Klimaschutz
Verkehrswende von unten: Autobahnen zu Radwegen © IMAGO / Funke Foto Services / Jörg Krauthöfer
Es wäre so einfach – wir wollen bloß nicht
In 20 Jahren soll Deutschland klimaneutral sein. Das ist sehr ambitioniert und wäre doch leicht erreichbar, mit einem Paradigmenwechsel. Was wir brauchen ist: Genügsamkeit. Technische Lösungen allein werden nicht reichen.
Das Gleiche, aber in grün: Das ist im Grundsatz die Strategie, mit der Deutschland und auch andere Industrienationen klimaneutral werden wollen. Ein beschwerlicher Weg – noch dazu mit unklarem Ausgang. Zwar arbeiten viele Unternehmen inzwischen mit großem Ehrgeiz daran, ihre Produkte klimaneutral herzustellen, doch die technischen und betriebswirtschaftlichen Herausforderungen sind gewaltig.
Dabei gibt es einen viel bequemeren Weg, und der führt auch noch definitiv zum Ziel: Es ist der Weg der Genügsamkeit.
Genügsamkeit, das ist keine Strategie, die die Politik von oben planen kann. Genügsamkeit ist eine Haltung. Eine oft wiederholte Binsenweisheit lautet, dass der Einzelne das Klima nicht retten kann, Politik und Wirtschaft müssten die großen Hebel drücken.
Doch damit Politiker wirksamen Klimaschutz betreiben können, brauchen sie auch Wähler, die einverstanden damit sind, dass manche Produkte eben teurer oder sogar verboten werden.
Es wäre ja schön, wenn einfach alles grün und fair gemacht werden könnte, und beim Verbraucher kämen trotzdem die gleichen Produkte in der gleichen Fülle zu den gleichen Preisen an. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass: Dieses Verständnis von Klimaschutz wird leider nicht reichen.
Ökologisch nachhaltiger Wohlstand
Nicht falsch verstehen: Es ist absolut richtig, dass Politik und Wirtschaft alles versuchen, um technische Lösungen für Klimaneutralität zu finden. Wir brauchen ökologisch nachhaltigen Wohlstand. Aber wir brauchen auch einen realistischen Blick auf das technisch Machbare. Und während die Technik in manchen Bereichen nicht schnell genug liefert, lässt sich mit Genügsamkeit jedes Problem angehen.
Der Weltklimarat stuft Emissionen von Flugzeugen beispielsweise als „schwer zu verhindern“ ein. Grüne Flugzeuge, davon sind wir weit entfernt. Verhindern könnte man die Emissionen trotzdem sehr einfach: nicht fliegen reicht.
Klimaschutz durch Genügsamkeit verlangt von uns, dass wir öfter mal die Seele baumeln lassen – aber natürlich nicht in der Karibik, sondern am besten im Park um die Ecke.
Klingt nicht so reizvoll? Vielleicht könnte man es so betrachten: Ein Flug in die Karibik und zurück kostet tausend Euro oder mehr. Deutsche Arbeitnehmer müssen durchschnittlich eine ganze Woche arbeiten, um das Geld für so eine Flugreise zu verdienen. Statt für die Urlaubskasse täglich zur Arbeit zu rennen, könnten sie es sich auch öfters mal bequem machen: Teilzeit for future!
Die meisten Menschen sind noch nie geflogen
Das klingt ein bisschen nach Verzicht? Aber wäre es nicht dennoch ein bedenkenswerter Weg? Denn verzichten müssten wir für das Klima lediglich auf einige Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte. Also auf Dinge, die für die Mehrheit aller Menschen, die je auf diesem Planeten gelebt haben, ohnehin nie vorhanden waren. Auf Dinge, die für die allermeisten Menschen auch heute noch nicht verfügbar sind: 80 Prozent der Weltbevölkerung sind noch nie geflogen.
Der kanadische Umweltwissenschaftler Vaclav Smil hat errechnet, dass wir unseren Energie- und Materialkonsum auf das Niveau der 1960er-Jahre reduzieren müssten, um im Einklang mit dem Klima zu leben. Aber: Wir dürften dabei weiter auf technischen Fortschritt hoffen. Wir würden nur einmal einen Satz zurück machen, um dann wieder Schritt für Schritt nach vorn zu gehen.
Dabei könnten wir dann auch mal in Ruhe – mehr Zeit hätten wir ja – diskutieren, wohin wir eigentlich genau wirtschaftlich wachsen wollen. Es geht nicht primär darum, dass viele Einzelne verzichten und damit ein paar Tonnen Emissionen einsparen. Es braucht ein Wählerpotenzial der Genügsamkeit. Wir müssen endlich fordern, dass die Politik klimaschädliches Verhalten wirksam einschränkt und klimafreundliches Verhalten belohnt – für alle, nicht für Einzelne.
Wohnfläche pro Kopf stark gestiegen
Hat denn schon mal jemand verkündet, dass Wohnungen in den 1980er-Jahren in Deutschland grundsätzlich viel zu klein waren und man darin kein gutes Leben führen konnte? Nein? Und trotzdem ist die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf in Deutschland seit der Wiedervereinigung um fast 40 Prozent gestiegen.
Der durchschnittliche Deutsche lebt nun auf fast 50 Quadratmetern. Und mehr Wohnfläche führt natürlich zu mehr Verbrauch an Baumaterial und insbesondere auch zu mehr Energieverbrauch im Winter, um die Räume dann zu heizen. Je nach Sanierungsstand schlägt eine Wohnung durchaus mit über einer Tonne CO2 pro Person und Jahr zu Buche.
Die Deutschen fahren außerdem immer mehr und immer größere und schwerere Autos. Wir kaufen im Durchschnitt 60 Kleidungsstücke pro Jahr, zwölf davon ziehen wir aber dann überhaupt nicht an. Zahlreiche Studien der Glücksforschung zeigen, dass mehr Konsum ab einem bestimmten Punkt nicht glücklicher macht.
Warum bloß wollen wir nicht glücklicher werden?
Wir werden unseren Konsum hinterfragen müssen, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen. Dabei dürfen wir aber natürlich nicht übersehen, dass in all dem Überfluss dennoch Menschen Mangel leiden. Während die Wohnungen immer größer geworden sind, suchen viele Menschen verzweifelt nach Wohnraum oder leben in beengten Verhältnissen. Im Durchschnitt hat zwar jeder Deutsche 2,3 Wohnräume für sich, in sechs Prozent der großstädtischen Mieterhaushalte hat hingegen nicht einmal jede Person ein Zimmer.
Um zu Klimagerechtigkeit zu kommen, müssen wir diese Probleme als Gesellschaft genauso sehen wie den klimaschädlichen materiellen Luxus, an den sich der Durchschnittsdeutsche gewöhnt hat. Der zentrale Hebel für genügsamen Klimaschutz besteht in Dingen, die wir zukünftig einfach sein lassen.
Nichts tun ist oft ein riesiger Schritt für das Klima.