Klaus Hänsch: EU hat sich in Libyen-Krise hinter Nato versteckt

Klaus Hänsch im Gespräch mit Hanns Ostermann · 18.04.2011
Anlässlich des 60. Geburtstags der Montanunion, einem Vorgänger der Europäischen Gemeinschaft, hat Klaus Hänsch eine Wirtschaftsregierung für die EU, eine geopolitische Strategie der Mitgliedsländer und mehr Zusammenhalt in der Außenpolitik verlangt.
Hanns Ostermann: Auf den Tag genau 60 Jahre ist es jetzt her, dass Länder in Europa einen Teil ihrer nationalen Hoheitsrechte abgegeben haben. Am 18. April 1951 schlossen sich Deutschland, Frankreich, Italien und die Beneluxstaaten zur Montanunion zusammen, also zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Nun könnte man denken, am 60. Geburtstag wird gefeiert, es knallen die Korken. Doch das Gegenteil ist der Fall. An die Keimzelle der heutigen EU will sich niemand so recht erinnern. Warum wird die Geschichte so wenig gewürdigt? Das habe ich Klaus Hänsch gefragt, er saß 30 Jahre lang im Europäischen Parlament und er war drei Jahre lang Präsident.

Klaus Hänsch: Weil sie so selbstverständlich ist und ein solcher Erfolg ist. Weil Erfolge feiert man, wenn sie gefährdet waren, aber wenn sie sich als selbstverständlich erweisen, dann glaubt man, sie nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Außerdem, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl hat ja 2002 aufgehört, und das bedeutet, dass man heute vielleicht den Blick nicht mehr auf dieses Ereignis fokussiert.

Ostermann: Andererseits gibt es die Probleme bei der Finanzkrise, es gibt die Schwierigkeiten bei der Stabilität des Euro. Da kann man doch nicht von einer Erfolgsgeschichte sprechen?

Hänsch: Oh ja, also der Euro hat sich über zehn Jahre bewehrt, auch gerade aus deutscher Sicht, er ist stabil geblieben und er ist nach außen stark geworden. Und was wir vergessen, ist, dass die Eurogemeinschaft, eigentlich die gesamte Europäische Union in der Bankenkrise im Anschluss an den Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 ja doch hervorragend solidarisch reagiert hat! Die Europäische Union, die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, haben gemeinsam genau so viel eingesetzt zur Rettung der Banken und zur Stabilisierung des Systems, wie es die USA getan haben. Also das ist das Eine, und das Zweite ist, wir müssen alle weg von der Illusion, die Europäische Union sei nur eine Wachstumsgemeinschaft mit beschränkter politischer Haftung. Sie ist längst auch eine Haftungsgemeinschaft, eine politische Haftungsgemeinschaft, und das zeigt sich im Grunde auch jetzt, trotz aller Probleme, die eine Krise, wie sie durch die Verschuldung, durch die öffentliche Verschuldung vieler Staaten, entstanden ist, gemeinsam gelöst werden und bewältigt werden kann. Aber bislang jedenfalls hat auch hier die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten – manchmal mit Zögern, manchmal mit Bedenken – aber doch im Prinzip richtig und ausreichend reagiert.

Ostermann: Sie sprechen von einer Haftungsgemeinschaft. Entsprechend groß die Angst bei vielen jedenfalls, was das Sparbuch betrifft. Warum ist es bis heute den Politikern nicht gelungen, diese Sorgen zu nehmen?

Hänsch: Weil sie sich nicht richtig und nicht verantwortungsbewusst genug über die gemeinsame Währung äußern. Die Europäische Union als Binnenmarkt braucht diese gemeinsame Währung, auch gerade die Bundesrepublik Deutschland braucht sie, und das bedeutet nun, dass man dann auch eine entsprechende gemeinsame Politik machen muss. Das Problem ist doch nicht, dass wir jetzt Rettungsschirme aufspannen. Das ist notwendig, das ist schwierig genug, das ist alles wichtig, aber es ist keine wirkliche Krisenvorsorge für die nächste Krise, die ja doch immer zu erwarten ist. Die Europäische Union braucht das, was für eine gemeinsame Währung notwendig ist, nämlich eine gemeinsame Wirtschaftsregierung, die in der Lage ist, die Wirtschafts-, Fiskal- und Haushaltspolitiken der Mitgliedsstaaten zu koordinieren in Richtung auf eine stabile Währung und in Richtung auch auf eine Wachstumsgemeinschaft.

Ostermann: Bis dahin werden noch einige Jahre vergehen und in der Außen- und Sicherheitspolitik, da preschen nicht selten Frankreich und Großbritannien voran. Ist das nicht auch ein Indiz, dass nach außen von einer Union nun wirklich noch nicht gesprochen werden kann?

Hänsch: Es ist nicht so, dass man von einer Union nach außen gar nicht sprechen kann, aber es ist schon richtig, dass in der Libyen-Krise die Europäische Union hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben ist. Sie kann sich dabei immer noch jetzt – dieses Mal jedenfalls – hinter dem Streit und der Unsicherheit in der NATO verstecken, aber künftig muss Europa seine eigene Nachbarschaftspolitik führen können. Und dazu hat sie sich in der jetzigen Krise nicht in der Lage gezeigt. Also sie hat kein ausreichendes Krisenmanagement und sie hat vor allen Dingen – das ist noch viel schlimmer – keine gemeinsame geopolitische Strategie.

Ostermann: Liegt das an Frau Ashton, an der Außenbeauftragten, die nur wenige ernst nehmen?

Hänsch: An ihr liegt es wohl am wenigsten, aber natürlich auch. Nein, nein, es liegt schon daran, dass die großen Mitgliedsstaaten, diejenigen, die allein zu einer wirklich gemeinsamen aktiven Außen- und Sicherheitspolitik und Verteidigungspolitik fähig wären – dazu gehört eben auch Deutschland – sich in einer wichtigen Frage nicht einig waren und sich Deutschland aus einer gemeinschaftlichen europäischen Haltung innerhalb der NATO ausgeklinkt hat.

Ostermann: Sie denken da an die Abstimmung vor den Vereinten Nationen?

Hänsch: Ich denke da an die Abstimmung in den Vereinten Nationen als Mitglied des Sicherheitsrates, und ich denke auch daran, dass natürlich die Bundesrepublik Deutschland sich mit den Partnern innerhalb der Europäischen Union, was jetzt notwendig sein wird, enger abstimmen muss, als sie das bislang getan hat.

Ostermann: Wie uneins sich die 27 Mitgliedsstaaten sind, das sieht man nicht zuletzt an der Flüchtlingsdebatte. Italien will Hilfe, eine einvernehmliche Immigrationspolitik gibt es nicht. Wie wichtig wäre die?

Hänsch: Die ist entscheidend. Also es gibt zwei Bereiche im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber den Nachbarregionen der Europäischen Union, sei es Osten, sei es Südosten, sei es der Süden und Nordafrika. Sie braucht einerseits eine gemeinsame geopolitische Strategie, die den Stellenwert der Menschenrechte, der Bürgerrechte in eine europäische Interessenpolitik einbettet, und sie braucht zweitens eine gemeinsame Einwanderungspolitik. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer auf Europa zuströmen, von einem Land nur aufgenommen werden müssen, sondern es muss eine gemeinsame Einwanderungs-, nicht Asyl-, sondern Einwanderungspolitik geben. Was bedingt, dass man einerseits sich darüber klar ist, wer wird zurückgeschickt, und zweitens – wenn Einwanderung nötig und möglich ist –, wie wird das innerhalb der Europäischen Union verteilt.

Ostermann: Unter dem Strich, Herr Hänsch: Wie steht es um die Europäische Union?

Hänsch: Es steht, gemessen daran, dass die Europäische Union ja nicht als Ruhegemeinschaft gegründet worden ist, sondern als Friedensgemeinschaft, das heißt, als eine Gemeinschaft, die immer, zu deren geschichtlicher Bestimmung es gehört, Krisen zu bewältigen, muss ich sagen, steht es gar nicht so schlecht. Dass man in Krisen miteinander diskutiert, manchmal auch um die richtige Lösung ringt, das ist ja nicht nur auf nationalstaatlicher Ebene, sondern eben auch auf europäischer Ebene so. Und gemessen daran ist die Europäische Union eigentlich – obwohl ich weiß, das erstaunt viele – auf einem guten Weg.

Ostermann: Klaus Hänsch, der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, zum 60. Geburtstag der Montanunion. Herr Hänsch, danke für das Gespräch im Deutschlandradio Kultur!

Hänsch: Ich bedanke mich auch!



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