Kommentar zu #MeToo-Urteil

Vorwürfe gegen Volksbühnen-Intendanten sind noch nicht vom Tisch

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Klaus Dörr, ehemaliger Intendant der Berliner Volksbühne, bei einer Pressekonferenz. Er trägt dunklen Anzug und dunkles Hemd. Seine rechte Hand liegt auf dem Bauch, mit der linken gestikuliert er.
Freigesprochen: Klaus Dörr, ehemaliger Intendant der Berliner Volksbühne, hier bei einer Pressekonferenz. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Barbara Behrendt  · 27.08.2022
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Der ehemalige Intendant der Berliner Volksbühne, Klaus Dörr, hat vor Gericht gegen die "taz" gesiegt. Die will nun in Berufung gehen. Kein Grund zur Genugtuung, meint Kommentatorin Barbara Behrendt: Häme gegen die "taz-Autorin sei unangebracht.
Es geht also in die nächste Runde. Die "taz" darf Klaus Dörr nicht mehr in Zusammenhang mit Upskirting erwähnen. Dagegen geht die "taz" in Berufung, weil sie, so erklärt es ihre Chefredakteurin Ulrike Winkelmann, für die Pressefreiheit kämpfen will. Es gebe Zeuginnen und Zeugen, die vor Gericht nicht gehört worden seien. Das Ganze kann sich noch ein Jahr hinziehen, heißt es.
Wenn das Gericht bei seinem Urteil bleibt und Klaus Dörr beim „Upskirting“ – dem gezielten Fotografieren oder Filmen unter den Rock oder das Keid einer Frau – zu Unrecht beschuldigt wurde, so ist damit nur einer der vielen Vorwürfe entkräftet, die ihm gemacht worden sind. Sexistische Sprüche, unangemessene Berührungen und nächtliche SMS – das sind zwar keine justiziablen Vergehen, aber sie legen doch ein Machtgebaren nahe, das sich keine Frau gefallen lassen muss oder soll.

"Blindlings denunziert"?

Natürlich wäre es besser, bei dämlichen, herabwürdigenden Machosprüchen, bei ungewünschten Händen auf Knien und Taillen sofort zu reagieren und nicht erst Jahre später über die Presse Alarm zu schlagen. Aber in Abhängigkeitsverhältnissen ist es nun mal nicht immer leicht, den Chef in seine Schranken zu verweisen. Dafür muss sich erst das gesellschaftliche Klima verändern.
Es ist zwar schon manches anders geworden in der Wahrnehmung, wann Machtmissbrauch beginnt. Aber wer meint, es würde inzwischen viel zu scharf gegen Sexisten Wind gemacht, der lese die Kommentare, die nun nach dem publik gemachten gewonnenen Prozess im Internet kursieren. All jene Menschen, heißt es da etwa, die Dörr „blindlings denunziert“ hätten, sollten jetzt „um Vergebung bitten“, die „eigene Schande“ eingestehen.

Kritikerin wurde verunglimpft

Noch polemischer geht es abseits des Netzes in der Tagespresse zu, vor allem in der "Berliner Zeitung". Hier werden die Frauen, die sich bei der Vertrauensstelle Themis gemeldet hatten, regelrecht verunglimpft. „Läppische Vorwürfe“ seien das, „dubiose Vorgänge“, mit denen die "taz"-Autorin eine Theaterkarriere zerstört und ihre eigene vorangebracht habe.  
Es wird auch gemutmaßt, es könne sich bei den Beschwerden gegen Dörr um die Kampagne einer feministischen Aktivistin handeln, die sich habe rächen wollen, weil der Intendant sie nicht an die Volksbühne geholt hat. Das ist durchaus möglich. Aber es erklärt nicht, warum sich gestandene Frauen namentlich und öffentlich über Dörrs Verhalten beschweren, die mit ihm an verschiedenen Theatern und in unterschiedlichen Jahrzehnten zusammengearbeitet haben.

Check durch Justiziare

Selbstverständlich kann man bei einer Geschichte wie dieser gar nicht umsichtig genug recherchieren. Schnell bleibt eine bloße Vermutung an einem Menschen haften. Und es gibt in der Tat Medien, die allzu kurze Schlüsse ziehen und den Volksbühnen-Intendanten damals im gleichen Atemzug mit Harvey Weinstein nannten, der sich tatsächlich strafbar gemacht hatte.

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Die normale Leserschaft macht sich allerdings keine Vorstellung, wie viele eidesstattliche Erklärungen bei einer Erstrecherche wie die der "taz" unterzeichnet und wie viele Justiziare um Durchsicht gebeten werden, bevor eine derartige Anschuldigung in den Druck geht. Trotzdem steht letztlich oft Aussage gegen Aussage, das lässt sich nicht vermeiden.

Mediale Häme und Genugtuung

Das Erstaunliche ist nun also nicht, dass Klaus Dörr bis auf Weiteres vom Vorwurf entlastet ist, Mitarbeiterinnen unter den Rock fotografiert zu haben, sondern, welche Häme und Genugtuung das medial auslöst.
Und es entsteht der Eindruck: Alles, was nicht justiziabel ist, ist gestattet. So wird man sie bestimmt nicht los, die Männer und Frauen mit zu viel unkontrollierter Macht, nicht nur am Theater, die meinen, sich alles erlauben zu können.
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