Kino-Kolumne Top Five

"Widerstände sind etwas Gutes"

Günter Rohrbach bei der Verleihung der Berlinale Kamera für Günter Rohrbach im Friedrichstadtpalast in Berlin, 2010
Ausgezeichnet: Günter Rohrbach erhält die Berlinale Kamera (2010) © dpa / picture alliance / Sascha Radke
Von Hartwig Tegeler  · 20.10.2018
Günter Rohrbach wird am 23. Oktober 90 Jahre alt - und wir gratulieren ihm vorab schon mal mit einem Best of seiner Filme, kuratiert von Hartwig Tegeler.

Platz 5: "Smog" (1973)

Regie: Wolfgang Petersen
Eine Smog-Katastrophe im Ruhrgebiet. Das WDR-Fernsehspiel erzählte im Stil einer Doku. Zahlreiche Fernsehzuschauer glaubten, dass das, was sie da sahen, Realität war. Ein Ministeriumssprecher erläutert im Film "Smog", wie auf die Stilllegung der Fabriken wegen des Smogs reagiert wurde:
"Die Herren der Industrie haben in dieser Phase keinen Augenblick versucht, irgendwie Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen, das ist auch überhaupt nicht versucht worden."
In der Realität sah es ganz anders aus. Schon vor der Ausstrahlung von WDR-Fernsehspiels - verantwortlich Günter Rohrbach - gab damals Proteste von Industrie und Kommunen gegen die vorgeblich industriefeindliche Haltung des Films. Empörung, Skandal - das sollte nicht das letzte Mal so gewesen sein bei einem Projekt, das Günter Rohrbach zu verantworten hatte.
Als da war die alte Geschichte vom Gestrandeten in der Metropole Berlin der Weimarer Republik.
"Biberkopf, Franz. Die Papiere zur Entlassung."

Platz 4: "Berlin Alexanderplatz" (1980)

Regie: Rainer Werner Fassbinder
Eine vierzehnteilige Serie, die das deutsche Fernsehpublikum empörte: zu schmutzig, zu brutal, viel zu dunkel, wie sollte man da erkennen? Kongeniales Treffen zwischen Döblin und Fassbinder. Und die Boulevardpresse tobte über dieses Meisterwerk einer Fernsehserie. Vielleicht hat Günter Rohrbach, der das für den WDR zu verantworten hatte, damals ja schon gedacht:
"Widerstände machen einen ja stärker, also Widerstände sind etwas Gutes."

Platz 3: "Aus einem deutschen Leben" (1979)

Regie: Theodor Kotulla
Ein Mann wird zum Massenmörder: Das ist die Geschichte des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, den Götz George in einer kaum zu ertragenden Intensität als gepanzerten Mann spielt, der alle Gefühle von Menschlichkeit dem Befehlsgehorsam opfert.
"Meine Pflicht ist es zu gehorchen. Sie müssen begreifen, ich dacht an die Juden in Einheiten, nicht als menschliche Wesen."
Diese Strukturanalyse des Untertanengeistes ist eine der eindrucksvollsten filmischen Auseinandersetzungen mit dem Holocaust. Günter Rohrbach zog damals für das WDR-Fernsehspiel Filmemacher wie Kotulla, Wenders, Fassbinder quasi an.
Günter Rohbach: "Das gab es eben diese zunehmende Zahl von jungen, sehr kreativen, lebendigen Regisseuren, die eigentlich Kino machen wollten, aber das Kino hat sie nicht gewollt."
Und deswegen kamen sie dann doch ins Kino. Über den Umweg über das Fernsehen.
"Hotel Lux" - Läuft weiter!"

Platz 2 : "Hotel Lux" (2011)

Regie: Leander Haußmann
Dass die filmische Annäherung an den Terror des Stalinismus der 1930er Jahre mit "Hotel Lux" so eindrucksvoll funktioniert, liegt an den präzisen Bildern, die sich in dieser Tragikomödie immer wieder finden. Als es im Hotel Lux wieder nachts klopft, als alle verzweifelt hinter ihren Türen hoffen, nicht von Stalins Geheimdienst abgeholt zu werden, sitzt die Figur des Walter Ulbricht am Küchentisch und stapelt sozusagen visionär aus Zuckerstücken eine Mauer. Der Gag, er zeigt sehr hinterhältig, wieso die spätere Führungselite der DDR, die das Hotel Lux überlebte, traumatisiert von dieser Erfahrung, nur ein autoritäres System wie die DDR bauen konnte. Außerdem darf man davon ausgehen, dass Regisseur Haußmann. aber auch Produzent Günter Rohrbach Ernst Lubitsch und "Sein oder Nichtsein" vergöttern.
"Mit wem wollen Sie sprechen? - Mit Ihnen. Gestern wurde unser Haus besetzt und viele Frauen vergewaltigt."

Platz 1: "Anonyma – Eine Frau in Berlin" (2008)

Regie: Max Färberböck
Vom 20. April bis zum 22. Juni 1945 hatte eine Frau, die sich "Anonyma" nannte, in Berlin ein Tagebuch geführt und Massenvergewaltigungen sowjetischer Soldaten an deutschen Frauen beschrieben. Der Ton, den die Autorin damals anschlug, war provokanterweise nicht Opfer-Pathos, eher schnodderig sachliche Kühle:
"Ab jetzt werde ich selbst entscheiden, wer mich bekommt."
Zu den Widersprüchlichkeiten, mit denen wir uns in dieser Art Kino auseinandersetzen müssen, gehört auch, die Linie zwischen Überlebenskampf, Prostitution und wirklichen Gefühlen eben nicht ausmachen zu können. So viel Komplexität kam beim deutschen Publikum nicht gut an. Solch einen Stoff den Zuschauern auf die Leinwand zu bringen, brauchte auch im Jahr 2008 noch die Lust des Produzenten am Kampf gegen die Widerstände, ...
"…wenn etwas Vernünftiges entstehen soll."
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