Kino als Menschenrecht

Der Dokumentarfilmer im Gespräch mit Joachim Scholl |
Auf der Berlinale ist er mit "Mein Weg nach Olympia" vertreten, einem berührenden und humorvollen Dokumentarfilm über Paralympics-Sportler. Da er selbst behindert ist, weiß Niko von Glasow, wie viele Einschränkungen behinderte Menschen täglich in Kauf nehmen müssen - auch im Kino.
Joachim Scholl: Inklusion – das gleichberechtigte Miteinander von behinderten und nicht behinderten Menschen wird heute im Haus der Berliner Festspiele aktiv umgesetzt, wenn der neue Film des Regisseurs Niko von Glasow gezeigt wird, ein Dokumentarfilm über behinderte Leistungssportler bei den Paralympics in London. Zur Premiere des Films wird der Kinosaal der Festspiele behindertengerecht umgebaut, und es gibt auch eine Audiodeskription für Sehbehinderte. Mit Niko von Glasow wollen wir gleich dieses Thema und natürlich seinen Film erörtern.

Als Rollstuhlfahrer auf der Berlinale - Bericht von Christian Berndt

Christian Berndt über Inklusion im Kino. Aus unserem Berlinale-Studio am Potsdamer Platz ist uns jetzt Niko von Glasow zugeschaltet. Herzlich Willkommen im Deutschlandradio Kultur!

Niko von Glasow: Hallo!

Scholl: Die Premiere Ihres neuen Films, Herr von Glasow, wird heute Abend besonders behindertengerecht inszeniert, wir haben davon gehört, "Mein Weg nach Olympia", zusammen mit dem Film – wäre das Ihr Beitrag zur Inklusion?

von Glasow: Ja, das ist, was ich jetzt so in meinem … Ich habe ja jetzt drei Filme über und mit Behinderten gemacht. Unglaublich, was man … Man stellt sich immer vor, ach, der sitzt im Rollstuhl und jetzt weiß man, was der für ein Problem hat. Aber das stimmt nicht. Wir wissen überhaupt nichts. Wie oft ist es mir passiert, dass ich gesagt habe, ach, komm, jetzt gehen wir mal ins Kino oder jetzt gehen wir einen Freund besuchen – und das geht einfach nicht. Und ich meine, das sollte ein Menschenrecht sein, ins Kino zu gehen! Und ich finde das ganz toll, dass die Berlinale da so ein Vorreiter-Ding draus macht.

Scholl: Es gibt ja einen richtigen Aktionsplan der Bundesregierung, das umzusetzen, also es soll auch Fördergelder geben. Das heißt, so das Bewusstsein ist eigentlich schon da. Das ist doch eigentlich eine gute Entwicklung.

von Glasow: Ja, das ist super, ich meine, wird aber auch ein bisschen Zeit, oder? Also ich meine, das Problem ist, glaube ich, schon länger erkannt, und dann sollen sie mal Gas geben, würde ich sagen.

Scholl: Lassen Sie uns auf Ihren Film zu sprechen kommen, Herr von Glasow, "Mein Weg nach Olympia". In diesem Dokumentarfilm sehen wir Sie, wie Sie körperbehinderte Sportler auf ihrem Weg zu den Paralympics in London begleiten. Sie kommen aus Griechenland, Schweden, den USA, Ruanda, Deutschland. Was hat Sie an diesen Sportlern, an diesen behinderten Sportlern vor allem interessiert, was wollten Sie von denen erfahren?

von Glasow: Ich habe, ehrlich gesagt, also in Youtube ganz viele Sportler mir angeguckt, weil alle Sportler sind ja auf Youtube, und die, die so ein Glitzern in den Augen hatten, also die mir am aufgeschlossensten, intelligentesten oder am lustigsten vorkamen, die habe ich dann ausgesucht. Und da habe ich einfach auch dann ein bisschen Glück gehabt, dass ich auf so unglaubliche Menschen getroffen bin.

Scholl: Sie treten selbst in diesem Film als Besucher auf, man sieht Sie in der Kamera, und ebenfalls, kann man ja sagen, als Behinderter: Sie sind ein Contergankind, mit verkümmerten Armen geboren. Wie wichtig war das für den Film, Herr von Glasow, dass Sie sozusagen, ja, selbst dazugehörten?

von Glasow: Na ja, ich bin ja sozusagen … Ich kann halt Witze machen und Fragen stellen, die könnt ihr nicht. Aber ich kann das natürlich auch in anderen Bereichen: Ich bin Halbjude, also da kann ich Witze machen, ich bin Deutscher, das ist auch schon eine Behinderung in sich – also ich habe da so verschiedene Expertisen. Aber ich meine, ich bin ja der Meinung, dass alle Menschen behindert sind, und wenn ich mich darauf einstelle, dass mein Gegenüber auch … Also ich gebe mich selber als sehr verletzlich, und dann tut mein Gegenüber auch zulassen, seine Verletzlichkeit zuzugeben, was ja Behinderten genauso schwer fällt wie anderen Leuten. Das ist im Grunde so eine Art Regietrick. Für mich, dass ich kurze Arme habe, ist total gut als Regisseur, weil damit kann ich die Leute gut knacken, aber alle.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Regisseur Niko von Glasow. Heute hat sein Film "Mein Weg nach Olympia" auf der Berlinale Premiere.

Sie haben es schon angesprochen: Ich kann Fragen stellen, die ihr nicht stellen könnt. Ich meine, es sind sehr respektlose Fragen: nach dem Privatleben, nach Partnern, und dann streiten sie sich auch bisweilen, zum Beispiel auch mit den ruandischen Volleyballern, denen Sie nicht glauben wollen, dass der Völkermord unter ihnen kein Thema ist. Ich habe mich beim Anschauen des Filmes mehrfach gefragt: Also ein nicht behinderter Regisseur, Interviewer hätte sich das überhaupt nicht getraut. Aber genau so kommt eigentlich, ja, diese ganz besondere Stimmung dieses Films zustande, dass man zwischendurch auch ..: Ja, es ist sehr humorvoll, man will eigentlich ständig lachen und denkt, mal gucken, was er jetzt schon wieder fragt.

von Glasow: Ja, aber ich frage nie, also ich haue nicht unter die Gürtellinie. Ich mache mich immer auch ein bisschen über mich selber lustig. Da ist ja die Christiane, die Blondine mit dem einen Bein, und die total gut schwimmen kann, und jetzt fragen mich die Journalisten immer: Warum hast du denn mit der nicht über Sex geredet? Das ist mir nicht eingefallen, warum soll ich mit einer Blondine über Sex reden? Wie blöd kann man eigentlich sein? Mit dem Typ, der querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt oder Muskelschwund hat oder weiß der Teufel – mit dem über Sex reden, das ist interessant.

Scholl: Ja, aber das war genau die Stelle, als Sie mit dem auf dem Balkon sitzen und dann sagen, na, hast du eine Freundin? Und er sagt, nein, und Sie lachen dann so im Sinne von, na ja, geht ja auch ein bisschen so schlecht. Also es ist so ein Punkt, wo man dann irgendwie so ein bisschen innerlich zusammenzuckt und sagt, das ist politisch nicht korrekt. Aber ich wollte Sie noch auf was Anderes ansprechen, Herr von Glasow.

von Glasow: Nein, nein, nein, warte mal, warte mal! Ja, warte mal. Da gibt es nämlich eine Geschichte zu. Also. Wir haben unseren Film natürlich auf Youtube gestellt, also als Trailer, und dann hat eine hochintelligente, wahnsinnig gutaussehende Frau in Griechenland diesen Trailer gesehen und hat den Gregory angerufen, und sie werden heiraten.

Scholl: Nein, das erzählen Sie jetzt! Wirklich wahr?

von Glasow: Ja, ja, klar! Es ist Liebe auf den ersten Blick. Die hat den in dem Trailer gesehen und hat gesagt: Den Mann werde ich heiraten.

Scholl: Aber dann wäre vielleicht eine andere Stelle auch noch interessant, auf die ich Sie noch ansprechen wollte, Herr von Glasow, nämlich genau dieser gelähmte Sportler, Boccia-Spieler und die Kugel, mit so einem Kopfgerät schubst der die da vor, das sieht irgendwie echt grotesk aus. Und dem werden Ihre Fragen irgendwann auch so ein bisschen zu bunt, und der sagt doch irgendwann mal: Erzähl doch du mal, wie es ist in deinem Beruf als Regisseur, hast du es auch nicht schwer, weil du behindert bist? Und dann antworten Sie auch frei heraus: Ja, ist echt nicht bequem für Sie.

von Glasow: Nein, also Behinderte kriegen den Pförtnerjob, sie kriegen nie den Vorstandsvorsitzenden. Und ich habe mich fest entschlossen, Millionen zu verdienen, was ich jetzt auch auf dem guten Wege bin. Aber ich will nicht Pförtner werden. Deswegen habe ich mich auch immer so lange dagegen gewehrt, Dokumentarfilme zu machen, weil da wird man so scheiße bezahlt.

Scholl: Aber vielleicht wird genau diese Passage auf Youtube veröffentlicht und dann meldet sich Harvey Weinstein und sagt, hier, ten million Dollars für deinen nächsten Film, Niko! Das wäre was!

von Glasow: Na ja, der Dieter Kosslick, mit dem ich schon lange befreundet bin, wird mein neues Drehbuch, das heißt "Girl From Tibet", dem George Clooney bringen. Also wir sind auf einem guten Weg.

Scholl: Toll! Eine Sache noch kurz, Herr von Glasow: Sie haben die Sportler dann auch bei den Paralympics begleitet und haben Freud und Leid und Sieg und Niederlage mit Ihren Protagonisten geteilt. Das ist Ihnen, glaube ich, echt ans Herz gegangen, oder?

von Glasow: Ja. Also ich habe neulich meinen Film da das erste Mal sozusagen im Tonstudio richtig gesehen, und ich habe so geweint, bei meinem eigenen Film. Es geht echt unter die Haut. Also es gibt viel zu lachen, bis es dann ans Weinen geht.

Scholl: "Mein Weg nach Olympia", so heißt der neue Film von Niko von Glasow. Er wird heute behindertengerecht auf der Berlinale aufgeführt. Viel Erfolg dafür, Herr von Glasow, alles Gute weiterhin und besten Dank für das Gespräch!

von Glasow: Herzlichen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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Das Ziel ist Teilhabe am kulturellen Leben - Als Rollstuhlfahrer auf der Berlinale

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