Armutsbekämpfung

Was die Regierung mit der Kindergrundsicherung erreichen will

Illustration: Drei Kinder und eine erwachsene Person bemalen eine Wand. Eines der Kinder steht auf einer Leiter und kann somit am höchsten reichen. Es malt eine Sonne.
Die geplante Kindergrundsicherung soll Kindern aus einkommensschwachen Familien den Aufstieg erleichtern. © Imago / fStop Images / Malte Müller
27.09.2023
Einfacher, einheitlicher, gezielter: Die Kindergrundsicherung verspricht Entlastung vor allem für einkommensschwache Familien. Nach einem längeren Streit über die Finanzierung hat sich die Ampel-Regierung jetzt auf ihre Einführung geeinigt.
Wer in einer armen Familie aufwächst, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Erwachsenenalter arm. Schon länger gibt es deswegen Forderungen nach einer Grundsicherung für Kinder - auch weil Inflation, Pandemie und Energiekrise die Situation zusätzlich verschärft haben.
Für die Ampel-Regierung war die Kindergrundsicherung eines der wichtigsten sozialpolitischen Projekte. Über die Finanzierung wurde allerdings länger gestritten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) musste zwischen Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) vermitteln.
Doch nun hat das Bundeskabinett den Gesetzesentwurf aus dem Familienministerium verabschiedet und auf den Weg gebracht. Familienministerin Paus sagte im Deutschlandfunk, der Entwurf sei zuletzt noch einmal nachgebessert worden, um sicherzustellen, dass die Kindergrundsicherung auch am 1. Januar 2025 starten könne. Paus spricht von einem "Systemwechsel" - man habe jetzt das Rüstzeug, um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen.

Kindergrundsicherung: Was ist das?

Arbeitslosigkeit oder ein geringes Einkommen der Eltern sind die wichtigsten Gründe für Kinderarmut in Deutschland. Der Staat entlastet Familien daher finanziell mit dem sogenannten Familienleistungsausgleich.
Bisher zählen dazu mehrere Maßnahmen, die auf unterschiedlichen Wegen bei verschiedenen Behörden beantragt werden müssen. Das ist mühsam und führt dazu, dass bis zu 70 Prozent der Familien ihre Ansprüche auf bestimmte Leistungen nicht geltend machen. Mit der geplanten Reform soll das gesamte Verfahren einfacher und übersichtlicher werden.
Die Kindergrundsicherung soll ab 2025 Leistungen wie Kindergeld und Kinderfreibetrag, den Kinderzuschlag, Teile des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets sowie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch bündeln. Dieser neue Entlastungsausgleich soll künftig aus zwei Teilen bestehen: einem fixen Grundbetrag ("Kindergarantiebetrag") und einem flexiblen Zusatzbetrag ("Kinderzusatzbetrag").

Wieviel Geld gibt es und für wen?

Der Grundbetrag soll mindestens dem Kindergeld in seiner jetzigen Form entsprechen. Derzeit sind das 250 Euro pro Kind im Monat. Dieser Betrag soll alle zwei Jahre angepasst werden, und zwar auf Grundlage des Existenzminimumberichts der Bundesregierung. Der Grundbetrag soll ein „Garantiebetrag“ sein und als solcher auch nicht mit Sozialleistungen wie etwa dem Bürgergeld der Eltern verrechnet werden.
Der Zusatzbetrag ist abhängig vom Einkommen der Eltern. Wer wenig hat, soll also mehr bekommen. Er soll neben einer Pauschale für Bildung und Teilhabe (derzeit 15 Euro) eine Kinderwohnkostenpauschale (derzeit 150 Euro) beinhalten. Steigt das Einkommen der Familie, soll der Zusatzbetrag kleiner werden. In einem Eckpunktepapier von Familienministerin Paus heißt es: „Der Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung sinkt, bis ab Überschreiten einer noch zu definierenden Einkommenshöhe kein Anspruch mehr besteht.“

Wer bekommt die Kindergrundsicherung?

Genau wie das Kindergeld soll die Kindergrundsicherung alle Kinder ab Geburt bis zum Alter von 18 Jahren unterstützen. Wer eine Ausbildung macht, kann die Kindergrundsicherung bis zum 25. Geburtstag bekommen. Studierende werden bis zum 27. Lebensjahr unterstützt.
Geplant ist zudem eine eigene Kindergrundsicherungsstelle, die auf die Daten von Berufs- oder Hochschulen zugreifen können soll. Volljährige Kinder, die nicht mehr im Haushalt ihrer Eltern leben, sollen den Betrag direkt erhalten.

Wie soll die Kindergrundsicherung beantragt werden?

Künftig wird es nur eine Anlaufstelle für alle Kinderleistungen geben. Zuständig sein soll demnach der "Familienservice der Bundesagentur für Arbeit". Die Familienkassen kümmern sich bereits heute etwa um die Auszahlung des Kindergelds.
Mit der Kindergrundsicherungsstelle soll ein neues Portal entstehen, auf dem die Leistung möglichst einfach online beantragt werden kann. So ist geplant, dass Eltern zukünftig keine Einkommensnachweise mehr erbringen müssen. Stattdessen soll die Kindergrundsicherungsstelle Informationen direkt vom Finanzamt bekommen.

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Familienministerin Paus will die "Holschuld der Bürger" in eine "Bringschuld des Staates" überführen. Paus kündigte zu diesem Zweck bereits Ende 2022 einen sogenannten Kindergrundsicherung-Check an: Demnach sollen die Behörden künftig jene Familien aktiv ansprechen, deren Einkommen sich unterhalb einer entsprechenden Grenze bewegt.

Wozu braucht es die Kindergrundsicherung?

Deutschland hat ein strukturelles Problem mit Kinderarmut. Nach einer Analyse der Bertelsmann-Stiftung ist mehr als jedes fünfte Kind von Armut bedroht – 2021 waren das rund 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche. Sie gelten nach einer gängigen Definition als armutsgefährdet, wenn ihre Familie über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens verfügt.
Überdurchschnittlich betroffen sind der Stiftung zufolge Alleinerziehende sowie Familien mit drei oder mehr Kindern. Wer als junger Mensch in Armut aufwächst, leide täglich unter Mangel, Verzicht und Scham und habe deutlich schlechtere Zukunftschancen, heißt es in der Analyse. Die Kindergrundsicherung könnte die Lage von ärmeren Familien deutlich verbessern: Das ergab ein Gutachten des ifo-Instituts von Oktober 2021 im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen.

Warum wurde so lange in der Koalition über die Kindergrundsicherung gestritten?

Umstritten war in der Ampel-Regierung vor allem, wie viel die Kindergrundsicherung kosten darf. Im Januar 2023 hatte Bundesfamilienministerin Paus ein Eckpunktepapier vorgelegt und die Kosten auf rund zwölf Milliarden Euro beziffert. Das FDP-geführte Finanzministerium bezeichnete die Forderungen als zu hoch.
Später nannte Paus dann einen Finanzierungskorridor von zwei bis sieben Milliarden Euro. In der mittelfristigen Planung des Finanzministeriums waren aber nur zwei Milliarden Euro eingestellt.
Der monatelange Streit spitzte sich Mitte August 2023 zu, als Paus ein Veto gegen das Wachstumschancengesetz von Finanzminister Lindner einlegte. Vor allem aus der FDP kam der Vorwurf, Paus wolle auf diese Weise Zugeständnisse bei der Kindergrundsicherung erzwingen.
Die Ende August 2023 erzielte Einigung sieht vorerst Mehrausgaben von 2,4 Milliarden Euro ab 2025 vor. Aus Regierungskreisen heißt es, dass bei steigender Inanspruchnahme der Leistungen die zusätzlichen Kosten in den Folgejahren auf bis zu sechs Milliarden Euro ansteigen könnten.

Tim Belke, ahe, luc, tmk, jfr, nm, dpa, afp
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