Klima-Retten mit Harald Lesch und Franz Josef Radermacher

Wer soll das bezahlen?

"Wenn nicht jetzt, wann dann?" von Harald Lesch
Bei Harald Lesch geht es auch um große ethische Themen, um Gerechtigkeit. © Penguin/imago/Future Image
Von Susanne Billig · 24.11.2018
Ist die Politik gegen den Klimawandel gescheitert? Die Bücher von Harald Lesch und Josef Radermacher entwerfen unterschiedliche Szenarien. Das eine fordert eine gerechtere Verteilung der Pflichten. Das andere setzt auf die Superreichen.
Ein Problem, zwei Lösungsvorschläge: Im Kampf gegen den Klimawandel fordert Harald Lesch von jedem einzelnen ein individuelles Umdenken – und argumentiert im Namen der Gerechtigkeit. Franz Josef Radermacher dagegen fordert globale Klimaprojekte, finanziert beispielsweise durch große Konzerne und reiche Einzelpersonen – das sei effizienter, als hierzulande per Gesetz kleine Verbesserungen zu erzwingen.
Radermachers Kernidee lautet: Die deutsche Politik soll dafür sorgen, dass deutsche Akteure ab 2025 jährlich mindestens eine Milliarde Tonnen CO2 global kompensieren. Das nennt der den "Milliarden-Joker". Deutschland würde sich damit als erster Industriestaat der Welt nicht nur klimaneutral, sondern sogar klimapositiv stellen. Alle, die viel Klimaschaden verursachen und es sich leisten können – also wirtschaftlich gut situierte Unternehmen aus den entsprechenden Branchen, aber auch Städte oder reiche Einzelpersonen – sollen einen Klimaausgleich für ihre hohen Emissionen.

Kann die Politik ohnehin nichts ausrichten?

Ein Unternehmen könnte Zertifikate des europäischen Zertifikatssystems stilllegen und nicht mehr verwenden. Städte oder Personen könnten sich im Ausland finanziell an Entschädigungen beteiligen, wenn dort Unternehmen oder Regierungen Kohlekraftwerke stilllegen oder auf neue Ölfelder verzichten. Oder wieder aufforsten. Solche globalen Projekte brächten dem Klimaschutz mehr, als hierzulande weiteren CO2-Ausstoß einzusparen.
Allerdings, und das ist der Knackpunkt: Auf freiwilliger Basis. Um Unternehmen zu überzeugen, empfiehlt Radermacher im Gegenzug auf gesetzliche Verschärfungen zu verzichten: Kein Zwang zur Stilllegung von Kohlekraftwerken, keine forcierte energetische Sanierung von Gebäuden, kein Druck zum flächendeckenden Umstieg auf Elektroautos. Die Politik, meint Radermacher, könne über das mühsam errungene Pariser Klimaabkommen hinaus ohnehin nicht mehr liefern.

Genügt der Fairtrade-Einkauf gegen den Klimawandel?

Harald Lesch legt sein Buch sehr viel breiter an. Ihm geht es um große ethische Themen, um Gerechtigkeit etwa: Eine Gesellschaft lasse sich ökologisch nur transformieren, wenn in ihr eine Grundstabilität gewährleistet sei. Lesch kritisiert eine Gier nach Geld, er kritisiert die ökonomische Verwertbarkeit auch noch der kleinsten zwischenmenschlichen Handlung. Bei ihm wechseln die Kapitel fortlaufend zwischen großen moralischen Appellen und Textkästen mit Informationen zum Klimaschutz. Das ist sehr abwechslungsreich, aber eben mit deutlichem Prediger-Duktus geschrieben.
Wie bei allen Klima-Fachleuten lässt sich auch hier ein alarmierter Grundton nicht mehr überhören. Kein Wunder, denn das Zeitfenster, in dem die Weltgemeinschaft überhaupt noch Einfluss hat, wird sich in wenigen Jahren schließen. Deshalb ist auch Harald Lesch nur verhalten optimistisch. Er versucht dennoch, Wege aufzuzeigen: vom Fairtrade-Einkauf über die simple und sinnvolle Maßnahme, für jede Flugreise ein kleines Geld als Klimaausgleich an Organisationen wie atmosfair zu bezahlen. Doch die Lösung gegen den Klimawandel kann längst nicht mehr darin bestehen, 80 Millionen Menschen in Deutschland dazu zu ermuntern, ihre Zimmerlampe öfter mal auszuschalten.


Deshalb gefällt mir der Realismus von Franz Josef Radermacher, sein klarer Fokus, sein Verzicht darauf, gesellschaftliche Gerechtigkeits-Ideale zu formulieren. Aber ist das glaubwürdig? Radermacher engagiert sich auch im wissenschaftlichen Beirat von Organisationen, die für Sozialkürzungen eintreten. Dass er nun der Politik keine andere Rolle zugestehen möchte, als die Superreichen um freiwillige Klimaspenden zu bitten, – das hat dann doch ein Geschmäckle.
"Der Milliarden-Joker" von Franz Josef Radermacher
Franz Josef Radermacher fordert globale Klimaprojekte, finanziert durch große Konzerne.© Murmann/imago/photothek/Thomas Trutschel

Harald Lesch: Wenn nicht jetzt, wann dann? Handeln für eine Welt, in der wir leben wollen
Penguin, 2018
368 Seiten, 29 Euro

Franz Josef Radermacher: Der Milliarden-Joker. Wie Deutschland und Europa den globalen Klimaschutz revolutionieren können
Murmann, 2018
312 Seiten, 26 Euro

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