Klezmerfestival

Die Musik der Jidden

Von Jonathan Scheiner · 28.02.2014
Das Klezmer Festival Fürth steht vor der Tür. Die Stars der Szene werden neben hochklassigen Konzerten auch Workshops geben. Worin liegt die Faszination der Musik und Kultur der osteuropäischen Juden?
"Erst bringen sie sechs Millionen unserer Leute um und jetzt spielen sie auch noch unsere Musik" – das hat Horst Prentki einmal gesagt, der letzte Überlebende Klarinettist des Jüdischen Kulturbundes. Das mag vielleicht ein wenig überspitzt klingen, denn warum sollten die Deutschen die Musik der Jidden nicht spielen dürfen? Aber warum der Klezmer ausgerechnet in Deutschland so beliebt ist– diese Frage steht durchaus im Raum. Allein mit Philosemitismus kann man dieses Massenphänomen jedenfalls nicht erklären.
Klezmer war nicht immer so beliebt wie heutzutage. Erst Giora Feidman hat den Deutschen die Jiddische Musik nach Krieg und Amnesie wieder nahegebracht. Fast ein Vierteljahrhundert ist das nun her.
Feidmans Musik ist populär wie eh und je. Der Meisterklarinettist tritt in den nächsten beiden Monaten allabendlich in einer anderen deutschen Kleinstadt auf, zumeist in einer protestantischen Kirche.
Doch nicht nur Feidman ist beliebt: Quer durch die Republik gibt es Klezmerkonzerte und Workshops, bei denen man die Sprache, den Gesang oder auch den Tanz der Jidden aus dem osteuropäischen Schtetl erlernen kann.
Der Reiz des Untergegangenen
Aber warum tut man sich das eigentlich an? Warum kümmert man sich ausgerechnet um eine untergegangene Kultur? Rat weiß einer der renommiertesten Klezmermusiker: Alan Bern, der den Yiddish Summer in Weimar veranstaltet. Er weiß genau, warum die Deutschen den Klezmer so lieben:
"Also die Melodien, die Rhythmen, die Harmonien, die Ausrucksformen, Gesten, das ist alles irgendwie an der Grenze des Bekannten und Unbekannten und gerade deswegen interessant und reizend. Diese Melodien sind exotisch genug, dass sie nicht fade klingen, aber bekannt genug, dass sie zugänglich sind. Das gleiche kann man interessanterweise über die Sprache sagen.Wenn die Menschen alles auf Hebräisch oder Chinesisch singen würden, dann könnte das breite deutsche Publikum damit nichts anfangen, aber man sitzt da und zu 80 Prozent kann ich das verstehen. Und das ist natürlich schön."
Das Bild von jüdischer Musik hat sich im letzten Jahrhundert deutlich gewandelt. Aus dem Judenhass von einst ist Philosemitismus geworden. Weshalb nun eine ganz andere Frage im Raum steht, nämlich, ob die Deutschen den Klezmer nur deshalb so mögen, weil sie einen Schuldkomplex haben - als wollten sie, indem sie den Klezmer spielen, den Schuldberg ihrer Vorfahren abtragen.
Doch Alan Bern wiegelt ab:
"Wir reden jetzt von Menschen, die über viele Jahre eine intensive Beschäftigung mit jüdischer Musik pflegen, Musiker wie auch Publikum. Das tut man nicht aus politischer Korrektheit, das glaube ich nicht. Hinter so einer Frage, ob es mit Schuldgefühl oder Schuldbewusstsein oder so was, steckt immer bewusst oder unbewusst der Vorwurf, dass es verlogen ist, dieses Interesse."
Nicht-jüdische Klezmermusiker versuchen, sich hindurch zu lavieren zwischen Skepsis auf jüdischer und Begeisterung auf deutscher Seite. Doch die meisten ernst zu nehmenden Musiker haben längst aufgehört, sich den Kopf zu zerbrechen.
Bestes Beispiel ist Christian Dawid. Er gilt international als einer der besten Klezmerklarinettisten. Und er ist Deutscher. Und Nichtjude:
"Das heißt, ich musste lernen, dass was immer ich auch mache, es wird jemandem wehtun oder nicht gefallen. Es gibt Menschen, die dabei schreckliche Gefühle haben, auf der auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die dafür kämpfen mit ihrem ganzen Engagement, dass es eben nicht entscheidend sein sollte, wo wir herkommen."
Philosemitismus oder Schuldverdrängung?
Ob Deutsche den Klezmer nun aus Liebe zur Volksmusik spielen, aus Philosemitismus oder Schuldverdrängung: Die Vorurteile auf jüdischer Seite halten sich hartnäckig. Geradezu paradigmatisch ist eine Geschichte, die die englisch-jüdische Klarinettistin Emma Stiman erzählt. Sie ist mit einem Deutschen verlobt. Und als sei das für ihre Mutter, eine Holocaust-Überlebende, nicht schon unbegreiflich genug, so ist der künftige Schwiegersohn auch noch Klezmermusiker.
Nach hartnäckigen Rechtfertigungsversuchen hat die Tochter längst aufgegeben, für Verständnis zu werben. Ihre Mutter sei eben traumatisiert.
Doch wie geht es eigentlich all den Leuten, die nicht persönlich von der Shoah betroffen sind, den vielen jungen Musikern, die ihr Herz an den Klezmer verloren haben? Diese Frage hat sich auch Caroline Goldie gestellt. Die Berliner Regisseurin ist die Tochter einer Wiener Jüdin, die überlebte, weil sie nach England geflohen ist. Goldie hat in ihrem Film "Klesmer in Deutschland" eine ebenso vielschichtige wie vitale Szene beleuchtet, deren Epizentrum in Berlin liegt. Hier leben nicht nur viele deutsche Klezmer, sondern auch Stars der internationalen Szene wie Daniel Kahn oder Paul Brody.
Man kann ohnehin nicht von einer einheitlichen Szene sprechen, sagt Caroline Goldie:
"Es gibt guten und schlechten Klezmer. Leider ist es so, dass ich hauptsächlich von Deutschen schlechten Klezmer in Deutschland gehört habe. Was ich finde, da fehlt ein bisschen dieser Mut, etwas Ungewöhnliches mit dieser Musik zu machen, was natürlich nur die jüdischen Musiker haben. Die nehmen sich die Freiheit, etwas Neues auszuprobieren und dass es was Spannendes ist. Es gibt sehr gute deutsche Klezmergruppen, aber mir fehlt da ein bisschen der Pfiff. Es gibt ein paar deutsche Musiker wie Christian Dawid, der ein fantastischer Musiker ist. Und der wäre auch ein toller Musiker, wenn er keinen Klezmer spielen würde."
Allgemeingültige Antworten auf die Frage, warum die Deutschen den Klezmer so lieben, gibt es also nicht. Aber es gibt eine Reihe weiterer Fragen auf dem Weg zu einer deutsch-jüdischen Normalität: Zum Beispiel, ob sich Juden auch mal an deutscher Volksmusik versuchen sollten. Und sähe diese Normalität dann so aus, dass ein Jiddl mit‘n Fiddl in der Schlagerparade der Volksmusik Klassiker spielt wie "A Jiddische Mame" oder "Hava Nagila" – während das Publikum bierselig mitschunkelt. Kann man sich so die Normalität vorstellen? Oi vej, man will sich’s gar nicht ausmalen!
Musik:
1) Konsonans Retro,"A Podolian Affair". Oriente Musik 2007
2) Giora Feidman, "Very Klezmer". Pianissimo Musik 2012
3) Brave Old World, "Duz Gesang Fin Geto Lodzh". Winter & Winter Records 2005
4) CD Paul Brody, "For the Moment". Tzadik Rec 2007
5) "Hava Nagila", Jewrhythmics: Serving the Chosen, Essay Recordings 2011

Vom 3. bis zum 16. März 2014 trifft sich die internationale Szene beim Klezmer Festival Fürth. Zu den Highlights zählen die Klarinettisten David Krakauer und Christian Dawid oder die Sängerinnen Sasha Lurje und Vira Lozinsky.

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