Philosophin Donna Haraway

Neue Geschichten sollen die Menschheit retten

05:53 Minuten
Porträt Donna Haraway.
In Beziehung mit Natur und Technik: die Philosophin und Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway © Campus Verlag
Von Johanna Tirnthal · 17.02.2019
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Unsere Lebensweise ruiniert die Welt. Um die Menschheit zu retten, müssen wir neue Geschichten über uns erfinden, meint die US-amerikanische Philosophin Donna Haraway.
Donna Haraways aktuelles Denken nimmt seinen Ausgang bei einer verwundeten Welt. Wenn sich die Art und Weise, wie Menschen heute miteinander und mit anderen Geschöpfen zusammenleben, als ökologische und ethische Sackgasse erweist, wie können wir dann auf andere Ideen des Zusammenlebens kommen? Haraways Antwort: indem wir neue Geschichten über uns erfinden. Wie sie sich als Wissenschaftstheoretikerin diesem experimentellen Denken nähert, das macht der Film "Storytelling for earthly Survival" greifbar:
"You have to keep telling this particular story, not some story in general, but this story. You have to do this, you have to be here, not everywhere."
Man müsse eine bestimmte Geschichte erzählen und nicht irgendeine Geschichte, sondern genau diese spezifische Geschichte, sagt Haraway an einer Stelle des Films. Man müsse hier sein, nicht überall. Wenn sie die Betonung auf "diese Geschichte" und auf das "Hier" legt, dann klopfen ihre Hände bestimmt auf den hölzernen Schreibtisch in ihrem Haus im kalifornischen Wald:
"You have to be attached to some things, not everything. The only possible way is that again and again and again we engage each other in doing something."

Neue Geschichten für neue Lebensformen

Der einzige Weg, gut auf diesem zerstörten Planeten zu leben, liege darin, dass wir uns wieder und wieder gegenseitig dazu anstiften, Dinge anders zu machen. Wie wir zusammenleben, hat aus Haraways Sicht viel damit zu tun, welche Geschichten wir uns darüber erzählen und auch mit der Philosophie, die uns Erklärungen für diese Geschichten liefert:
"Die Prozesse, mit denen wir gemeinsam Bedeutung erzeugen, sind die Prozesse des Lebens als lebendige, sterbende und sterbliche und fürsorgliche Wesen – und das meine ich nicht auf eine romantische Art. Und ich meine das in Kontrast zur deutschen Tradition der Transzendentalphilosophie."
Die Transzendentalphilosophie muss, meint Donna Haraway in Buch und Film, in der künftigen Gesellschaft überwunden sein. Nicht mehr autonome, in sich ruhende Subjekte würden auf der beschädigten Erde gebraucht, sondern Wesen, die sich auf vielfältige Arten und in verschiedenen Erzählungen miteinander verbinden.

Nicht nur Menschen, Tiere, Pflanzen - auch "Kritter"

"Helfen Sie mir, die richtigen Worte dafür zu finden: Es ist keine unendliche Vielfalt, die ich anstrebe, wenn ich sage, es gibt nicht nur eine Erzählung. Welche Erzählung wird mit welcher verbunden, und wer lebt und wer stirbt innerhalb welcher Verbindungen? Ich bin keine Liberale oder Pluralistin, was Erzählungen betrifft."
In den Erzählungen, die Donna Haraway für ihre Theorie des Zusammenlebens erfindet, geht es viel um Verwandtschaft. Wir sollten uns jenseits eingeübter Formen wie der biologischen Familie verwandt machen, schreibt sie – mit anderen Menschen oder Tieren, mit Kreaturen oder, wie sie sagt mit "Krittern":
"Wenn du einen Cousin hast, dann hat der Cousin auch dich. Wenn du einen Verwandten hast, dann hat der Verwandte auch dich. Die Verwandten sind füreinander verantwortlich, ohne dass sie sich das ausgesucht hätten. Mein Begriff von 'sich verwandt machen' dreht sich also darum, die Kategorien, in denen wir füreinander verantwortlich sind, neu zu denken. Diese Kategorien sind immer vorläufig und nie perfekt."

Verwandtschaften über Art-Grenzen hinweg

Donna Haraways Denken sucht die Nähe zur Science-Fiction. Sie geht davon aus, dass positive, utopische Erzählungen die Gesellschaft tatsächlich verändern können. Und deshalb entwickelt sie am Ende des Films wie des Buchs ein eigenes Sci-Fi-Szenario. Das handelt von fünf zukünftigen Generationen Menschen, Tieren und Pflanzen – oder eben "Krittern", die versuchen, den beschädigten Planeten Erde zu retten und darauf gut zu leben. Erzählt ist diese Geschichte in der Rückblende:
"In den sich ausbreitenden Siedlungen musste jedes Kind zumindest drei Eltern haben. Solche Verhältnisse schaffen starke, lebenslange Verbindlichkeiten und Verpflichtungen unterschiedlicher Art. Sich verwandt zu machen als eine Methode, die menschliche Bevölkerung und ihre Ansprüche an die Erde zu minimieren und gleichzeitig das Gedeihen von menschlichen und anderen Krittern zu maximieren, mobilisierte in den verstreut entstehenden Welten Energien und Passionen."
In Donna Haraways utopischer Erzählung gibt es nicht nur drei Eltern für jedes Kind, sondern die Kinder sind auch mittels Gentechnologie verwandt mit vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten. Die Welt, die Haraway skizziert, ist gewagt und versucht dabei nicht perfekt zu sein. Die "Kritter" scheinen wie Paradiesvögel, sind aber doch umgetrieben von Mitgefühl und Sorge – "they stay with the trouble", wie Haraway schreibt – sie bleiben an den Problemen dran.
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