Klimaschutz ins Grundgesetz

Im Gespräch mit Rachel Gehlhoff |
Der Klimaexperte Hermann Ott hat sich dafür ausgesprochen, den Klimaschutz ins Grundgesetz aufzunehmen. Das werde eine Menge verändern, betonte Ott. Aber auch Einzelmaßnahmen wie ein Tempolimit seien sinnvoll.
Gehlhoff: Die Zukunft des Klimas ist kaum bestimmbar, der Klimawandel aber ist Gegenwart. Wissenschaftler nehmen die Zeichen ernst, seit sie die tipping points erkannt haben, die Punkte, an denen das Klima kippt. Prozesse in der Natur laufen eben nicht linear ab, wie man lange dachte. Was also bedeuten die tipping points?

Ott: Die tipping points, sogenannte Kipp-Punkte, bestimmen die Debatte in der Klimathematik auch erst seit kurzem. In den letzten Jahren ist aber immer deutlicher geworden , dass es Ökosysteme gibt, die sehr lange durchhalten , und dann ganz plötzlich umkippen, das betrifft zum Beispiel das grönländische Eisschild, die großen Regenwälder im Kongobecken und im Amazonas. Das heißt: wenn hier ein bestimmter Punkt der Schädigung überschritten ist, dann desintegrieren diese Systeme sehr schnell. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die bisherigen erkennbaren Schädigungen des Klimas in demselben Tempo weiterlaufen, sondern das kann sehr viel schneller gehen.

Gehlhoff: Wir müssen uns der Erde anpassen – Klingt gut. Ein Kilo Rindfleisch macht zehn Kilo Kohlendioxid, also kein Rindfleisch mehr. Wie radikal müssten wir alle anders leben?

Ott: Es gibt ein paar Dinge im Leben, die wir nicht ersetzen können - dazu gehört der Fleischkonsum und dazu gehört das Fliegen. Alles andere, was wir so tun, können wir sehr viel effizienter machen – oder eben anders – sodass also grundsätzlich keine Einbusse unsrer Lebensqualität da ist. Beim Fleisch ist das anders, denn es ist einfach eine Tatsache, dass für die Herstellung einer Energieeinheit Fleisch sieben Einheiten Pflanzen benutzt werden – dass das nicht nachhaltig ist, kann man sich vorstellen. Das heißt aber nicht: man darf überhaupt kein Fleisch mehr essen, aber: es muss ja auch nicht jeden Tag sein. Der Tipp ist: einmal die Woche, so wie es unsere Grosseltern auch schon gemacht haben.

Gehlhoff: Sie haben so locker gesagt: aufs Fliegen können wir nicht verzichten – aber auch da müssen wir eigentlich das Verbraucherverhalten ändern – wie denn eigentlich?

Ott: Ich finde einen Vorschlag ganz spannend, dass also mit jedem Flug, den man macht, sich der Preis, den man zu entrichten hat, um das Doppelte erhöht. Das wird sehr, sehr schnell dazu führen, dass auch die Business-Flüge sehr, sehr viel geringer werden – aber gleichzeitig macht es das Fliegen nicht völlig unmöglich für die normalen Leute, denn einmal im Jahr kann man sich das vielleicht dann doch leisten.

Gehlhoff: Wir müssen runter mit den Emissionen. Wie wär's mit einem Gesetz, in dem klar drinsteht: Treibhausgase bis 2020 aufs Niveau von 1990??

Ott: Es nützt nichts, ein Gesetz anzunehmen, in sozusagen postuliert wird, wir werden im Jahr 2020 nur noch so und soviel Emissionen ausstoßen. Was sehr viel wichtiger ist: Es muss ins Grundgesetz, Klimaschutz muss in das Grundgesetz, damit alle Entscheidungen, die die Gerichte treffen, im Grunde auch an diesem Ziel des Klimaschutzes gemessen werden, das wird eine Menge verändern, und: man muss in die Einzelregelungen rein, das sind hunderte, tausende von kleinen Bestimmungen, die zum Teil verhindern, dass sinnvolle, ökologisch klimatisch und auch finanziell sinnvolle Dinge durchgeführt werden.

Gehlhoff: Ist die Tempolimit-Debatte von dieser Woche eine Scheindebatte, oder bringt ein Tempolimit dem Klima wirklich was?

Ott: Nein, das Tempolimit ist keine Scheindebatte, sondern im Gegenteil – das Umweltbundesamt hat das mal durchgerechnet – der direkte Nutzen – 0,4 Prozent des gesamten Ausstoßes auf dem Energiesektor - scheint nicht sehr viel zu sein, aber viele Maßnahmen, die wir sonst so ergreifen, die bringen nur 0,01 Prozent der gesamten Emissionen, und wir tun sie trotzdem.

Viel wichtiger ist der indirekte Effekt, denn alles – sowohl die Straßen , dreispuriger Ausbau überall , als auch Autos selber werden auf Tempo 250 hin ausgelegt, und das verhindert einfach, dass wir hinkommen zu leichten , hoch effizienten Fahrzeugen , die nur einen Liter verbrauchen , da müssen wir hin, und das können wir nicht mit diesen Panzern, die 250 fahren.

Gehlhoff: Wenn wir ein Tempolimit bekommen, dann brauchen wir neue Arten von Autobatterien, wir brauchen ganz neue Kraftstoffe, wir brauchen andere Treibstoffmischungen – die Auto-Industrie wäre gefordert, reagiert aber nicht - warum?

Ott: Wenn es um Veränderungen geht, wird zunächst einmal ein großes Geschrei angestellt, das war zum Beispiel beim bleifreien Benzin, beim Katalysator auch nicht anders, als es dann einmal eingeführt worden war, ging das alles sehr, sehr schnell. Und so ist es hier eben auch, die Politik muss den Rahmen setzen, muss Werte vorgeben, und dann wird die Industrie auch, so schnell wie sie das kann , auf diese Werte reagieren, und andere Autos bauen. Es dauert nicht mehr lange, bis diejenigen, die solche protzigen Panzer fahren, von den Mitmenschen scheel angeschaut werden, weil klar ist, dass sie die Umwelt verpesten. Es wird weiterhin Statusunterschiede geben, nur dass sich der Status eben anders ausdrückt – nämlich einhocheffizientes Fahrzeug zu haben, was möglichst wenig verbraucht.

Gehlhoff: Klimawandel als Thema wird politisch instrumentalisiert – von allen Seiten. Brauchen wir eine neue, sachorientierte Klimapolitik?

Ott: Tatsächlich muss die Klimapolitik zu einem zentralen Politikfeld werden. Das heißt: Alle anderen Politiken müssen sich auf das Ziel, die Treibhausgasemissionen zu senken, hinbewegen. Al Gores Begriff des planetaren Notstands, den würde ich hier auch verwenden, und bei einem Notstand, da wird eben das gesamte Handeln auf diesen Notstand hinaus ausgerichtet, und wir werden das sehen.

Gehlhoff: Wenn man sich das Gerangel nach dem Hamburger Parteitag der SPD anguckt – die Basis sagt, sie will was bestimmtes, der Vorstand sagt eigentlich nein, die CDU sagt wieder was ganz anderes jeder bringt andere Werte in die Debatte, Emissionswerte - das klingt ja nicht so, als ob da wirklich schnell was passieren würde?

Ott: Mein Glückwunsch an Basis der SPD, die dieses Tempolimit ja durchgesetzt hat, gegen die eigene Führung, im Moment ist ein Paradigmenwechsel, könnte man sagen, eine meiner Forderungen deshalb zum Beispiel - wir müssen wieder mehr über Regulierung machen, notfalls über Verbote, und weniger über den Preis.

Zum Beispiel die Forderung , dass nur noch Autos auf den Markt kommen,
die einen bestimmten Wert einhalten, zum Beispiel 120 g Ausstoß von CO2 auf den Kilometer, und dann müssen sich halt alle dran halten.