Überlastete Kinderkliniken

Das eine Virus begünstigt die Verbreitung des anderen Virus

07:08 Minuten
Aufnahme eines Kindes im Krankenhausbett, die Schärfe liegt auf der Hand des Kindes.
Gerade für junge Kinder ist das RV-Virus gefährlich. © imago / Cavan Images
Von Anja Nehls · 11.11.2021
Audio herunterladen
Viele Kinderkliniken in Berlin sind überlastet. Grund sind Infektionen mit dem sogenannten RS-Virus. Der trifft Kinder dieses Jahr besonders hart: Kontaktbeschränkungen und andere Coronamaßnahmen haben eine Stärkung ihres Immunsystems verhindert.
Der kleine Mohammed Abdulllah sitzt in einem Bettchen auf der Kinderstation im Berliner Vivantes-Klinikum Neukölln. In der Hand hält er sein Kuscheltier, mit einem Schlauch unter der Nase wird er mit Sauerstoff versorgt. Seit vier Tagen ist der Anderthalbjährige hier, erzählt seine Mutter. Los ging es zuhause mit einem einfachen Husten.
Mohammed Abdullah hat sich das RS-Virus eingefangen, das momentan grassiert. In Saisonalität und Symptomatik ähneln diese Infektionen der Influenza, schreibt das Robert Koch-Institut. Dieses Jahr gibt es aber deutlich mehr und deutlich schwerere Fälle, die zudem nicht erst wie sonst im Januar und Februar auftreten, sondern bereits jetzt, sagt Tobias Tenenbaum, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie und Chefarzt am Sana-Klinikum Lichtenberg.
Jungen sind etwa doppelt so häufig von schweren Krankheitsverläufen betroffen wie Mädchen. Im Durchschnitt verläuft die Erkrankung bei zwei von 1.000 Kindern tödlich, so das RKI. Und je jünger ein Kind ist, desto schwerer kann der Krankheitsverlauf ausfallen, erklärt Tenenbaum. So wie auf der Kinderstation des Klinikums Neukölln. Fast jedes zweite Bett ist dort derzeit mit RSV-Kindern belegt.
Der fast zweijährige Felix ist seit knapp einer Woche hier. Jetzt geht es ihm schon besser und seine Mutter Sabrina Kleinecke hofft, dass er bald entlassen werden kann. Ein Gerät zeigt Felix' Puls und die Sauerstoffsättigung im Blut. Dass die nicht mehr stimmte, hatte Sabrina Kleinecke sogar selbst festgestellt. Mit einem hartnäckigen Husten war Felix schon zwei Wochen bei einem Kinderarzt in Behandlung gewesen.
"Dann habe ich beim Wickeln beobachtet, dass es bei seinen Zehnägeln ein bisschen bläulich ist. Das ist immer so ein Indikator dafür, dass die Sauerstoffsättigung bei den Kindern nicht so gut ist. Dann haben wir eine Tasche gepackt und sind hergefahren."

Immunisierung für Risikogruppen ist möglich

Dass zurzeit so viele Kinder so schwer betroffen sind, könnte an den Coronamaßnahmen liegen, vermutet Tobias Tenenbaum. Durch den Lockdown, geschlossene Schulen und Kitas, konnten die Kinder kein funktionierendes Immunsystem aufbauen und ihre Abwehrkräfte nicht trainieren.
Kinderstationen wie in Neukölln geraten mittlerweile an ihre Kapazitätsgrenzen: Es gebe ein Bettenproblem, vor allem weil es – wie in fast allen Kliniken bundesweit – ein Personalproblem gebe, so der Chefarzt im Vivantes-Klinikum, Rainer Rossi.
Nach Rücksprache mit dem niedergelassenen Kinderarzt sollten Kinder mit RSV möglichst zuhause behandelt werden, empfehlen die Klinikärzte. Vorbeugen sei möglich, aber nur für bestimmte Kinder zu empfehlen, sagt Tenenbaum:
"Es gibt eine Prophylaxemöglichkeit, eine sogenannte passive Immunisierung, das ist quasi eine Gabe von Antikörpern gegen das Virus. Das empfiehlt man tatsächlich für Kinder mit besonderen Risikofaktoren, also zum Beispiel extreme Frühgeborene oder Kinder mit schwerem Herzfehler." Zuständig für eine solche Immunisierung ist der Kinderarzt.
Mehr zum Thema