"Kino hat ein ewiges Leben"

Moderation: Vladimir Balzer · 15.02.2007
Der Filmemacher und Autor Alexander Kluge hat seine 57 Filme als seine "lieben Kinder" bezeichnet. An seinem gestrigen 75. Geburtstag habe er gedreht und damit das getan, was er an Geburtstagen immer gerne tue. In Hinblick auf die Berlinale sagte er, das Festival sei für seine "vielen Meckerer" bekannt. Die beiden deutschen Wettbewerbsbeiträge "Yella" und "Die Fälscher" seien herausragend.
Balzer: Was ist dieser Mann nicht alles: Schriftsteller, Fernsehproduzent, Jurist, Interviewer und Filmemacher. Nein, besser der Urvater des deutschen Autorenfilms: Alexander Kluge. Filme mit bis heute legendären Titeln haben ihn bekannt gemacht, "Die Artisten in der Zirkuskuppel ratlos" oder "In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod". Und das ist nur ein kleiner Teil seines großen Werkes. Er ist auch Autor von Büchern wie "Die Lücke, die der Teufel lässt" oder "Chronik der Gefühle". Und er beschert uns regelmäßig die wohl erstaunlichsten Minuten im deutschen Privatfernsehen, mit seinen Kulturmagazinen am späten Abend. Gestern ist nicht nur sein neuer Band erschienen, "Geschichten zum Kino". Gestern hatte Alexander Kluge auch Geburtstag, seinen 75. Alexander Kluge, mit leichter Verspätung, aber dennoch, nachträglich herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Kluge: Da bedanke ich mich.

Balzer: Sie haben mal gesagt, dass Sie Ihre Geburtstage nicht feiern. Sind Sie sich auch diesmal treu geblieben?

Kluge: Zu meinem Geburtstag mache ich das, was ich sehr gerne mache. Ich suche mir mit meinen Mitarbeitern eine Arbeit aus, die mir Spaß macht.

Balzer: Was haben Sie denn gestern gemacht zu Ihrem Geburtstag?

Kluge: Ich habe gedreht, also für meine Kulturmagazine Gespräche hier im Berliner Raum. Das ist ja so interessant.

Balzer: Was waren das für Gespräche?

Kluge: Es war mit einem Sprachwissenschaftler, dann mit hier vom Festival einer hinreißenden japanischen Schauspielerin, und sozusagen so haben wir den Tag durchgearbeitet.

Balzer: Das heißt, Sie haben mehr gedreht als geschaut bei dieser Berlinale?

Kluge: Also, das kann man so nicht sagen. Zu anderen Tagen gucke ich mir Filme an.

Balzer: Was haben Sie denn gesehen?

Kluge: Ich habe alle Filme gesehen, De Niro und so weiter.

Balzer: Hat Sie davon was beeindruckt?

Kluge: Ich bin ja kein Filmkritiker, verstehen Sie, dass ich mir das angucke unter dem Gesichtspunkt, ist das ein guter Film oder ist das nicht so ein guter Film, sondern wie spannend ist das, was sehe ich. Wenn ich die Stadt von Iwojima aus der Sicht der Japaner dargestellt sehe und umgekehrt in einem weiteren Film aus der Sicht der Amerikaner, dann ist es deswegen spannend, weil solche Gegensätze da sind. Da kommt es nicht darauf an, ob der Film meine Art von Filmemachen entspricht.

Balzer: Sie haben jetzt die beiden Filme von Clint Eastwood erwähnt. Gab es noch andere Filme, die Sie beeindruckt haben oder die Sie interessiert haben bei dieser Berlinale bisher?

Kluge: Ich kann das nicht so aufzählen, verstehen Sie, ich bin kein Kritiker, um das ganz klar zu sagen. Ich mache selbst Filme, ich würde nie eine negative Kritik über einen Kollegen hier Ihnen gegenüber äußern, und deswegen ist man dann auch befangen, wenn man nur positive Dinge sagt.

Balzer: Schade, Alexander Kluge. Ich wollte natürlich gerne von Ihnen erfahren, was Sie zum Beispiel von den zwei deutschen Filmen im Wettbewerb halten, die Sie vielleicht auch gesehen haben, oder?

Kluge: Meinen Sie jetzt Herrn Petzold?

Balzer: Ich meine Christian Petzold mit "Yella" und "Die Fälscher" von Stefan Ruzowitzky.

Kluge: Zwei hervorragende Filme, und ich habe über beide für mein Kulturmagazin sehr ausführliche Gespräche geführt, mit Nina Hoss beispielsweise, Herrn Petzold. Also das sind schon gute Filme.

Balzer: Was war so gut daran? Das würde ich dann doch noch gerne wissen. Ich bohre ein bisschen.

Kluge: Schauen Sie, dann müssen Sie meine Kulturmagazine ansehen. Also Nina Hoss, eine herausragende Schauspielerin, die spielt ja hier diese Rolle, die Hauptrolle, oder bei den "Fälschern", da ist ja ein Stück Zeitgeschichte dahinter.

Balzer: Viele sagen, viele Kritiker sagen, gerade in den ersten Tagen der Berlinale, es sei alles so deprimierend, so äußerst politisch, kaum Komödien. Können Sie diese Kritik eigentlich verstehen?

Kluge: Nein, es ist Meckerei. Die gibt es natürlich sehr oft. Berlinale ist ein bisschen berühmt dafür, dass es furchtbar viele Meckerer gibt. Da sind Venedig und Cannes anders. Ich finde, man tut hier dieser sehr guten Arbeit von Kosslick Unrecht, wenn man diesen Meckerton anschlägt.

Balzer: Sie haben sich ja sehr lange mit dem Kino beschäftigt. Sie haben selber natürlich Filme gedreht. Ihre Ansprüche, Ihre Vorstellungen im Laufe der Jahre, hat sich das eigentlich geändert in den letzten Jahrzehnten?

Kluge: Nein. Ich mache Filme immer, indem ich mir für jeden Film speziell Mühe gebe. Das sind meine lieben Kinder, verstehen Sie, und meine Art, die Welt zu betrachten und aufzunehmen, die hat sich nicht wirklich geändert. Auch wenn ein Schwarzweiß-Film wie "Abschied von gestern" ganz anders hergestellt wird als ein Film wie meinetwegen "Vermischte Nachrichten", das ist mein letzter gewesen, kann man nicht sagen, das ist ein Unterschied, der wesentlich ist. Sie werden sofort erkennen, wenn Sie in einen Film von mir gehen, dass das meine Art Filme zu machen ist.

Balzer: Sie haben mal den schönen Satz gesagt, ich halte Kino für unsterblich. Auch wenn die Kinoprojektoren nicht mehr rattern, wird es immer etwas geben, das wie Kino funktioniert. Was ist es, was macht Kino unsterblich?

Kluge: Sehen Sie mal, wir Menschen haben seit der Steinzeit eigentlich ein Kino im Kopf. Wir deuten die Welt nach unseren Wünschen, nach unseren Träumen. Die Menschen sind keine objektiven Maschinen, und das, was uns da unterscheidet von einer Maschine, das ist so eine Art Kino im Kopf, und plötzlich, vor 120 Jahren, kommt hier ein populäres Medium auf, und wir erkennen wieder, was wir eigentlich die ganze Zeit tun. Und diese Fähigkeit des Menschen, Kino in sich zu machen, führt dazu, dass dieses Kino ein ewiges Leben hat. Das ist meine Meinung.

Balzer: Also denken Menschen filmisch?

Kluge: Aber mit Sicherheit. Und sie werden auch in online, auf der dritten Ebene, auf der zweiten Ebene, das ist erstmal die Selbstverwirklichung, und die dritte Ebene, die wird wieder Kino sein.

Balzer: Geht Ihnen das auch so, wenn Sie Ihre Bücher schreiben? Sie sind ja auch Schriftsteller, nicht nur Filmemacher.

Kluge: Also Bücher sind etwas, was ich ganz besonders liebe, weil Bücher sind geduldig. Sehen Sie mal, die Filmgeschichte ist 120 Jahre alt, das ist ja ein junges Medium. Die Bücher sind sehr vertrauenswürdig, weil es ein Netz von Autoren gibt, die mir ja auch über die Schulter gucken, und das ist über 2000 Jahre alt, und das gibt zum Buch hin Vertrauen. Bücher enthalten mehr Erfahrung. Das gefällt mir da an Büchern, und Filme bewegen sich, lassen Musik zu, und entzücken mich dadurch, dass sie kooperativ hergestellt werden.

Balzer: Gab es eigentlich so eine Art Initiationserlebnis mit dem Kino, ein erster Film, der Sie umgehauen hat?

Kluge: So können Sie es nicht sagen. Ich bin als Volontär zu Fritz Lang gegangen. Hier in Berlin hatte er den "Tiger von Eschnapur" in Arbeit. Ich habe geguckt, was dieser Großmeister an Filmen macht, und dann haben wir uns später zusammengeschlossen. Ich habe ja nicht alleine Filme gemacht, sondern das ist ja gleich eine Gruppe von 40 Leuten gewesen, und die hat zusammen dann mit Fassbinder, Schlöndorff, Herzog, Reitz, 20 Jahre lang eigentlich in Deutschland Filme gemacht. Und ich mache heute im Fernsehen ja etwas ganz Ähnliches. Wir haben früher Kino der Autoren gemacht, und jetzt mache ich zum Beispiel Fernsehen der Autoren.

Balzer: Und das tun Sie ja schon seit einigen Jahren, und man fragt sich ja immer bei Ihren Fernsehsendungen im Privatfernsehen, die Manager der Privatsender RTL und Sat1, die müssen doch schlaflose Nächte bekommen mit dem, was sie da sehen?

Kluge: Nein. Ich muss sagen, da hat es zu Anfang Spannungen gegeben, aber da wir uns auch dem Zuschauer verantwortlich fühlen, wir machen ja nicht irgendwelche abstrakten Hochkunstprodukte da, sondern erklären zum Beispiel Oper in einer Weise, die Zuschauer auch verstehen können. Und seit wir auch Quoten produzieren, also das Vertrauen von Zuschauern auch zeigen, sind keine wirklich nennenswerten Spannungen zu den beiden großen Sendern, in denen wir eben Fenster haben.

Balzer: Schauen Sie denn auch sonst Fernsehen, Alexander Kluge?

Kluge: Aber natürlich, ja.

Balzer: Was schauen Sie denn so?

Kluge: Also mindestens die Tagesschau schaue ich jeden Tag, und sonst schaue ich eben zu später Stunde. Aber ich schau nicht systematisch, sondern ich schau so wie jemand, der selber Fernsehen macht und sein Radar ausschickt, was tun die übrigen.

Balzer: Also analytisch, nicht einfach nur als müder Fernsehzuschauer, der kurz vor dem Schlafengehen noch einmal kurz etwas sehen will?

Kluge: Nein, nein. Und ich muss ja auch wissen, was dieses Leitmedium macht. Sehen Sie, man muss das Fernsehen deswegen respektieren, ob man es nun besonders liebt oder nicht, weil, wenn etwas passiert wie am 11.9., dann gucken Sie nicht in einen Roman, dann gehen Sie nicht ins Kino, Sie gucken nicht mal aus dem Fenster, sondern Sie gucken ins Fernsehen. Das nennt man ein Leitmedium. Das Leitmedium beruht auf dem Vertrauen von Zuschauern, und zwar hier im Ernstfall, und da müssen Sie's ernst nehmen. Dann muss man das Beste, was es in der Welt gibt, muss man dort unverkürzt hineinbringen, ohne Rabatt Oper, ohne Rabatt Wissenschaft, ohne Rabatt Bücher.

Balzer: Und verdient dieses Fernsehen noch das Vertrauen der Zuschauer, das Fernsehen von heute?

Kluge: Die Frage können Sie gar nicht stellen. Es gibt ja nicht ein zweites. All das Fernsehen zusammen, das private und das öffentliche, das ist dieses Leitmedium. Man kann sich nicht immer was Neues wünschen, wissen Sie. Auch hier ist der Meckerton nie angebracht.

Balzer: Alexander Kluge, zum Abschluss unseres Gespräch noch zurück zum Kino: Wir sind ja im Gespräch, Sie sind auf der Berlinale. Wo liegt eigentlich für Sie die Zukunft des Films, vielleicht doch im Internet? Wenn man sich das anschaut, es gibt ja einen großen Erfolg von Plattformen wie YouTube oder MySpace, dort sehen sich täglich Millionen von Menschen Filme an, mehr Menschen als ins Kino gehen.

Kluge: Sie haben das sehr gut gesagt. Irgendwie kommt die Filmgeschichte da noch einmal von vorn, aus der Zukunft noch einmal auf uns zu, und zwar mit Filmlängen, wie sie in der Anfangszeit des Kinos typisch waren. Also ich habe sehr viele 1-Minuten-Filme auch gemacht, weil ich diese Frühzeit des Films liebe, und das waren alles 1-Minuten-Filme. Wenn Sie aber 90 Stück davon hintereinander spielen, dann haben Sie 90 Minuten, und so kehrt der Film zu sehr robusten Anfängen zurück, gerade online.

Balzer: Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
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