Den Lichtspielhäusern verfallen

14.02.2007
Der vielfach mit Preisen ausgezeichnete Filmemacher Alexander Kluge hat seine Leser und sich zu seinem heutigen 75. Geburtstag mit einem neuen Buch beschenkt. In den 120 "Geschichten vom Kino" erinnert er an gedrehte und ungedrehte Filme. Er hinterfragt darin die Bannkraft der Bilder und warum er ihnen so verfallen konnte.
Alexander Kluge, der Erzähler ohne Herz, wie ihn Hans Magnus Enzensberger einmal nannte, hat seine Leser und sich zu seinem 75. Geburtstag mit einem neuen Buch beschenkt. In "Geschichten vom Kino" erklärt sich der vielfach mit Filmpreisen ausgezeichnete Filmemacher (Silberner Löwe für "Abschied von Gestern", Goldener Löwe für "Die Artisten in der Zirkuskuppel ratlos" und für das Gesamtwerk, Deutsche Filmpreise für "In Gefahr und größter Not", Deutschland im Herbst" und "Die Patriotin") in Sachen Kino als "parteiisch". Es handelt sich, so Kluge im Vorwort, um Geschichten, die "subjektiv" sind.

Dieses Bekenntnis ist dazu angetan, sich zu wundern, denn Enzensbergers Diktum hat sich der 2003 mit dem Büchner-Preis ausgezeichnete Autor gerade durch einen dem Faktischen und damit der Objektivität verpflichteten Stil erschrieben. Dazu will das Subjektive und Parteiische nicht passen, denn Kluge, dem es "um die Sache selbst" geht, hat bisher auf die Überzeugungskraft des Dokuments gebaut. Begegnet uns also ein neuer Kluge?

In den 120 "Geschichten vom Kino" lässt Alexander Kluge keinen Zweifel daran aufkommen, dass er vom Kino aus der Perspektive eines Beteiligten erzählt. Dennoch tut er es in der gewohnten Nüchternheit. Doch zusammengehalten werden diese Geschichten durch eine emotionale Bindung, die Kluge zum Kino entwickelt hat. Gerade weil ihn das Kino seit Jahrzehnten interessiert, er zu ihm eine Beziehung entwickelt hat, will er in Erfahrung bringen, warum er ihm so verfallen konnte. Insofern schreibt Kluge von der Sehnsucht, die das Kino zu wecken vermag, wenn er anmerkt:

"Die Lichtspielautomaten warteten in Reihe auf die Passanten, auf die Müden am Abend, wie eine ‚Tränke’."

Offensichtlich hat die Verwunderung über die eigene Abhängigkeit den Beobachter Kluge auf den Plan gerufen - dessen Geschichten als Untersuchungsergebnisse zu verstehen sind.

Es handelt sich bei "Geschichten vom Kino" um den Versuch, die Emotionen, die das Kino auszulösen vermag, durch die Analyse des "Prinzips Kino" zu erklären. Auf dem Prüfstand stehen also nicht Gefühle an sich, die Kluge bereits in "Chronik der Gefühle" (2000) untersucht hat, sondern die durch das Kino ausgelösten Gefühle. Kluge will hinter die Mechanismen dieses geheimnisvollen Ortes kommen und setzt eine These um, die er im Abschnitt "Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben" formuliert hat: Er vermeidet Sinngebung und will vielmehr sinnliche Eindrücke beim Leser auslösen.

Die Geschichte des Kinos entfaltet Kluge, indem er die chronologische Darstellung mit Geschichten durchsetzt, die das Kino geschrieben hat. Er erzählt Kinogeschichten, erinnert an gedrehte und ungedrehte Filmen, hinterfragt die Bannkraft der Bilder und räumt in seinem Buch einem Phänomen besondere Aufmerksamkeit ein, das er in "Die Kunst, Unterschiede zu machen" (2003) bereits formulierte: "Von zwei Stunden Kino sitzt man eine Stunde im Dunkeln und erholt sich. Das Hirn nimmt es wahr, die vielen Synapsen registrieren es, dennoch hat jeder einen kontinuierlichen Film gesehen. Das ist wahrscheinlich das Filmerlebnis: Man träumt im Kino […]."

Rezensiert von Michael Opitz

Alexander Kluge: Geschichten vom Kino.
Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2007. 351 Seiten. 22,80 Euro.