Klimakrise in der Kunst

Nach dem Eis kommen die Spinnen

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Eis-Installation des Künstlers Olafur Eliasson in Paris.
Zusehen bei der Schmelze: Zur Klimakonferenz 2015 ließ der Künstler Olafur Eliasson Brocken aus Gletschereis nach Paris bringen. © imago stock&people/PanoramiC
Von Simone Reber · 27.09.2019
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Die Eisblöcke in London sind längst geschmolzen, aber von den Beuys-Bäumen profitiert Kassel bis heute. Die Kunst beschäftigt sich schon lange mit dem Klimawandel. Noch viel länger mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt. Eine Retrospektive.
"Die Honigpumpe ist ja zweierlei", sagte Joseph Beuys. "Erst einmal ist sie das physische Signal für die eigentliche Honigpumpe, die hinter dem Loch ist. Hinter dem Loch arbeitet die Free International University als ein Arbeitskollektiv permanent 100 Tage an allen möglichen Fragen der Gesellschaft."
Über vierzig Jahre ist es her, da erfand Joseph Beuys die "Honigpumpe am Arbeitsplatz". 1977 bei der Documenta 6 sollten 150 Kilogramm Honig, die durch ein Röhrensystem geleitet wurden, den Geist befeuern beim Nachdenken über eine gerechtere Welt. Fünf Jahre später, bei der nächsten Documenta, schlug Beuys vor, die Stadtverwaltung durch "Stadtverwaldung" zu ersetzen. 7000 Eichen sollten zusammen mit steinernen Stelen in Kassel gepflanzt werden.

Gletschereis nach London

Großprojekte wie diese machten den Weg frei für die nächste Generation, zum Beispiel für Olafur Eliasson. Direkt auf den Klimawandel bezog sich seine Aktion "Ice Watch", für die der Künstler letztes Jahr 30 Blöcke grönländisches Gletschereis in London schmelzen ließ. Der etwas gefällige Polit-Aktivismus warb gleichzeitig für seine neue Schau in der Tate Modern "In real life". Im wirklichen Leben hinterfragt Olafur Eliasson allerdings sehr differenziert die menschliche Sicht auf die Natur.
"Für mich war Natur immer schon sehr wichtig, nicht nur, weil ich Natur selbst für sehr wichtig halte. Aber weil mir Menschen und ihre Wahrnehmung von der Umwelt sehr wichtig sind. Und Natur ist für mich so eine unglaublich gutes Werkzeugkiste, um die Dehnbarkeit der Wahrnehmung darzustellen. Das heißt die Tatsache, dass das, was wir wahrnehmen, nicht unbedingt wahr sein muss, ist mit der Natur sehr gut zu zeigen."

Das nächste Erdzeitalter gehört den Spinnen

Die Suche nach einem neuen Verhältnis zwischen Menschen, Pflanzen und Tieren bestimmte 2012 die ganze Documenta 13 der Kuratorin Carolyne Christov-Bakargiev. Einer der schönsten Orte stammte von dem dänischen Künstler Tue Greenfort. Greenfort baute das ehemalige Haus für die Schwarzschwäne in der Kasseler Karlsaue zu einem Archiv um, das Dokumente für das Zusammenleben zwischen Mensch und Tier versammelte. Das Holzhaus auf dem Wasser war der kalifornischen Philosophin Donna Haraway gewidmet. Deshalb durften im Gebälk wohnende Spinnen auf keinen Fall gestört werden. Haraway prophezeit nämlich als einzigen Ausweg für die Menschheit das Chtuluzän, benannt nach einer kalifornischen Spinnenart. Das setzt eine neue Aufmerksamkeit voraus, nämlich die Fähigkeit, alle Fühler in viele verschiedene Richtungen auszustrecken, Zusammenarbeit zu suchen und Netze zu knüpfen. Vor sieben Jahren wurde dieser Gedankenansatz viel belacht.
Inzwischen hat ein Umdenken stattgefunden, sagt Tue Greenfort: "Ich sehe, dass es ein politisches Thema ist, und dass es angesprochen wird. Und dass es etwas ist, womit sich viele junge Leute beschäftigen. Das ist natürlich spannend, weil das ist eine Politisierung, die stattfinden muss."

Neue Begegnung mit der Natur

"How to talk with birds, trees, fish, shells, snakes, bulls and lions" - schon der Titel der beflügelnden Ausstellung von Antje Majewski im Hamburger Bahnhof, dem Berliner Museum für die Kunst der Gegenwart, setzte den Willen zum Lernen voraus. Inspiriert von dem senegalesischen Künstler Issa Samb suchte Antje Majewski nach einer neuen Begegnung mit der Natur.
"Die Situation, in der wir uns heute befinden, im sogenannten Anthropozän, also in dem Zeitalter, wo die Menschen sehr schwerwiegende Eingriffe in die Welt-Ökosysteme gemacht haben, die uns unmittelbar mitbetreffen, da kann man eigentlich nur drauf reagieren, indem man zusammenarbeitet, indem man sich austauscht und in dem man versteht, dass das was in Brasilien passiert uns betrifft, dass was in China passiert mit uns entsteht, dass wir alle zusammenhängen."
Die Ausstellung zeigte Projekte, die aus der Zusammenarbeit entstanden. Der Nachbau eines Floßes war da zum Beispiel zu sehen, mit dem polnischen Künstlerinnen im Sommer die Weichsel befuhren, um auf den letzten naturbelassenen Strom Europas aufmerksam zu machen. Für die Schifffahrt soll der Fluss begradigt werden. Bei den Künstlerinnen und Künstlern ist der Gedanke der Kollaboration angekommen. Sie spannen ihre Netzwerke längst selbstverständlich über den ganzen Globus. Ohne diese Fähigkeiten dürfte der Planet kaum zu retten sein.
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