Kinokolumne Top Five

Plakatwände, ganz groß!

Szene aus dem Film "Drei Plakatwände bei Ebbing, Missouri"
Szene aus dem Film "Drei Plakatwände bei Ebbing, Missouri" © imago / Fox Searchlight Pictures
Von Hartwig Tegeler · 20.01.2018
In Martin McDonaghs Film "Drei Plakatwände bei Ebbing, Missouri" prangert eine trauernde Mutter auf riesigen Tafeln die Arbeit der Polizei an: Die Cops konnten den Mord an ihrer Tochter nicht aufklären. Auch in anderen Filmen gewinnen Plakatwände große Bedeutung.
Filmzene aus der Komödie "Goodbye, Lenin!".
Filmzene aus der Komödie "Goodbye, Lenin!".© imago / Celebrities Entertaintment Film Kbdig

Platz 5 : "Goodbye, Lenin!" von Wolfgang Becker (2003)

Der Prolog von "Goodbye, Lenin!" ist voller Werbetafeln und Plakatwänden. Am 40. Geburtstag der DDR - Oktober ´89 - quillt Ost-Berlin nachgerade über vor roten Plakatwänden und Fahnen, die die Hoffnung auf eine bessere Zukunft bewerben. Wer glaubt´s noch? Später, nach der Wende, wenn Alexander - Daniel Brühl - verzweifelt versucht, der todkranken Mutter die Existenz des real existierenden Sozialismus vorzugaukeln, rollt noch eine rote Fahne die Hauswand gegenüber Mutters Schlafzimmerfenster runter. Diesmal nicht SED, sondern Coca-Cola. Das Rot macht sich zu Werbezwecken immer gut.

Platz 4: "Ghost in the Shell" von Rupert Sanders (2017)

Über den urbanen Schluchten steht der Cyborg - Scarlett Johansson - lauernd, wachend. Ob sie in diesem Gewirr aus Stadt-Autobahnen und Wolkenkratzern dieser nahen Zukunft noch die Werbetafeln wahrnimmt? Bunte, gigantische Hologramme, eine Frau, ein Mann, mal Koi-Karpfen, die in der Luft um die Skyscraper schwimmen. Werbung wofür? Tja, vielleicht dafür, dass die Grenzen zwischen der realen Welt und der virtuellen schon lange keine mehr ist. Alles Daten?!

Platz 3: "Minority Report" von Steven Spielberg (2002)

Wenn Tom Cruise alias Chief John Anderton auf der Flucht neue Kleidung braucht, haben ihn vor dem Eintritt in die Boutique Kameras gescannt, seine Daten abgeglichen mit Big Data. Kaum ist er eingetreten, erscheinen auf riesigen Werbetafeln an der Wand des Geschäfts individualisierte Werbebotschaften, mit der eine Frau im Business-Kostüm lockt, während Billie Holiday "Solitude" haucht. Datenschützer gibt es in dieser Welt des Jahres 2054 sicher nicht mehr. 2054 minus 2018 ergeben 36 Jahre. Meine individualisierte Werbetafel beim Online-Versandhändler ist noch kein Hologramm, trägt aber den verführerischen Titel "Inspiriert durch Ihre Wünsche". Die Zukunft steckt in der Gegenwart.

Platz 2: "Hell or High Water" von David Mackenzie (2016)

So funktionierte der Deal der Bank für die Mutter von Tanner und Toby: Sie bekam einen Kredit, der gerade so hoch war, dass sie arm blieb und doch die Rückzahlung schaffte. Die Banken reißen sich - das ist der gesellschaftskritische Kern des Neo-Western "Hell or High Water" - das Land der armen Leute unter den Nagel, weil darunter Gas oder Öl zu finden ist. Diesen, ja bösartigen Kredit der Texas-Midland bedienen die Brüder mit dem Geld, das sie aus den Filialen der Texas-Midland rauben. Welche Folgen Abzocke und Betrug für das ganze Land haben, wird in "Hell or High Water" sinnfällig, wenn die Brüder nach ihrem ersten Banküberfall auf der Landstraße lang rasen. Schrottplätze, Ruinen, Ödnis sind zu sehen, und immer wieder Werbetafeln. Doch die Zeit der Versprechen ist vorbei. Die Billboards zeigen nun in großen Lettern eindringlich die dunkle Realität: "Closing Down - Geschäftsaufgabe" oder "Debt relief - Schuldenerlass".

Platz 1: "Inglourious Basterds" von Quentin Tarantino (2009)

Von oben fährt die Kamera am Neon-Schild "Cinema" herunter, vorbei am Plakat des Georg-Wilhelm-Pabst-Films "die Weiße Hölle vom Piz Palü". Etwas tiefer dann zu sehen das Wesentliche: die roten Buchstaben. Unzählige Filme könnten hier auf Platz 1 gelangen, weil unzählige Filme die mythische halbrunde Werbefläche mit den riesigen Buchstaben zeigen. In magischen roten Buchstaben steht da geschrieben der Name des Films, der läuft. Tarantino gibt diesem Geliebten und Vertrauten, das Kino-Sehnsüchte auslöst, zusätzlich eine wunderbare sinnliche Dimension, wenn Mélanie Laurent als jüdische Widerstandskämpferin und Pariser Kinobesitzerin während der Nazi-Besatzung, mit einem Weidenkorb voll mit diesen roten Buchstaben aus dem Kino tritt, auf die Holzleiter steigt, um die alten abzunehmen und die neuen Buchstaben aufzuhängen, die ein Film-Festival anzukündigen. Diese kinematographische Werbetafel aber - bigger than life -, belügt uns als einzige nie, denn allein ihre Existenz ist schon das eingelöste Versprechen, das da lautet: Gehe hinein und du findest eine andere Realität. Immer.
Mehr zum Thema