Klimakatastrophe und Überbevölkerung

Stop making babies!?

04:01 Minuten
Auf der Neugeborenen-Station im Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum ist jeden Tag Kindertag, aufgenommen am Mittwoch (31.05.2006). Seit Jahresanfang kamen hier 366 Mädchen und Jungen zur Welt.
Ob wir angesichts von Überbevölkerung und Klimawandel noch von "Kindersegen" sprechen können? Die Philosophin Donna Haraway bezweifelt das. © dpa/ Mario Behnke
Ein Kommentar von Andrea Roedig · 28.07.2019
Audio herunterladen
Kinder sind schlecht fürs Klima. Sich gegen Nachwuchs zu entscheiden, nützt dem Klima bei weitem mehr, als auf Auto, Flugzeug und Fleisch zu verzichten. Sollten wir also aufhören, uns fortzupflanzen?
"Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, daß sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen" – dem berühmten Ausspruch des französischen Philosophen Blaise Pascal mag man vor allem zu Ferienzeiten und in attraktiven Großstädten mit einem Seufzen zustimmen: Das System Tourismus steht vor dem Kollaps, die Reiselust führt sich selbst ad absurdum.

Kinderkriegen - schlecht für die Ökobilanz

Ähnlich unheimlich wie die Hitze, die uns spätestens seit dem letzten Jahr den Klimawandel fühlbar zu machen scheint, wirken die stetig reisenden Menschenmassen. Wer schon ein bisschen länger auf der Welt ist, meint es deutlich zu spüren: Es ist voller geworden, immer und überall, was natürlich zunächst daran liegt, dass sich immer mehr Menschen von A nach B und wieder zurück bewegen, was aber auch objektiv messbar ist.
Die Autorin Andrea Roedig
Die Autorin Andrea Roedig © privat
Seit meinem Geburtsjahr in den 1960er Jahren beispielsweise hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt und auch in Deutschland leben schlappe zehn Millionen Menschen mehr. Bei allem, was wir fürs Klima tun können – weniger fliegen, kein Fleisch essen, auf Strohhalme, Plastiktüten und Nespresso-Kapseln verzichten – wird uns auch eines vorgerechnet: den größten Fußabdruck hinterlassen wir, indem wir Kinder zeugen.

Philosophin Donna Haraway: "Stop making babies!"

"Make kin, not babies" – "Stiftet Verwandtschaften, aber macht keine Kinder" ist ein radikaler, aber sehr ernst gemeinter Apell der Biologin und Feministin Donna Haraway. Sie ist nicht die einzige der so genannten "Antinatalisten", die sich aus verschiedenen Gründen dafür aussprechen, unsere Fortpflanzung zu begrenzen oder sie ganz auszusetzen. Haraway hat dabei keine Vorliebe für die menschliche Spezies, und schon gar nicht für die Bewohnerinnen der Industrieländer – ihr Spruch heißt nicht: die Inder, die Chinesen sollten mal aufhören Kinder zu kriegen, sondern: wir alle! Zumal ein einziges Kind in Europa klimatechnisch rund vier Kindern in Pakistan entspricht.

Familiarität und Verwandtschaft geht auch anders

Wenn die Spezies überleben will, muss sie aufhören, als Individuum zu überleben, also sich fortpflanzen zu wollen. Wie paradox. Es wirkt wie eine Sackgasse, es klingt unendlich traurig, furchtbar, unmöglich. An den individuellen Kinderwunsch zu rühren, ist ein Tabu.
Aber vielleicht müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass Kinderkriegen nicht per se sinnvoll ist, dass Familien sich anders bilden werden als über den eigenen Nachwuchs: über Adoption, Bündnisse, neue Gemeinschaftsbildung etwa. Gewöhnen müssen wir uns auch daran, dass die Weltbevölkerung sich anders verteilen wird.

Bücher schreiben statt Kinder hüten?

Ist die Sackgasse so dunkel? In gewisser Weise haben die Philosophen einen Lebensstil gewählt, der andere Sinnangebote macht. Platon, Demokrit, Bacon, Hobbes, Hume, Locke, Kant, Schopenhauer, Nietzsche, Kierkegaard, Wittgenstein, Arendt, Sartre und de Beauvoir et cetera: All die großen Köpfe blieben kinderlos und schrieben stattdessen Bücher. Aber jede nach ihrer Fasson. Ich will nicht dafür plädieren, dass wir alle aus ökologischen Gründen Philosophen werden.
Und die Demografen entwarnen auch: Die Weltbevölkerung werde drastisch wachsen, sich bei neun Milliarden einpendeln und dann langsam wieder schrumpfen. Erste Bedingung dafür ist übrigens, dass Frauen Zugang zu Bildung haben. Das ist doch mal ein Wort. Zwischenzeitlich sollten wir aber dringend den philosophischen Rat von Pascal beherzigen und öfter mal zu Hause bleiben.

Andrea Roedig ist Philosophin und Publizistin. Sie ist Mitherausgeberin der österreichischen Kultur- und Literaturzeitschrift "Wespennest". 2015 erschien ihr gemeinsam mit Sandra Lehmann verfasster Interviewband "Bestandsaufnahme Kopfarbeit" im Klever-Verlag, jüngst ihr Essayband "Schluss mit dem Sex".

Mehr zum Thema