Rohrbach nimmt Fernsehen gegenüber Kritik in Schutz

Günter Rohrbach im Gespräch mit Dieter Kassel · 23.10.2008
Der Filmproduzent Günter Rohrbach hat die Qualität des deutschen Fernsehprogramms verteidigt. Das Fernsehen könne man nicht als Ganzes kritisieren, dafür sei es ein zu großer Topf, in dem vieles vermischt und vermanscht werde, sagte Rohrbach anlässlich seines 80. Geburtstags.
Dieter Kassel: Zuerst war er als Fernsehverantwortlicher beim WDR zuständig nur fürs Fernsehspiel und später auch die Unterhaltung und das Familienprogramm. Günter Rohrbach sorgte bis 1979 in Köln dafür, dass es viele informative und innovative Fernsehformate gab. "Ein Herz und eine Seele" zum Beispiel, dafür war er verantwortlich, aber auch für Spielfilme von Rainer Werner Fassbinder und Rosa von Praunheim im besten Abendprogramm.

Danach ging Rohrbach zur Produktionsfirma Bavaria und verantwortete unter anderem den Spielfilm "Das Boot". Und als die Bavaria-Zeit vorbeiging, konnte er es immer noch nicht lassen und wurde privater Filmproduzent. Als solcher kommt heute, zu seinem 80. Geburtstag, seine neueste Produktion ins Kino, der Spielfilm "Anonyma". Ich habe gestern mit Günter Rohrbach geredet und weil man natürlich vorher nicht so richtig zum Geburtstag gratulieren darf, habe ich nicht herzlichen Glückwunsch gesagt, sondern einfach guten Morgen, Herr Rohbach.

Günter Rohrbach: Guten Morgen.

Kassel: Wenn Sie in der undankbaren Situation wären, für Ihren Geburtstag einen einzigen Film auszuwählen, den Sie entweder mal zu Fernsehzeiten möglich gemacht oder später produziert haben, ein einziges Werk, das dann der Geburtstagsfilm wäre, was würden Sie aussuchen?

Rohrbach: Na ja, da würde ich mich einfach deswegen schwertun, weil ich ja alle anderen Regisseure und Drehbuchautoren damit auch ein bisschen kränken würde. Gut, ich meine, natürlich ist der erfolgreichste Film, den ich in meinem Leben produziert habe, "Das Boot". Das ist einfach so. Aber das eignet sich vielleicht nicht so zu einem Geburtstag. Dann würde ich eher sagen, dann als Geburtstagsfilm vielleicht "Stonk".

Kassel: Wenn wir beim "Boot" zum Beispiel sind, aber auch bei anderen Sachen, die Sie ermöglicht haben bei der Bavaria oder auch sogar vorher beim WDR. Sie sind ja immer relativ stark dafür eingetreten, Fernsehen und Kino zu verbinden. Dieses Zusammenwachsen von Fernsehen und Kino ist ja inzwischen eine völlig normale Sache. Beobachten Sie das auch mit Genugtuung? Man hat Sie ja in den 70ern teilweise noch für diese Idee angegriffen.

Rohrbach: Na ja, ich meine, das war in den 70ern, war die Situation insofern etwas anders, als wir damals ja noch das von den jungen deutschen Regisseuren eher verachtete Fernsehen waren, und wir mussten regelrecht um die werben. Die brauchten zwar unser Geld, das haben sie sehr gerne genommen, aber eigentlich wollten sie sonst nichts mit uns zu tun haben. Und das fand ich eigentlich damals schon ungerecht. Ich meine, das Fernsehen war zu dieser Zeit das Medium, und das nehme ich auch ganz speziell für uns im WDR in Anspruch, ohne die es diese junge Bewegung des deutschen Kinos der 60er-, 70er-Jahre mit Fassbinder, Wenders usw. nicht gegeben hätte.

Und das ist dem Fernsehen eigentlich nie wirklich gedankt worden. Und das hat mich auch geärgert. Andererseits weiß ich natürlich, dass es etwas unterschiedliche Ästhetiken gibt, dass das Fernsehen auch einen in Teilen einschränkt. Man muss primetimefähig sein usw. Die Welt ist nicht vollkommen. Und da kann man sehr viel daran kritisieren, aber gleichwohl, unsere Welt ist, wie sie ist, und Filme leben heute in unterschiedlichen Medien, in unterschiedlichen Aggregatzuständen, wenn Sie so wollen. Und es wäre doch sehr schade, wenn all die Filme, die heute im Kino sind, dann endgültig verschwunden wären. Das Fernsehen bewahrt sie ja auch für uns auf. Auch dafür sollten wir diesem Medium dankbar sein.

Kassel: Sie haben gerade den Ausdruck primetimetauglich benutzt. Zu Ihrer Zeit, als Leiter einer Abteilung, die immer größer wurde von ihren Kompetenzen, damals beim Westdeutschen Rundfunk in Köln, war das eine Zeit, vor allen Dingen noch die 60er-Jahre und die frühen 70er, ganz ohne Quotendruck?

Rohrbach: Wir haben uns den Druck natürlich selber gemacht. Ich meine, man will ja, wenn man etwas produziert, auch erfolgreich sein. Da ist auch eine Verantwortung dahinter. Und die Verantwortung gilt den Menschen, für die man es macht. Aber sie gilt in doppelter Weise. Man möchte sie erreichen, aber mir war nie gleichgültig, womit man sie erreicht.

Ich wollte immer, dass die Leute diese Filme, die wir machen, sehen. Ich wollte aber auch, dass sie die Menschen, wenn sie die Filme gesehen haben, hinterher auch noch etwas davon haben, dass der Nachklang dieses Films für sie wichtig ist, dass sie sich auch eine Zeit lang noch damit beschäftigen.

Kassel: Hat das, was Sie gewollt haben, damals funktioniert? Wenn wir mal uns an ein paar extreme Beispiele, die auch zu Ihrer Zeit sehr umstritten waren, erinnern. Sie haben dafür gesorgt, dass im Fernsehen zum Beispiel von Praunheims Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" zu sehen war. Sie haben andere schwierige Filme, die es dem Zuschauer nicht leicht machen, ins Fernsehen gehievt. Hat das damals auch ein bisschen die Gesellschaft verändert, oder müssen Sie im Nachhinein sagen, nein, da haben wir das Fernsehen doch überschätzt?

Rohrbach: Na ja, das weiß man ja nicht, was man an der Gesellschaft verändert. Aber gleichwohl ist es so, dass die Medien insgesamt ein Reflex auf die Gesellschaft sind und in der Gesellschaft natürlich auch Wirkung erzeugen. Das tun nicht einzelne Filme, die können das nur bedingt, aber insgesamt, das Klima, was durch Medien erzeugt wird, ist für die Gesellschaft außerordentlich wichtig. Und deswegen ist es auch wichtig, dass das Fernsehen von den Menschen als ein Medium wahrgenommen wird, das sie auch respektieren, von dem sie etwas erwarten, an das sie Ansprüche stellen und dass diese Ansprüche auch zu erfüllen versucht.

Natürlich haben wir es den Zuschauern damals nicht immer leicht gemacht. Das ist auch ein großer Fehler, es den Zuschauern zu leicht zu machen. Wir wissen doch aus eigener Erfahrung, dass alles, was uns letztlich befriedigt, auch mit Anstrengung zu tun hat. Das wissen wir im täglichen Leben, wenn wir wandern oder wenn wir irgendeinen Sport ausüben oder was auch immer. Befriedigung hat mit Anstrengung, auch intellektuelle oder geistige Befriedigung hat in gewisser Weise damit zu tun, dass ich mich nicht nur irgendwie das über mich kommen lasse und das an mir vorbeirauschen lasse, sondern dass ich mich hineinbegebe und dass ich mich mit der Sache auseinandersetze. Erst dann habe ich ein wirkliches Vergnügen daran.

Kassel: Was war eigentlich damals gegen die anderen Menschen im Sender? Man ist ja nie allein verantwortlich. Man hat immer Leute über sich, die ab und zu den Kopf schütteln bei gewissen Vorschlägen. Was war eigentlich zu der Zeit schwerer durchsetzbar, zu der Primetime Fassbinder-Filme oder andere schwierige Sachen, wie Sie sie gerade beschrieben haben, zu zeigen oder auf der anderen Seite dann eine für damalige Verhältnisse unerhörte Klamauksendung wie "Klimbim" ins Programm zu kriegen?

Rohrbach: Es war damals noch so, das muss ich sagen, dass die Intendanten sowieso, aber auch die Fernsehdirektoren, mit denen ich damals zu tun hatte, die haben uns total freie Hand gelassen. Ich hatte in einem einzigen Fall, der dann allerdings sehr prominent wurde, einen großen Konflikt mit meinem damaligen Intendanten. Das war, als wir mit Fassbinder "Soll und Haben" von Gustav Freitag verfilmen wollten. Was im damaligen Verständnis oder, man kann es auch heute so interpretieren, ein antisemitischer Roman war, aber der ist so antisemitisch wie, sagen wir mal, der "Kaufmann von Venedig" mit Shylock antisemitisch ist.

Das heißt, es ist immer eine Frage der Interpretation und wie man mit dieser Sache umgeht. Selbstverständlich wollten wir keinen antisemitischen Film machen, aber wir mussten uns irgendwie mit dem Vorurteil auseinandersetzen. Und das war auch ein großer Konflikt, aber das ist der Einzige, an den ich mich wirklich erinnere.

Kassel: Einen großen Konflikt im Fernsehen gab es ja eigentlich in der vergangenen Woche. Wir meinen natürlich den Eklat, den Marcel Reich-Ranicki verursacht hat beim Deutschen Fernsehpreis, und die darauffolgenden Diskussionen um die Qualität des Deutschen Fernsehens. Das ist alles Müll, das ist alles schlecht, hat nicht nur Ranicki gesagt. Sagen Sie das auch über das heutige Fernsehprogramm?

Rohrbach: Na ja, man kann das ja so nicht sagen. Es ist eine Frage der Wahrnehmung. Wissen Sie, die Menschen, die sich zu Beginn der Woche eine Programmzeitschrift nehmen und sich anstreichen, was sie im Laufe der Woche sehen wollen, die werden von diesem Medium gut bedient, denke ich. Aber diejenigen, die sich abends davor setzen und mit ihrem Maschinengewehr da sozusagen das Programm zerstückeln, was da abläuft, die werden oft den Eindruck haben, um Gottes willen, was läuft da alles für Müll. Ich denke, jeder, der das Fernsehen kritisiert, wird gute Gründe haben, es zu tun und auch diejenigen, die es verteidigen, werden immer wieder gute Argumente haben, es auch verteidigen zu können.

Das Fernsehen ist einfach zu großer Topf, in dem alle möglichen Dinge gekocht und vermischt und vermanscht werden, dass man es als Ganzes eigentlich nicht wirklich kritisieren kann. Man kann nur sagen, und das sage ich auch, ich möchte von dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen erwarten, dass es die Tatsache, dass es ein gebührenfinanziertes Fernsehen ist, dass es ein öffentlichen Auftrag hat, dass es das ernst nimmt und dass es jede Anbiederung an Kommerzialisierung vermeidet. Aber gleichwohl natürlich auch jede Anstrengung leistet, mehrheitsfähig zu bleiben, auch diejenigen Menschen zu erreichen, die kein Abitur haben, die nicht zu studiert haben, die auch ihre Ansprüche an das Fernsehen haben und für die das Fernsehen oft sehr viel wichtiger ist, als für die gebildete Elite, die ja tausend andere Möglichkeiten hat, ihre Tage und Abende angemessen zu gestalten.

Kassel: Mit anderen Worten, um mal Ranicki jetzt überspitzt weiterzugeben, jeden Tag Brecht und Shakespeare um 20:15 Uhr in ARD und ZDF ist für Sie auch nicht die Lösung?

Rohrbach: Na ja, das geht ja einfach nicht. Shakespeare hat, glaube ich, acht Komödien geschrieben. Das heißt, in einer Woche wären Sie mit der Sache zu Ende.

Kassel: Ja, aber Wiederholungen sind doch heute, das war schon zu Ihren Zeiten ein Diskussionspunkt, aber heute kein Problem mehr.

Rohrbach: Ja, aber so oft wird man es ja vielleicht doch nicht wiederholen können und Ähnliches gilt ja auch für Brecht. Ich meine, diese Argumente, die kann da Reich-Ranicki selber nicht ernst nehmen. Natürlich muss das Fernsehen Fernsehen sein und nicht irgendwie Theater und kann sich auch nur bedingt bei den anderen Medien bedienen. Es muss seine eigene Wirklichkeit, seinen eigenen Charakter kreieren. Und da gibt es genug Möglichkeiten, es auf anständigem und hohem Niveau zu tun, ohne die Menschen, denen man es darbietet, zu vernachlässigen, aber auch ohne sie zu beleidigen.

Kassel: Sie haben selber Fernsehen gemacht, direkt beim WDR bis '79, dann sind Sie zur Bavaria gegangen nach München. Dann war selbst die Zeit, da sind dann Filme wie zum Beispiel "Das Boot", wir haben drüber gesprochen, entstanden. Dann ging selbst die Zeit zu Ende, und da waren Sie in einem Alter, wo manch einer gesagt hätte, schöne Dinge gemacht, es war wirklich schön, aber jetzt ist auch gut, jetzt ziehe ich in mein Ferienhaus. Haben Sie nicht gemacht, seitdem sind Sie freiberuflicher Produzent. Heute kommt ein neues riesiges Projekt von Ihnen in die Kinos. Was treibt Sie an? Warum können Sie es mit 80 Jahren immer noch nicht lassen?

Rohrbach: Na ja, Sie würden ja einen Maler auch nicht fragen, warum er mit 80 Jahren immer noch malt und Sie fragen auch einen Schriftsteller nicht, warum er mit 80 Jahren immer noch schreibt. Das ist ein Beruf, das ist das Glückliche oder das Glückhafte an diesem Beruf, dass er fortlaufend Freude und Vergnügen macht und dass es immer wieder neue, wunderbare Herausforderungen sind, denen ich mich gerne noch stelle.

Ich habe nun keine klassischen Hobbys und spazieren gehen kann ich dabei nebenbei immer noch, sehe nicht wirklich ein - es sei denn, die anderen, die mich bei der Arbeit beobachten oder die ich ja auch für diese Arbeit brauche, sagen irgendwann, und das werden sie ja und werde ich hoffentlich rechtzeitig auch merken: Alter, nun lass es mal sein, es reicht.

Kassel: Haben Sie eigentlich, ja anderthalb Jahre, ein bisschen mehr inzwischen, nach Ihrem ja fast Wutausbruch im "Spiegel" gegen die deutsche Filmkritik, da haben Sie sich darüber aufgeregt, dass große Filme wie damals zum Beispiel "Das Parfum" sehr gerne niedergemacht werden und kleine Filme, sehr kleine Filme extrem gelobt. Sie haben in diesem Zusammenhang Filmkritiker als eitle Selbstdarsteller, die ihre Pirouetten über den Filmen drehen, in die andere viel Herzblut gesteckt haben, bezeichnet. Ist jetzt so ein bisschen mehr als anderthalb Jahre her. Haben Sie Ihren Frieden gemacht mit der Kritik inzwischen wieder, der Filmkritik?

Rohrbach: Man kann mit der Kritik keinen Frieden machen. Das ist eine Konstellation zwischen den Machern und den Kritikern. Die ist nicht zu ändern. Das werden Sie auch, wenn Sie mit Theaterleuten sprechen, wenn Sie mal mit Schriftstellern sprechen, wenn Sie mit Musikern sprechen, Sie werden überall das Gleiche hören. Es ist ein permanenter Konflikt, der unauflösbar ist. Es ist die Aufgabe der Kritiker, die Dinge aus ihrer Sicht heraus zu beurteilen, zu betrachten und der sollen sie nachkommen und der sollen sie auch mit aller Härte und Schärfe nachkommen.

Das habe ich nicht kritisiert. Dadurch, dass sie in ihren Kritiken oft so verschlossen sind, dass sie sich gegenüber ihren Lesern nicht wirklich öffnen, haben sie nach meinem Eindruck vielfach das Vertrauen der Leser verspielt. Es ist ganz wichtig, dass die Kritiker den Anschluss an ihre Leser behalten. Und diesen Anschluss haben nach meiner Auffassung sehr viele Kritiker verloren. Sie schreiben eigentlich nur noch für andere Kritiker.

Kassel: Das kann man, glaube ich, leider Gottes für weite Bereiche der Kritik tatsächlich sagen. Aber wir wollen nicht schmollen an einem Tag wie heute. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch, Günter Rohrbach, und wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag.

Rohrbach: Vielen Dank.

Kassel: Günter Rohrbach war das, Film- und Fernsehproduzent seit Jahrzehnten, im Gespräch in Deutschlandradio Kultur. Heute, pünktlich zu seinem 80., kommt der neueste, von ihm produzierte Kinofilm "Anonyma" in die deutschen Kinos.