Kinderbuch

Vom Leben in der Ausnahmesituation

Von Simone Miller · 21.02.2014
Akim muss um sein Leben laufen, denn sein Dorf wurde von Soldaten überfallen. Er muss vor dem Krieg flüchten und sucht seine Familie. In Skizzen und kleinen Szenen zeichnet Claude Dubios das Schicksal von Kindern im Krieg nach.
Akim ist ein normaler kleiner Junge: Strubbeliges Haar, freches Grinsen, T-Shirt und Shorts. Am Ufer eines Flusses, unweit seines Zuhauses, spielt er mit Freunden. Doch dann beenden dumpfer Lärm und Schüsse jäh das friedliche Spiel. Krieg bricht herein. Akim rennt nach Hause, doch nichts ist übrig, seine Familie verschwunden. Eine verzweifelte Suche beginnt.
Eine Suche, die einen nicht mehr loslässt - auch nachdem man die knapp 100 Seiten angeschaut hat. Denn dieses Buch ist kein Kindervorlesebuch im klassischen Sinne. Vielmehr besticht es durch seine skizzenhaften schwarz-weißen Zeichnungen, die nur zwischendurch von Text begleitet werden. Sie wirken wie dem Papier schnell und mit grobem Strich preisgegebene Einsichten in Akims Gefühlswelt inmitten des Kriegsdramas.
Leben in der Ausnahmesituation
Auf seiner Suche geht der kleine Junge durch Szenerien der Verwüstung; Tote und Verwundete liegen zwischen zerstörten Häusern. Die Illustrationen muten den jungen Betrachtern dabei einiges zu, üben sie sich aber trotzdem in wohlüberlegter Zurückhaltung: An den entscheidenden Stellen bleibt das Grauen angedeutet - der Schrecken wird vor allem über die Gestik und Mimik Akims transportiert. Tod und Zerstörung zeigen sich meist in stilisierten Figuren.
Die Bilderstrecken machen das Leben in der Ausnahmesituation erfahrbar. Ob in der Ruine eines Hauses, bei feindlichen Soldaten oder auf dem quälenden Marsch über die Grenze, sie zeigen den Versuch der Menschen, ein bisschen Trost zu finden und zu spenden. So auch die Bilder aus dem Alltag im schließlich erreichten Flüchtlingslager: Einen Teller in den Händen stehen die Kinder erwartungsvoll vor großen Töpfen, in denen dampfend eine Mahlzeit kocht. Diese einfühlsamen Bilder, die von Menschlichkeit inmitten der Katastrophe erzählen, gehen unter die Haut, treffen mitten ins Herz. Auch solche die Akim zeigen, wenn er gerne mit den anderen Kindern spielen würde, es ihm aber nicht gelingt - mit düsterem Gesicht wendet er sich ab. Nur das zufällig gefundene Kuscheltier bleibt ihm. Doch dann geschieht, was man zu hoffen gar nicht mehr gewagt hatte: Seine Mutter wird gefunden.
Bilder die belegen: Jedem Menschen gebührt ein Recht auf Schutz
Berührend sind die Zeichnungen nicht nur, weil sie den Blick öffnen für die Bürden, die auf den Schultern von Kriegsflüchtlingen lasten, sondern vor allem, weil sie sensibel ihren Umgang mit dem Schwererträglichen zeigen: rettende Gesten der Fürsorge, kleine Freuden inmitten der Verzweiflung und den Willen, nicht aufzugeben.
Akims Geschichte ist die Geschichte Tausender Kinder auf der Flucht vor Krieg und Elend. Die belgische Kinderbuchautorin Claude Dubois beweist, es bedarf nicht vieler Worte, um zu erklären, warum jedem Menschen ein unbedingtes Recht auf Schutz gebührt. Völlig zu Recht wurde dieses große Bilderbuch im kleinen Format von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur zum Buch des Monats Februar ernannt.

Claude Dubois: Akim rennt
Aus dem Französischen von Tobias Scheffel
Moritz Verlag, Frankfurt am Main 2013, 96 Seiten, 12,95 Euro

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