Klimawandel

Schweißtreibende Vorweihnacht in Süditalien

Küstenlandschaft auf Sizilien
Küstenlandschaft auf Sizilien © Imago
Von Karl Hoffmann · 04.12.2014
Noch nie war es so warm in Süditalien zu dieser Jahreszeit, fast 30 Grad in Sizilien am 1. Advent. Für Experten ein eindeutiger Beweis für die Erderwärmung. Die Sizilianer nehmen's gelassen und verlängern einfach die Badesaison.
Fernanda, Silvia und Ciro sitzen quietschfidel auf einer Bank in Mondello, dem Hausstrand von Palermo – Karibik pur in der täglichen Mittagspause.
"Hier tanken wir Energie, und nachher gehen wir wieder gutgelaunt in die Arbeit. Wir leben im Grunde genommen im Luxus hier im Süden: Sonne ohne Ende, und dann dieses Meer, sagt Fernanda. Und schaun Sie sich mal um hier am Strand: Immer noch gibt es Leute, die baden. Wenn es so warm bleibt, werden wir hier noch unseren Weihnachtsbaum aufstellen."
Es war der heißeste November seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 200 Jahren. Und am 1. Advent gab es eine Hitze wie seit 40 Jahren nicht mehr. Über 30 Grad – dass da was nicht stimmt, gibt die Sonnenanbeterin Silvia unumwunden zu. Aber soo schlecht sei das ja nicht.
"Ich bin ja nicht mehr die Jüngste und merke natürlich, dass sich mit den Jahren auch das Klima gewandelt hat. Wir haben ein zunehmend tropisches Klima, das ist ganz offensichtlich. Aber ich finde das nun gar nicht so schlimm. Wenn es noch wärmer wird, dann kann mir das nur recht sein."
Hauptsache, sie kann ihren täglichen Abstecher zum Strand machen, auch um dem besorgniserregenden Innenstadtsmog zu entgehen.
Denn die Luft steht, aber die Autos stehen leider nicht. In den Großtädten Süditaliens wird der zulässige Grenzwert für Feinstaub regelmäßig und reichlich überschritten. In Palermo seit Beginn des Jahres bereits 70 Mal. Der wenige Regen, den die heiße Luft hie und da absondert, macht die Sache nur noch schlimmer, sagt Annamaria:
"Da kommt dann Schlamm vom Himmel. Die Luft ist voller Sand aus der Sahara. Die Autos, die Balkone und Terrassen, die Straßen alles wird mit einer Schicht aus feinem Sand überzogen."
Wintermäntel werden Ladenhüter
Eigentlich gehört der Scirocco, der den Wüstensand tonnenweise nach Norden transportiert, in den Sommer, jetzt sorgt er auch im Winter für Staub und Wärme, und wer will sich da noch für die kalte Jahreszeit neu einkleiden?
"Letzten Sonntag waren es bei uns 31 Grad. Die Wintermäntel bleiben alle hängen. Aber die Leute kommen bei dieser Wärme auch nicht in Stimmung, kleine Weihnachtsgeschenke, Schals, Mützen und Pullover, niemand kauft bisher etwas."
– sagt Giuseppe Colletta in seinem gähnend leeren Herrenbekleidungsgeschäft. Während nebenan, bei Apotheker Simonetti, die Kasse klingelt.
"Die Wärme verstärkt viele Krankheitsssymptome, wie zum Beispiel Atembeschwerden oder Allergien. Früher hatten wir die eigentlich nur im Frühling. Inzwischen treten Allergien bei dieser Dauerwärme das ganze Jahr über auf."
Er persönlich , sagt Apotheker Simonetti verschmitzt, leide sehr unter der Winterhitze. Und fügt scherzhaft hinzu:
"Ich würde gerne nach Deutschland fahren, dann könnt ich mir endlich mal wieder einen schönen Wintermantel umhängen. Dafür dürfen die Deutschen gerne jederzeit zu uns nach Palermo kommen, und sich die Kleider vom Leibe reißen!"
Zeitungshändler Antonio sieht in dem neuen Tropenklima gar die Chance für die notleidende sizilianische Wirtschaft. Das perfekte Joint-Venture:
"Die Deutschen sollten kommen und hier überwintern. Und am besten gleich die ganze Insel aufkaufen. Dann wären wir unsere Sorgen los, und sie könnten in einem angenehmen Klima leben. Klar, dass wir langsam die Erwärmung der Atmosphäre zu spüren bekommen."
Überschwemmungen und Ernteausfälle
Und die hat bekanntlich jede Menge Schattenseiten, Überschwemmungen wie jüngst in Norditalien, Ernteausfälle wie bei Oliven und möglicherweise auch bei den Orangen. Luca Mercalli, der Wetterfrosch des italienischen Fernsehens, warnt sein Publikum vor den dramatischen Folgen der Erderwärmung – vergeblich:
"Wir Wissenschaftler wissen längst, dass wir bis zum Halse im Unrat stecken. Entweder man nimmt uns endlich ernst oder man verdrängt das Ganze."
Fernanda und ihre Freunde haben sich für letzteres entschlossen:
"Und selbst wenn es eines Tages auch kein Meer mehr gibt, sitzen wir doch immer noch hier auf unserer Bank."
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