass hier dem Karneval Potenzial für die Zukunft entzogen wird. Wenn jetzt Technikerfirmen zum Beispiel nicht überleben oder wenn Künstler in alte Berufe zurückgehen, um mehr Sicherheit zu haben für die Zukunft, dann ist das zwar auch logisch, aber für uns, für den Karneval total schade. Weil: Damit würde hier Potenzial entzogen und da müssen wir sehr genau hinschauen."

Tausende von Arbeitsplätzen hängen daran

600 Millionen Euro werden – Jahr für Jahr – alleine im Kölner Karneval umgesetzt, rund 5000 Arbeitsplätze hängen daran, doch für viele staatliche Hilfsprogramme ist der Karneval zu kleinteilig, fallen Techniker, Bühnenhelfer und Künstler oft durchs Rost.
Daher gibt es nun einen Spendenfonds mit, auch das ist Köln, musikalischer Untermalung:
"Und wieder sitzt du da, tränenverschmiert. Keiner wartet auf dich zuhaus‘. Doch du bist nicht allein, irgendwo ist auch für dich ein Stern, der für dich leuchtet, egal wo du bist."
Du bist nicht alleine, singt die bekannte Band Cat Ballou. Es ist dieses Lebensgefühl, mit dem der Karneval nun auch untereinander solidarisch sein will. "Und darum freue ich mich natürlich, dass wir auch als Unternehmen jetzt an diesem Künstlerfond beteiligen können, um eben auch wirklich sehr stark in Not geratenen Personen zu unterstützen", sagt beispielsweise Herbert Geiss, Geschäftsführer eines Kostümausstatters.
"Ich denke, der Zusammenhalt ist jetzt wichtiger denn je. Der Karneval ist ein ganz guter Schlüssel dafür, wieder ein bisschen zusammenzurücken, auch wenn wir den so nicht erleben können", betont er.

Menschen wieder zusammenführen

Und auch in der Veranstaltungshalle des Festkomitees geht Christoph Kuckelkorns Blick über die Hänneschen-Bühne, über den Rosenmontag und diese Session hinaus.
"Und da kann der Karneval vielleicht auch tatsächlich die Aufgabe haben, die Menschen wieder zusammenzuführen", überlegt er. "Denn viele haben auch Angst zusammenzukommen. Das merken wir an vielen Ecken. Im Beruf. Zum Beispiel kommen Menschen auch nicht mehr zur Beerdigung, also, auch wenn sie eingeladen sind. Das zeigt, hier gibt es ganz viel Angst, und das ist, glaube ich, eine ganz große Aufgabe für die nächsten Jahre, mit dieser Angst lernen umzugehen."
Denn, wie sagte es der oberste Karnevalist und Bestatter Kuckelkorn: Es gibt jeden Tag nur einmal.
Mehr zum Thema