Jörg van Essen: Bundeswehr nicht nach Kassenlage schrumpfen

Jörg van Essen im Gespräch mit Nana Brink · 24.08.2010
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Jörg van Essen, warnt davor, bei der Bundeswehr um jeden Preis zu sparen. Das Leben der Soldaten verbunden mit ihrer bestmöglichen Ausrüstung wiege höher als konkrete Sparvorgaben.
Nana Brink: Die Bundeswehr steht vor der größten Reform ihrer Geschichte: Wie klein darf es sein? Seit Wochen wird über eine Verkleinerung der Bundeswehr diskutiert, fünf Modelle kursieren zurzeit und gestern informierte Verteidigungsminister zu Guttenberg die Experten der Koalitionsfraktionen über seine Pläne. Er favorisiert das sogenannte Modell 4, was heißt, Reduktion der Truppe um ein Drittel. Am Ende käme die Bundeswehr auf rund 165.000 inklusive freiwillig Wehrdienstleistender. Und gerade Letztere sind das größte Streitthema neben der Verkleinerung. Verteidigungsminister zu Guttenberg möchte die Wehrpflicht aussetzen, aber noch im Grundgesetz verankert lassen.

Und über diese Pläne möchte ich jetzt sprechen mit Jörg van Essen, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP und Oberst der Reserve. Einen schönen guten Morgen, Herr van Essen!

Jörg van Essen: Ja, guten Morgen!

Brink: Bekommen wir jetzt auf schleichendem Wege eine Berufsarmee?

van Essen: Also ich glaube, wer Bundeswehr heute sieht, der weiß, dass sie eigentlich komplett aus Freiwilligen mit unterschiedlichem Status besteht. Einige haben sich als Berufssoldaten verpflichtet, einige als Zeitsoldaten, und diejenigen, die im Augenblick Wehrdienst leisten, sind im eigentlichen Sinne auch Freiwillige. Denn es werden ja nur noch etwa 15 Prozent der anstehenden jungen Männer tatsächlich zum Wehrdienst einberufen. Das heißt also, es gibt sehr viele Möglichkeiten, den Wehrdienst zu verweigern. Die, die kommen, die wollen wirklich Wehrdienst leisten.

Brink: Aber warum nennt man das Kind denn nicht so? Die FDP hat ja schon immer eine Berufsarmee gefordert und das, was jetzt passiert, ist doch Augenauswischerei: die Wehrpflicht aussetzen, aber im Grundgesetz verankert zu lassen?

van Essen: Nein, das ist, hat schon seine Gründe, warum das so geregelt wird. Denn Wehrpflicht besteht ja nicht nur aus dem Grundwehrdienst; interessanterweise wird der zweite Teil der Wehrpflicht überhaupt nicht betrachtet, nämlich der Dienst als Reservist. Die Bundeswehr ist auf Reservisten ganz intensiv angewiesen, weil die zum Beispiel Spezialausbildungen haben und der Bundeswehr wichtige Dienste leisten etwa in Afghanistan, aber auch auf dem Balkan, weil sie zum Beispiel bestimmte Sprachen sprechen, weil sie Landeskunde beherrschen.

Also von daher ist Wehrpflicht nicht nur Grundwehrdienst, sondern auch Reservistendienst, und wenn das im Grundgesetz bleibt, dann können weiter Reservisten in die Bundeswehr einberufen werden, und viele Reservisten wollen das ja auch. Ich bin selbst als Reservist bis zu meinem 60. Lebensjahr in der Bundeswehr tätig gewesen und hab das gerne getan.

Brink: Aber hätten Sie das nicht auch freiwillig getan?

van Essen: Das ist natürlich auch freiwillig, aber es gibt natürlich bestimmte Verwendungen, bei denen man auch die Möglichkeit haben muss, die Menschen einzubeziehen. Und es hilft ja auch denjenigen, die den Dienst leisten wollen, gegenüber ihren Arbeitgebern, dass die Bundeswehr sie anfordert, und dafür braucht man die gesetzliche Grundlage.

Brink: Die SPD kritisiert nun die Pläne nach dem Motto, Guttenberg sollte endlich einmal klar machen, dass er die Bündnisfähigkeit der Bundeswehr nicht aufs Spiel setzen darf. Das bezieht sich natürlich auf die Verkleinerung um ein Drittel. Wird die Bundeswehr einfach nach Kassenlage geschrumpft, oder wie soll sie Ihrer Meinung nach aussehen?

van Essen: Die Bundeswehr darf nicht nach Kassenlage geschrumpft werden, und deswegen werden wir uns als FDP sehr genau anschauen, wie die weiteren Pläne aussehen. Wir sind natürlich sehr froh darüber, dass es zu der von uns schon seit Langem geforderten Aussetzung voraussichtlich kommen wird, das dient auch der Bundeswehr. Ich bin ja selbst viele Jahre als Brigadekommandeur tätig gewesen, ich weiß, dass etwa ein Drittel unserer Soldaten mit der Ausbildung von Wehrpflichtigen beschäftigt ist und damit für Auslandseinsätze nicht zur Verfügung steht.

Etwa 7000 Mann und Frau setzen wir im Augenblick im Ausland ein und wir haben 250.000 Soldaten, aus denen diese Zahl regeneriert wird. Und das zeigt, wie gering die Zahl derer ist, die wir im Ausland einsetzen können. Das muss eindeutig verbessert werden und das führt im Übrigen dann auch zu einer besseren Bündnisfähigkeit. Also insofern hat der Minister unsere Unterstützung, aber das erfordert natürlich weitere Maßnahmen: Die Bundeswehr ist ganz klar und eindeutig kopflastig, wir haben zu viele Stäbe auf höherer Ebene, da muss das Ganze verschlankt werden.

Das erlebt man zum Beispiel als Kommandeur, indem man ständig Besuche von Inspizienten für alles Mögliche hat. Das kann man als Brigadekommandeur ganz locker mit einem LVU, also einem Lagevortrag zur Unterrichtung abarbeiten, aber in den Bataillonen, in den Einheiten erfordert das immer ganz erheblichen Zeitaufwand, wenn dann höhere Soldaten aus Stäben kommen. Das muss reduziert werden und deshalb gibt es auch entsprechende Vorschläge der FDP dazu.

Brink: Nun geht es ja aber auch um die Finanzierung und um das Einsparen, da wollen wir uns ja nichts vormachen, und die Vorgabe lautet: 8,4 Milliarden bis 2014. Aber man weiß ja jetzt schon, dass die Pläne des Verteidigungsministers nur bis zu zwei Milliarden bringen. Die Bundeskanzlerin sagte gestern noch, wir halten aber an diesen acht Milliarden fest. – Ja, über was reden wir denn da eigentlich jetzt?

van Essen: Ja da gibt es tatsächlich unterschiedliche Zielvorstellungen. Der Finanzminister möchte natürlich, dass diese Einsparungen im Verteidigungshaushalt kommen; auf der anderen Seite, ich bin in erster Linie Sicherheitspolitiker und wir haben eine Verantwortung gegenüber unserem Land. Der Verteidigungshaushalt in der Bundesrepublik Deutschland war im Vergleich zur Bevölkerungszahl immer schon besonders niedrig, und deshalb ist es besonders schwierig, im Verteidigungshaushalt zu sparen. Was wir uns anschauen müssen – und da gibt es sicherlich Einsparungspotenzial – sind Beschaffungsvorhaben.

Brink: Aber Sie sagen trotzdem, diese acht Milliarden sind unrealistisch?

van Essen: Das wird sich zeigen. Dass es Einsparanstrengungen in der Richtung geben muss, das wird von mir ausdrücklich unterstützt, deshalb habe ich gerade auch einige der Möglichkeiten genannt, wo man beispielsweise schauen kann, wie man zu weiteren Einsparungen kommen kann. Man muss beispielsweise schauen, ob die Zahl der Flugzeuge, die man bestellt hat, tatsächlich in diesem Umfang notwendig ist, und in vielen anderen Bereichen auch.

Ob das, was eigentlich in der Pipeline zur Beschaffung ansteht, ob das wirklich noch kommen muss. Eins ist für mich jedenfalls ganz klar: Die Soldaten, die im Auslandseinsatz stehen, brauchen die bestmögliche Ausrüstung, und daran darf nicht gespart werden. Und wenn das dazu führt, dass dann das Einsparziel nicht ganz erreicht werden kann, dann ist das Interesse des Lebens unserer Soldaten auch richtig und gut so.

Brink: Jörg van Essen, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP und Oberst der Reserve, und wir sprachen über die anstehende Reform und Verkleinerung der Bundeswehr. Vielen Dank für das Gespräch!

van Essen: Gerne!
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