Kinostarts

Als Mathegenie im rassistischen Süden

Szene aus "Hidden Figures"
Taraji P. Henson als "Katherine G. Johnson" in dem amerikanische Spielfilm "Hidden Figures". © imago/Entertainment Pictures/ZUMAPRESS.com Atlanta U.S.
Von Christian Berndt |
In "Hidden Figures" erzählt Regisseur Theodore Melfi die Geschichte von drei bedeutenden, schwarzen NASA-Wissenschaftlerinnen in den 60er-Jahren. Ansonsten laufen noch der in Cannes gefeierte Film "The Salesman" und der Antikriegsfilm "Die irre Heldentour des Billy Lynn" an.
Amerika 1961. Die Russen haben gerade den ersten Menschen ins All geschickt. Präsident Kennedy will das auch, deshalb braucht die NASA dringend Wissenschaftler – solche wie Katherine, Mary und Dorothy. Die drei sind hochbegabte Mathematikerinnen – und schwarz. Für Chef-Ingenieur Harrison, gespielt von Kevin Costner, ein Novum:
"Wie ist der Status in Sachen Mathematiker? – Sie steht direkt hinter Ihnen, Mr. Harrison. – Hat sie Ahnung von Vektorgeometrie? – Selbstverständlich, und sie kann sprechen. – Ja Sir, kann ich. – Was jetzt? – Beides: Geometrie und sprechen."
Der amerikanische Spielfilm "Hidden Figures" erzählt die Geschichte von drei bedeutenden, heute fast vergessenen, schwarzen NASA-Wissenschaftlerinnen. In den 60er-Jahren herrscht in den Südstaaten, wo das NASA-Hauptquartier sitzt, strikte Rassentrennung. Katherine, gespielt von Taraji P. Henson, ist ein Mathematik-Genie, aber sie darf nicht die Toiletten im Gebäude benutzen:
"Sie sind nie da, wo ich Sie brauche, wo zum Teufel gehen Sie jeden Tag hin? – Die Toilette für Farbige ist eine Meile weit weg."
Regisseur Theodore Melfi inszeniert "Hidden Figures" auf klassisch-konventionelle Art, aber die Hollywood-übliche Mischung aus persönlicher und historischer Erzählung funktioniert überzeugend. Atmosphärisch ins Zeitgeschehen eingebettet führt der Film sehr anschaulich und berührend vor Augen, wie sich die demütigende Diskriminierung anfühlte. Mit warmherzigem Blick und Witz beschreibt Melfi die Selbstbehauptung der Frauen in einer rassistischen Welt, die absurd fern erscheint, aber noch immer nicht vergangen ist.

Szene aus dem Film "Hidden Figures"
Janelle Monae (l) als "Mary Jackson", Taraji P. Henson als Katherine G. Johnson und Octavia Spencer als "Dorothy Vaughan" in dem Film "Hidden Figures".© imago/Entertainment Pictures/ZUMAPRESS.com Atlanta U.S.

Schleichende Entfremdung in "The Salesman"

Von gesellschaftlichen Widersprüchen erzählt auch der iranisch-französische Film "The Salesman". Das Schauspieler-Ehepaar Emad und Rana muss umziehen, weil das Mietshaus, in dem sie wohnen, einzustürzen droht. Die beiden sind froh, schnell eine Bleibe gefunden zu haben, aber dann wird Rana in der neuen Wohnung überfallen. Es stellt sich heraus, dass hier vorher eine Prostituierte wohnte, wahrscheinlich war der Eindringling ein Freier. Rana will aus Scham nicht zur Polizei, Emad versteht seine Frau nicht:
"Ich will rausfinden, wer der Kerl war. – Und wenn Du es rausfindest, wird er sagen, ich habe mich vertan. – Vertan? In der falschen Wohnung? – Wenn ich über die Gegensprechanlage gefragt hätte, wer da ist, wäre das alles nicht geschehen. – Wenn das so einfach ist, dann erkläre das doch den Nachbarn. – Was haben die Nachbarn damit zu tun? – Die wussten doch, was in der Wohnung los war. – Und wenn sie es nicht wüssten, wäre dann alles leichter für Dich? – Was redest Du da?"

Der iranische Regisseur Asghar Farhadi erzählt mit einer bis zum Zerreißen sich steigernden Spannung von einem schleichenden Entfremdungsprozess. Wie in seinem Oscar-prämierten Scheidungsdrama "Nader und Simin" spiegeln sich auch im bitteren Realismus von "The Salesman" die gesellschaftlichen Probleme des Landes wider – von der Zensur bis zu den komplizierten Geschlechterbeziehungen. Im Iran war der in Cannes ausgezeichnete Film ein immenser Publikumserfolg, die Behörden wollten die Nominierung für die diesjährige Oscar-Verleihung verhindern – ohne Erfolg.
Szene aus dem Film "The Salesman"
Szene aus dem Film "The Salesman" mit den Schauspielern Taraneh Alidoosti und Shahab Hosseini. © picture alliance/dpa/Cannes Film Festival / Handout

Antikriegsfilm "Die irre Heldentour des Billy Lynn"

Geradezu bizarr sind die Widersprüche zwischen Realität und öffentlicher Wahrnehmung in Ang Lees Romanverfilmung "Die irre Heldentour des Billy Lynn". 2004 wird der im Irak dienende, 19-jährige Soldat Billy zum Kriegshelden, weil ihn zufällig ein Fernsehteam bei einer todesmutigen Rettungsaktion gefilmt hat. Nun wird er mit seinen Kameraden auf eine Propagandatour durch die USA geschickt. Höhepunkt ist der Auftritt bei einem Football-Spiel:
"Wir müssen euch für die Halbzeit fertig machen. Zuerst, was werdet ihr tragen? – Unsere Ausgehuniform. – Geht nicht. Ich brauche so ein bisschen mehr 'Ran an den Feind'. Was habt ihr sonst noch? – Unsere Wüstentarnanzüge. – Ist doch perfekt!"

Dann folgt die Bühnenshow, bei der die Soldaten zur Live-Musik die Showtreppe runter marschieren. Ein bizarres Spektakel, das den Krieg als Pop-Show inszeniert. Der traumatisierte Billy wird beim Feuerwerk dagegen plötzlich an die Kriegsgefechte erinnert. Seine Schwester, ausdrucksstark gespielt von Kristen Stewart, will nicht, dass er in den Irak zurückkehrt:
Szene aus dem Film "Die irre Heldentour des Billy Lynn"
Schauspieler Joe Alwyn als "Billy" in dem Film "Die irre Heldentour des Billy Lynn".© imago/Entertainment Pictures/ZUMAPRESS.com) Atlanta U.S.
"Ich bin zum Psychologen gegangen. Er war eine Weile im Militärhospital… – Kat, es geht mir gut. – Wie das denn? Es gibt zig Möglichkeiten, da wegzukommen. Ich meine, du bist ein dekorierter Kriegsheld, das ist nichts, wofür du dich schämen musst. – Ich geh wieder zurück, Kat. Muss ich doch."
Billy, bemerkenswert in seiner ersten Filmrolle gespielt von Joe Alwyn, findet sich zuhause nicht mehr zurecht. Ang Lee zeigt auch in "Billy Lynn" seine Stärke, schonungslos beobachtend und empathisch zugleich den Figuren zu folgen. Eindrücklich beschreibt er die Entfremdung der jungen Männer von ihrem früheren Leben, Geborgenheit finden die Soldaten nur noch bei ihren Kameraden. Der Film hebt sich wohltuend von einem Hollywood-Heroismus, wie ihn zuletzt Mel Gibsons "Hacksaw Ridge" zelebrierte, ab, indem er die Heldenverehrung in grandiosen Bildern als hurrapatriotischen Pausenfüller vorführt. Das ist keine neue Botschaft, aber in dieser bildstarken und sensiblen Darstellung packend.
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