Kirchen im Nationalsozialismus

Kaum Protest und späte Aufarbeitung

08:25 Minuten
Der katholische Theologe und Bischof von Hildesheim, Adolf Bertram, 1935.
Erzbischof Adolf Bertram, hier 1935 in Berlin, versuchte, sich als Vorsitzender der Bischofskonferenz mit dem nationalsozialistischen Regime zu arrangieren. © picture alliance / akg-images
Von Michael Hollenbach · 22.01.2023
Audio herunterladen
Viele Geistliche stützten das NS-Regime. Führende Protestanten hatten die "gottlose" Weimarer Republik abgelehnt. Auch katholische Bischöfe arrangierten sich mit den Mächtigen. Bis heute wurde diese unrühmliche Rolle der Kirchen kaum aufgearbeitet.
Es ist die bislang einzige umfassende Untersuchung über das Verhältnis der evangelischen Pfarrerschaft zum Nationalsozialismus. Der Kieler Historiker Helge-Fabien Hertz hat die Akten aller 729 Pastoren der Landeskirche Schleswig-Holsteins zwischen 1933 und 1945 ausgewertet. Sein Befund: Nur vier von ihnen protestierten öffentlich gegen die neuen Machthaber, 80 Prozent der Pastoren gingen eindeutig konform mit dem Nationalsozialismus.

Viele Pfarrer waren Anhänger Hitlers

"NS-konform heißt, dass sich diese Pastoren in der NSDAP, in der SA und in anderen Organisationen politisch für den Nationalsozialismus einsetzten", erklärt Hertz, "dass sie sich auch kirchenpolitisch organisierten und für den Nationalsozialismus eintraten und dass sie nicht zuletzt auch im Rahmen des Pfarramtes, also von der Kanzel, für den NS warben - und das, obwohl gerade Pastoren einen gewissen Handlungsspielraum hatten, weil eben die Kirchen im Nationalsozialismus doch einen gewissen Schutzraum boten, der auch abweichendes Verhalten ermöglicht hätte."
Helge-Fabien Hertz bezeichnet die evangelische Kirche im Norden als eine der Säulen des Nationalsozialismus. Die große Schnittmenge zwischen Pfarrerschaft und Nationalsozialisten sieht der Historiker im Antikommunismus, im Nationalismus und in der Judenfeindschaft. Auch und gerade die Pfarrer der Bekennenden Kirche, die sich eigentlich gegen die Einflussnahme der Nationalsozialisten auf kirchliche Belange wehrten, waren zum Teil glühende Anhänger Hitlers.
"Wahrung der kirchlichen Autonomie bedeutet eben: Kirche muss Kirche bleiben", sagt Hertz, "aber trotzdem waren die meisten überzeugte Anhänger des Nationalsozialismus und traten auch aktiv für den Nationalsozialismus ein. In Schleswig-Holstein beispielsweise stellte die Bekennende Kirche die größte Fraktion an SA-Pastoren."
SA-Pfarrer, das bedeutete keineswegs, dass man sich nur verbal für die Nazis einsetzte, so Hertz:
"Nicht zuletzt muss man erwähnen, dass einige Pastoren bereits vor 1933 als SA-Männer sogenannte 'Saalschlachten' schlugen, eben sich handgreiflich für den Nationalsozialismus einsetzten, auch auf der Straße, wobei es oftmals nicht ohne Blutvergießen ausging."

Auch katholische Bischöfe arrangierten sich

Die Studie von Helge-Fabien Hertz kann man sicherlich nicht eins zu eins auf alle evangelischen Landeskirchen übertragen, aber sie zeigt die große Nähe zwischen den Protestanten und der NSDAP. Etwas anders sah es bei den Katholiken aus. So gibt es 1932 durchaus eine Korrelation zwischen sehr katholischen Regionen und einem unterdurchschnittlichen Abschneiden der NSDAP bei den Wahlen. In protestantisch geprägten Gegenden dagegen schnitt die NSDAP überproportional gut ab.
95 Prozent der im KZ Dachau inhaftierten Geistlichen waren katholisch, darunter sehr viele polnische Priester. Dennoch arrangierten sich auch die meisten katholischen Bischöfe mit dem Regime. Allen voran Adolf Bertram. Seit Ende des Ersten Weltkrieges bestimmte der Kardinal 26 Jahre lang – also auch während der Zeit des Nationalsozialismus – als Vorsitzender der Bischofskonferenz die katholische Kirchenpolitik in Deutschland.
Während der nationalsozialistischen Diktatur setzte Bertram klare Akzente: "Es ging ihm darum, die vitalen Interessen der katholischen Kirche, das schreibt er immer wieder, zu schützen. Und was ist das? Aufrechterhaltung der kirchlichen Institutionen, um Seelsorge zu gewährleisten", erläutert Bertram-Biograf Sascha Hinkel. Dass die Juden – so die heutige Sichtweise der Kirchen – eigentlich Geschwister im Glauben sind, das sah Bertram anders.

Geburtstagsgrüße an den "Führer"

Eine Intervention gegen den geplanten Boykott jüdischer Geschäfte 1933 lehnte Bertram ab. Sascha Hinkel nennt seine Beweggründe: "Ein katholischer Bischof ist für wen zuständig? Für seine Katholiken. Der ist nicht für Juden zuständig. Die Juden können für sich selbst sorgen, jüdische Institutionen sind für die Juden zuständig. Das sagt er im Prinzip schon 33, und das führt er fort bis 1945."
Adolf Bertram war ein Mann der stillen Diplomatie. Er sah, dass die nationalsozialistischen Repressionen auch gegen die Katholiken immer stärker wurden, aber er setzte auf die Eingabe-Politik. Höfliche Schreiben an das Kirchenministerium, später auch an Hitler persönlich bleiben aber ohne jeglichen Erfolg.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Öffentlich wahrnehmbar war dagegen sein im Namen der deutschen Bischofskonferenz verfasster Glückwunsch an Hitler zu dessen Geburtstag am 20. April 1940: "Es geschieht das mit den heißen Gebeten, die die Katholiken Deutschlands am 20. April an den Altären für Volk, Heer und Vaterland, für Staat und Führer zum Himmel senden."
Von wenigen Ausnahmen abgesehen wagten beide Kirchen bis zum Schluss nicht den offenen und öffentlichen Protest gegen den Nationalsozialismus. Und nach 1945 versuchte man das Thema unter den Teppich zu kehren.

Schuldbekenntnisse blieben allgemein

"Es hat zwar ein paar Schuldbekenntnisse gegeben – das bekannteste ist die Stuttgarter Schulderklärung –, die blieben aber inhaltlich alle sehr allgemein und haben vor allem keinerlei Ansätze für eine kritische sachliche Analyse der nicht selten ja eher unrühmlichen Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus geboten", sagt die Theologin Nora Andrea Schulze. "Eher noch wurden die Selbstdarstellung als Opfer des NS-Regimes und Widerstandslegenden kultiviert."
Schulze hat eine Biografie über Hans Meiser verfasst, Bischof der bayerischen Landeskirche von 1933 bis 1955. Nach 1945 blickten die Kirchenleiter sehr gnädig auf jene Pastoren, die tief in den Nationalsozialismus verstrickt waren, sagt Schulze:
"Am Anfang haben die Besatzungsmächte noch gemeint, dass sie den Kirchen die Entnazifizierung der Pfarrer selbst überlassen können. Das hat sich allerdings schnell als Fehleinschätzung herausgestellt." Denn die Kirchenleitungen seien eben nicht bereit gewesen, bei der Pfarrerschaft nach denselben Kriterien vorzugehen, die die Besatzungsmächte bei der Entnazifizierung der sonstigen Bevölkerung angelegt haben.

Engagement für verurteilte Kriegsverbrecher

Nur wenige Pfarrer wurden in den Ruhestand geschickt, die meisten belasteten Pastoren versetzte man höchstens in eine andere Gemeinde. Stattdessen engagierten sich Kirchenobere wie der Kirchenpräsident der pfälzischen Kirche Hans Stempel für verurteilte Kriegsverbrecher. Das galt auch für den bayerischen Bischof, wie Nora Andrea Schulze erklärt:
"Dabei meinten Meiser und seine kirchlichen Kollegen in der Leitung der EKD zwar für Recht und Gerechtigkeit einzutreten, hatten aber offenbar überhaupt kein Bewusstsein dafür, dass sie mit ihrem Engagement die NS-Verbrechen marginalisiert haben und auch noch einseitig Partei für NS-Täter ergriffen haben, anstatt – wie man es heute erwarten würde – für die Opfer des Nationalsozialismus einzustehen."
Es dauerte bis in die 1980er-Jahre, bis sich auch die Kirchen kritisch und fundiert mit ihrer eigenen Geschichte während des Nationalsozialismus auseinandersetzten. Selbst heute tun sich manche Pfarrerinnen und Pfarrer immer noch schwer damit, offen über die allzu große Nähe ihrer Kirche zum Nationalsozialismus zu reden.
Mehr zum Thema