Armutsbekämpfung

Worum es bei der Kindergrundsicherung geht

Illustration: Drei Kinder und eine erwachsene Person bemalen eine Wand. Eines der Kinder steht auf einer Leiter und kann somit am höchsten reichen. Es malt eine Sonne.
Die geplante Kindergrundsicherung soll Kindern aus einkommensschwachen Familien den Aufstieg erleichtern. © Imago / fStop Images / Malte Müller
Einfacher, einheitlicher, gezielter: Die Kindergrundsicherung sollte einkommensschwache Familien besser unterstützen. Im vergangenen Jahr hatte sich das Bundeskabinett auf ihre Einführung geeinigt. Doch daraus wird erst mal nichts.
Wer in einer armen Familie aufwächst, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Erwachsenenalter arm. Schon länger gibt es deswegen Forderungen nach einer Grundsicherung für Kinder - auch weil Inflation, Pandemie und Energiekrise die Situation zusätzlich verschärft haben.
Innerhalb der Ampel-Regierung war die Kindergrundsicherung vor allem für die Grünen eines der wichtigsten sozialpolitischen Projekte. Ende September 2023 hatte das Bundeskabinett schließlich eine Einigung zu dem Vorhaben erzielt, doch im Juli 2024 wurden die Pläne wieder verworfen.

Ist die Kindergrundsicherung gescheitert?

Vorgesehen war, Kindergeld, Kinderzuschlag für einkommensarme Familien sowie die Sozialleistungen für Kinder zu bündeln - damit sollten diese Leistungen einfacher zu erhalten sein. Im Juli 2024 hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nun klargestellt, dass dieses Vorhaben in dieser Legislaturperiode nicht umgesetzt wird.
Gegenüber den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland sagte Lindner, die Regierung werde den Kindersofortzuschlag fortführen und den Kinderzuschlag anheben. "Dies ist das, was auf der Leistungsseite in dieser Wahlperiode zu tun ist." Vorgesehen für den Haushalt 2025 sind eine Erhöhung des Kindergelds und des Kindersofortzuschlags um jeweils fünf Euro zum 01. Januar 2025. Außerdem soll der Kinderfreibetrag angehoben werden.
Das Projekt der Kindergrundsicherung sei damit „faktisch begraben“, sagt der Sozialwissenschaftler Stefan Sell. Die beschlossenen Anpassungen bei den Leistungen für Kinder würden dem Problem der Kinderarmut nicht gerecht, es sei ein „Trauerspiel“.
Ob die geplante Kindergrundsicherung damit vollständig vom Tisch ist, ist unklar. Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler sagte, dass man mit den beschlossenen Maßnahmen einen ersten Schritt gegangen sei, man werde im Parlament weiter über die Kindergrundsicherung sprechen.
Allerdings ist in dem beschlossenen Kompromiss kein Geld für den Aufbau der nötigen Strukturen für eine Kindergrundsicherung vorgesehen. Die Leistungen sollten eigentlich in einer Familienservice-Behörde gebündelt werden, um das Dickicht an Anträgen zu lichten.
Möglich ist, dass nun stattdessen eine Schmalspurversion des ursprünglichen Vorhabens eingerichtet wird, für das die FDP plädierte. Kernstück ist ein digitales Kinderchancenportal, auf dem Leistungen zur Teilhabe - der Musikunterricht oder Sportverein - beantragt werden können. Nach Angaben der Grünen könne dieses Portal nur ein erster Schritt sein, dem dann in den nächsten Jahren weitere folgen müssen.

Kindergrundsicherung: Was ist das?

Arbeitslosigkeit oder ein geringes Einkommen der Eltern sind die wichtigsten Gründe für Kinderarmut in Deutschland. Der Staat entlastet Familien daher finanziell mit dem sogenannten Familienleistungsausgleich.
Bisher zählen dazu mehrere Maßnahmen, die auf unterschiedlichen Wegen bei verschiedenen Behörden beantragt werden müssen. Das ist mühsam und führt dazu, dass bis zu 70 Prozent der Familien ihre Ansprüche auf bestimmte Leistungen nicht geltend machen. Mit der Reform sollte das gesamte Verfahren einfacher und übersichtlicher werden.
Die Kindergrundsicherung sollte ursprünglich ab 2025 Leistungen wie Kindergeld und Kinderfreibetrag, den Kinderzuschlag, Teile des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets sowie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch bündeln. Dieser neue Entlastungsausgleich sollte dann aus zwei Teilen bestehen: einem fixen Grundbetrag ("Kindergarantiebetrag") und einem flexiblen Zusatzbetrag ("Kinderzusatzbetrag").

Wie viel Geld war für wen geplant?

Der Grundbetrag sollte mindestens dem Kindergeld in seiner jetzigen Form entsprechen. Derzeit sind das 250 Euro pro Kind im Monat. Dieser Betrag sollte alle zwei Jahre angepasst werden, und zwar auf Grundlage des Existenzminimumberichts der Bundesregierung. Der Grundbetrag sollte ein „Garantiebetrag“ sein und als solcher auch nicht mit Sozialleistungen wie etwa dem Bürgergeld der Eltern verrechnet werden.
Der Zusatzbetrag sollte abhängig vom Einkommen der Eltern sein. Wer wenig hat, sollte also mehr bekommen. Er sollte neben einer Pauschale für Bildung und Teilhabe (derzeit 15 Euro) eine Kinderwohnkostenpauschale (derzeit 150 Euro) beinhalten. Steigt das Einkommen der Familie, sollte der Zusatzbetrag kleiner werden. In einem Eckpunktepapier von Familienministerin Paus heißt es: „Der Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung sinkt, bis ab Überschreiten einer noch zu definierenden Einkommenshöhe kein Anspruch mehr besteht.“

An wen richtet sich die Kindergrundsicherung?

Genau wie das Kindergeld soll die Kindergrundsicherung alle Kinder ab Geburt bis zum Alter von 18 Jahren unterstützen. Wer eine Ausbildung macht, soll die Kindergrundsicherung bis zum 25. Geburtstag bekommen können. Studierende sollen bis zum 27. Lebensjahr unterstützt werden.
Geplant war zudem eine eigene Kindergrundsicherungsstelle, die auf die Daten von Berufs- oder Hochschulen zugreifen können soll. Volljährige Kinder, die nicht mehr im Haushalt ihrer Eltern leben, sollten den Betrag direkt erhalten.

Wie sollte die Kindergrundsicherung beantragt werden?

Eine Anlaufstelle für alle Kinderleistungen war der Plan. Zuständig sein sollte demnach der "Familienservice der Bundesagentur für Arbeit". Die Familienkassen kümmern sich bereits heute etwa um die Auszahlung des Kindergelds.
Mit der Kindergrundsicherungsstelle sollte ein neues Portal entstehen, auf dem die Leistung möglichst einfach online beantragt werden kann. So war geplant, dass Eltern zukünftig keine Einkommensnachweise mehr erbringen müssen. Stattdessen sollte die Kindergrundsicherungsstelle Informationen direkt vom Finanzamt bekommen.

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Familienministerin Paus will die "Holschuld der Bürger" in eine "Bringschuld des Staates" überführen. Paus kündigte zu diesem Zweck bereits Ende 2022 einen sogenannten Kindergrundsicherung-Check an: Demnach sollen die Behörden künftig jene Familien aktiv ansprechen, deren Einkommen sich unterhalb einer entsprechenden Grenze bewegt.
Hier zeigt sich ein grundlegender Dissens zwischen Grünen und FDP. Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschlands im Juli 2024, dass man bei einer sozialen Leistung mindestens erwarten könne, dass die Menschen bereit seien, sich zu informieren und einen Antrag zu stellen.

Wozu braucht es die Kindergrundsicherung?

Deutschland hat ein strukturelles Problem mit Kinderarmut. Nach einer Analyse der Bertelsmann-Stiftung ist mehr als jedes fünfte Kind von Armut bedroht – 2021 waren das rund 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche. Sie gelten nach einer gängigen Definition als armutsgefährdet, wenn ihre Familie über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens verfügt.
Überdurchschnittlich betroffen sind der Stiftung zufolge Alleinerziehende sowie Familien mit drei oder mehr Kindern. Wer als junger Mensch in Armut aufwächst, leide täglich unter Mangel, Verzicht und Scham und habe deutlich schlechtere Zukunftschancen, heißt es in der Analyse. Die Kindergrundsicherung könnte die Lage von ärmeren Familien deutlich verbessern: Das ergab ein Gutachten des ifo-Instituts von Oktober 2021 im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen.
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