Klimaentscheidung des Verfassungsgerichts

Auch Jüngere haben ein Recht auf Emissionen!

04:32 Minuten
Ein junge sitzt mit Maske in einem Flugzeug-Terminal mit großen Gepäck (Symbolfoto)
In den Sommerurlaub fliegen - auch jüngere Menschen sollen zukünftig noch solche Handlungsoptionen besitzen. © imago images / Cavan Images
Ein Kommentar von Miriam Vollmer · 10.05.2021
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Bis 2050 will Deutschland klimaneutral sein. Mit dem aktuellen Klimaschutzgesetz wäre das Emissionsbudget aber bis 2030 weg. Das Verfassungsgericht verspricht den Jüngeren zurecht ein Recht auf Emissionen, meint die Juristin Miriam Vollmer.
Der Bund muss bis Ende 2022 das Klimaschutzgesetz novellieren. Haben Luisa Neubauer und ihre Mitstreiter damit gewonnen, weil künftige Generationen einen Anspruch auf eine Welt hätten, die nicht in Flammen steht?
Nein, denn diesen Anspruch auf den Schutz von Vater Staat vor einer katastrophalen Entwicklung haben die Beschwerdeführenden gerade nicht, auch wenn das Bundesverfassungsgericht die drohenden Gefahren von Wasserknappheit und Dürren in Deutschland zugegeben hat. Eine Verletzung einer staatlichen Schutzpflicht vor der Klimakatastrophe können die Richter nicht ausmachen.

Staatliche Schutzpflichten

Dabei sind staatliche Schutzpflichten dem Verfassungsrecht schon seit den 1970er-Jahren nicht fremd. Damals entwickelte das Bundesverfassungsgericht dieses Konstrukt in der Auseinandersetzung um die sogenannte Fristenlösung beim Abtreibungsparagrafen.
Der damalige Paragraf 218 erschien den Richtern zu lasch. Der Staat müsse sich in Extremsituationen durch strenge Gesetze zwischen einen Grundrechtsträger und Bedrohungen durch Dritte stellen. Grundrechtsträger waren damals der Embryo, heute sind es die jungen Beschwerdeführenden.
Als "bedrohliche Dritte" galten beim Embryo die eigenen, abtreibungswilligen Mütter. Heute in der Klimafrage wären es jene Menschen, die durch exzessive Autofahrten, Urlaube mit der "Aida", Shoppingflüge nach New York und andere Klimasünden einen ruinierten Planeten hinterlassen.
Doch dieses Argument überzeugte das Bundesverfassungsgericht diesmal nicht. Auch das BVerfG hält es zwar für möglich, dass die Gesetze nicht reichen. Doch Schutzpflichten wären erst verletzt, wenn die Bundesrepublik gar nichts getan oder nur offensichtlich untaugliche oder unzureichende Schritte unternommen hätte.
Ein so schlechtes Zeugnis wollten die Richter den Klimabemühungen Deutschlands dann doch nicht ausstellen. Offenbar sieht der Senat hier eher eine 4-, als eine glatte 6.
Warum waren die Verfassungsbeschwerden trotzdem erfolgreich? Weil die beschwerdeführenden jungen Menschen zwar keinen Anspruch darauf haben, dass andere weniger emittieren, aber durchaus darauf, selber nach 2030 mehr emittieren zu dürfen.

"Schatz" an Emissionen steht schon fest

Der Hintergrund dieser überraschenden Begründung ist das deutsche Budget an Emissionen von heute bis 2050. Dieser "Schatz" steht schon fest, weil Deutschland sich verpflichtet hat, 2050 klimaneutral zu wirtschaften. Begreift man dieses Budgetmodell als eine große Schale Kekse, so wissen wir nicht nur, wie viele Kekse insgesamt für die nächsten 30 Jahre in der Schale liegen, sondern auch, dass laut Klimaschutzgesetz bis 2030 fast alle Kekse aufgegessen sein werden. Für die verbleibenden zwei Jahrzehnte ist dann kaum mehr etwas übrig.
Wer also 2040 noch einen Sommerurlaub machen, eine Porzellanfabrik eröffnen oder ein Auto fahren möchte, hätte ein Problem. Seine Freiheiten, all das zu tun, hätten die Autofahrer, Weltreisende und Unternehmer von heute bis auf die letzten Krümel verbraucht.

Jüngere sollen Handlungsoptionen behalten

Eine solche Aufteilung zwischen den Generationen erscheint den Richtern hochgradig unfair. Auch die Menschen von morgen sollen Handlungsoptionen haben und nicht eine "Vollbremsung" vollziehen müssen, in der es für heutige Kinder und Jugendliche keine zumutbaren Lebensbedingungen mehr gibt.
"Anspruch auf Emission" statt "Anspruch auf Klimaschutz" attestiert das BVG also den Beschwerdeführenden. Trotzdem haben die, die das Urteil bejubeln, nicht ganz unrecht. Schließlich bedeutet die Neuaufteilung des Freiheitsvorrats, dass die heutigen Erwachsenen jetzt ganz schnell ihre Emissionen reduzieren müssen.
Ob die Kinder von den heutigen Klimademos mit ihren restlichen Emissionsrechten dann im Jahre 2040 womöglich Bitcoins schürfen, ist dem Klima egal: Jede jetzt vermiedene Emission ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Gesamtmenge zählt.

Miriam Vollmer ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Verwaltungsrecht. Sie ist auf das Umweltrecht, vor allem auf das Recht des Klimaschutzes, spezialisiert, zudem publiziert und lehrt sie zu den juristischen Transformationsprozessen der Energiewende.

Porträt der Juristin Miriam Vollmer
© Heidi Scherm
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