Notstand in Kinderkliniken

Wenn Eltern den Personalmangel auffangen

06:17 Minuten
Eine Mutter mit medizinischer Maske trägt ihr krankes Kleinkind auf dem Arm.
Viele Krankenhäuser stecken in Schwierigkeiten, aber besonders dramatisch ist die Lage in den Kinderkliniken. (Symbolbild) © Getty Images / iStock / Pascal Skwara
Von Nikolaus Nützel · 16.01.2023
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Familie Brückner kennt viele Krankenhäuser, denn Sohn Samuel ist chronisch krank. Wenn er eingewiesen wird, bleibt ein Elternteil bei ihm, um ihn zu trösten und zu pflegen. Die Kliniken allein, sagen die Eltern, könnten die Versorgung nicht leisten.
Die Familie Brückner aus Mömbris in Unterfranken kennt viele Kinderkrankenhäuser in ganz Deutschland. Der 7-jährige Sohn Samuel leidet an Spinaler Muskelatrophie, eine seltene und schwere Krankheit, die dafür sorgt, dass er sich kaum bewegen kann. Auch massive Atemprobleme hat er immer wieder, dann muss er auf eine Kinderintensivstation. Seine Eltern bleiben dann bei ihm im Krankenhaus.
Nicht nur, um ihr krankes Kind zu trösten, sondern um einen Teil der Pflege zu übernehmen, erzählt Samuels Vater Boris Brückner. „Das heißt, wir kommen dann da an, werden aufgenommen. Und derjenige, der am meisten Schlaf hatte die letzten Tage, der macht die nächsten zwölf Stunden, und der andere darf ins Bett gehen.“
Die Eltern saugen dann etwa die Atemwege ihres Sohnes ab, damit er Luft bekommt. Oder sie kümmern sich darum, dass sich an einer Öffnung in seiner Bauchdecke, über die Samuel künstlich ernährt wird, die Haut nicht entzündet. Er und seine Frau bringen sich gerne in die Pflege ihres schwerkranken Sohnes ein, sagt Brückner. Aber es gehe auch gar nicht anders. „Das könnte meiner Ansicht nach keine Intensivstation in Deutschland leisten, wenn wir nicht noch mit dabeibleiben. Weil das einfach zu viel ist.“

"Es wird schlechter"

Die Erfahrungen, die er mit der Behandlung seines chronisch kranken Jungen in den vergangenen Jahren gemacht hat, fasst er so zusammen: „Es wird schlechter. Also, je nachdem, welches Haus man hat: Es wird schlechter.“
Viele Krankenhäuser stecken in Schwierigkeiten, aber besonders dramatisch ist die Lage in den Kinderkliniken. Als ein Kernproblem gilt die Vergütung über sogenannte Fallpauschalen. Sie sehen vor, dass ein Krankenhaus danach bezahlt wird, wie oft es bestimmte Untersuchungen oder Operationen erbringt – aber nicht so sehr nach dem Aufwand, der damit verbunden ist. Als die Fallpauschalen vor 20 Jahren eingeführt wurden, sollten sie mehr wirtschaftliche Effizienz bringen, aber auch gute Medizin für die Patienten.
Doch gerade in der Kindermedizin sei diese Rechnung überhaupt nicht aufgegangen, kritisiert der Leiter der Kinder-Intensivmedizin des Münchner Uniklinikums Großhadern, Nikolaus Haas. „Das heißt, Sie haben einen Erwachsenen, der weniger pflegeaufwendig ist und viel Geld bringt, versus einem Kind, was sehr viel pflegeaufwendiger ist und wenig Geld bringt.“

Lauterbach verspricht schnelle Lösungen

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach war vor 20 Jahren an der Entwicklung der Fallpauschalen selbst mit beteiligt. Inzwischen habe er aber erkannt, dass sie grundlegend überarbeitet werden müssen, sagt er. Vor allem für die Kindermedizin verspricht Lauterbach schnelle Lösungen: „Es wird entökonomisiert, der Druck muss raus. Also das ist das Zentrale.“
So sollen Kinderkliniken ab diesem Jahr auch dann 100 Prozent der mit den Krankenkassen vereinbarten Budgets erhalten, wenn sie nur 90 oder 80 Prozent der erwarteten Leistungen erbringen. Der Kinderintensivmediziner Haas findet es gut, dass der Minister umsteuern will. Aber schnelle Verbesserungen erwartet er nicht.
„Das hilft uns ein wenig, weil dadurch natürlich ein Bestandsschutz an Kinderkliniken, damit an Kinderversorgung, an Betten und Pflegenden und ärztlichem Personal da ist. Löst aber das Problem überhaupt gar nicht, dass wir keine Pflegenden haben.“

Größtes Problem: der Personalmangel

Der Personalmangel in der Pflege macht den Kinderkliniken am meisten zu schaffen. Ein Problem, dass auch durch die angekündigten Maßnahmen des Bundesgesundheitsministers kaum gelindert werde, sagt der Stationschef. „Geld habe ich. Ich habe zehn Stellen unbesetzt. Ich kann sofort Geld ausgeben für zehn Stellen auf der Intensivstation. Ich habe dafür keine Bewerbung, ich habe kein Personal.“
Und Haas ist pessimistisch, dass sich daran bald etwas ändert. Vor zwei Jahren wurde die Pflegeausbildung grundlegend umgestellt. Statt drei verschiedener Ausbildungsgänge in Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege gibt es jetzt eine einheitliche Pflegeausbildung für alle, mit der Möglichkeit, sich auf einzelne Teilbereiche zu spezialisieren. Das schrecke viele junge Leute ab, die sich nur für die Kinderkrankenpflege interessierten, nicht aber für die Alten- und Erwachsenenkrankenpflege, kritisiert Haas. „Das heißt, wir haben ein Manko, und es ist kein Ende in Sicht. Es ist absehbar, dass es weniger Pflegende gibt, die in diese Kinderpflege gehen.“

Zu wenig Ausbildungsplätze

Die gleiche Einschätzung hat der Generalsekretär der Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Burkhard Rodeck. Er hört immer öfter davon, dass Pflegeschulen eine Spezialisierung auf Kinderkrankenpflege gar nicht mehr anbieten: „Das bedeutet, hier rennt man auch jetzt schon wieder in die nächste, ich nenne es mal Katastrophe hinein, dass die Ausbildungsplätze einfach nicht mehr zur Verfügung gestellt werden. Und die Politik das ihre nicht leistet, um die Möglichkeit jetzt noch zu bewerben.“
Daher sei es eigentlich gut, dass die schwierige Lage an vielen Kinderkliniken endlich breit in der Öffentlichkeit diskutiert werde. Allerdings fürchtet Rodeck auch, dass Berufsanfänger abgeschreckt werden könnten, wenn die Kinderkrankenpflege ständig als eine Art Krisengebiet dargestellt werde.
„Die wollen gar nicht primär Krankenpflege betreiben, sondern sie wollen sich mit Kindern beschäftigen. Und wenn die dann die mediale Berichterstattung über die schrecklichen Zustände in der Pflege dann hören, dann werden die nicht in die Gesundheits- und Kinderkrankenpflege gehen, sondern sie werden andere Berufe wählen, zum Beispiel Lehramtsstudiengänge oder Sozialpädagogik oder irgendetwas anderes. Sie wollen sich mit Kindern beschäftigen, und das geht uns verloren, wenn wir die Pflege eben schlechtreden.“

Kinderkrankenpfleger: "Ein total cooler Beruf"

Dass die Kinderkrankenpflege nicht schlecht geredet wird, das wünscht sich auch Michael Wetterich. Er war am Klinikum Augsburg 1996 der erste Mann, der in diesen Beruf gestartet ist. Er habe seitdem viele Fehleinschätzungen erlebt, sagt er. Etwa die Fehleinschätzung, dass man weniger Klinikbetten braucht, weil ja weniger Kinder geboren werden. „Wir haben reduziert von unserem Altbau zu unserem Neubau um circa 20 Prozent Betten. Und das sind die Betten im Moment, die uns jetzt fehlen.“

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Trotz aller Probleme, die Wetterich sieht, hat er die Entscheidung, in die Kinderkrankenpflege zu gehen, aber nie bereut. „Weil es ein total cooler Beruf ist“, sagt er. Wetterich ist auch in der Vereinigung der Pflegenden in Bayern aktiv. In dem Berufsverband versucht er Lobbyarbeit zu leisten. Gerade für die Kinderkrankenpflege könne er aus ganzer Überzeugung werben, sagt er.
„Es ist einfach dieser soziale Zusammenhalt, diese Unterstützung. Ich habe nicht nur die Kinder, ich habe die Eltern, ich habe die Geschwister. Ich habe da einfach auch total viel Spaß bei dem ganzen Stress.“
Die politischen Weichenstellungen, die Bundesgesundheitsminister Lauterbach angekündigt hat, sieht Wetterich grundsätzlich positiv. Dass sich schnell etwas ändern wird, glaubt er nicht. „Also so schnell wird es nicht gehen, nein.“
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