Kinderbuch

Nicht ohne meinen Drachen

Ein Vater lässt am 16.03.2014 in Berlin auf dem Teufelsberg bei starkem Wind und dicht bewölktem Himmel mit seinem Sohn einen Drachen steigen.
In Oliver Jeffers neuem Buch "Steckt" dreht sich alles um einen Drachen, der sich in einem Baum verfängt. © picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Von Sylvia Schwab · 10.03.2015
Nicht nur die Herzen der Kinder hat Oliver Jeffers mit seinen Geschichten vom "Herz in der Flasche" oder dem "Unglaublichen kleinen Bücherfresser" erobert. Auch sein neues Buch "Steckt" ist bunt, turbulent und sehr originell.
Wer "steckt" denn da und wo? Oliver Jeffers hatte wieder einmal eine ganz einfache Idee – mit weit reichenden Konsequenzen: Der kleine Floyd – großer Kopf, kariertes Hemd, Strichbeine – lässt seinen roten Drachen steigen und der bleibt im Baum hängen. Um den Drachen wieder runter zu holen, tut Floyd das, was jeder tun würde: Er wirft einen Gegenstand hinauf, der den Drachen aus den Zweigen lösen soll.
Happy End mit Nebenwirkungen
Doch ab jetzt läuft alles schief. Erstens bleibt der Schuh, den Floyd hinauf wirft, ebenfalls stecken, und zweitens ist es sein Lieblingsschuh. Also muss der nächste Schuh hinterher, um den ersten zu befreien. Auch der „steckt" dann fest, und so geht es weiter. Was total komisch ist - wenn es einem nicht selbst passiert!
Denn alles, was Floyd wirft, bleibt stecken: Die Katze, die halbe Hauseinrichtung, dann der Milchmann und das Auto, ein Orang-Utan, ein Wal und schließlich ein Feuerwehrauto samt Mannschaft. Bis Floyd mit einer Säge aus dem Haus kommt. Aber wer nun meint, Floyd säge den Baum um, der irrt. Wie die Leiter nicht angelehnt wurde, um hinauf zu steigen, sondern mit Schwung hinauf befördert wurde, so wird auch die Säge in den Baum geworfen. Das scheint zwar sinnlos, ist aber gerade darum erfolgreich: Der Drache fällt runter! Floyd lässt ihn beglückt steigen. Nur abends im Bett „hätte er schwören können, dass er irgendetwas vergessen hatte".
Ein Happy End? Für Floyd schon. Aber was ist mit all den Tieren und Menschen da oben im Baum? Die stecken fest und sinnieren, wie sie wieder runter kommen. Und mit ihnen die kleinen Leserinnen und Leser. Denn die dürfen jetzt spekulieren, phantasieren, wie es weiter geht. Nehmen die Feststeckenden die Leiter nach unten? Fahren sie mit dem Schiff? Oder dem Auto? Schleudert Floyd am nächsten Morgen vielleicht einen neuen Ding-Haufen hoch, damit die anderen Sachen Stück für Stück herunter fallen?
Comic und Wimmelbilderbuch haben Pate gestanden
So einfach Oliver Jeffers "Steckt" daherkommt, so originell ist dieses Bilderbuch. Nicht nur mit seiner Grundidee, seinen überraschenden Wendungen und dem offenen Schluss, sondern auch in seiner Gestaltung. Pfiffig und schwungvoll sind seine Strichmännchen, kraus-gezwirbelt ist der Baum, knapp und witzig ist der Text. Der Comic grüßt von fern, auch das Wimmelbilderbuch steht Pate. Grellbunt und turbulent ist die skurrile Geschichte gestaltet, auf grünem-rot-blauem Hintergrund.
Oliver Jeffers spiegelt ironisch die Allmachtsphantasien kleiner Kinder, wenn Floyd mit Schwung Schiff und Leuchtturm hochwirft. Und noch ein anderes Gefühl bedient der Künstler mit Genuss: die Schadenfreude! Denn irgendwann tut einem der kleine Junge wegen des Drachens nicht mehr leid, sondern man lacht über sein Unglück. Dass er am Schluss alles im Baum vergessen hat, außer seinem Drachen - auch dieses Gefühl kennen Kinder. Einschlafen mit schlechtem Gewissen - ausnahmsweise mal kein Problem! Wie schön, dass es Bilderbücher gibt, die all das ausdrücken, was man sich selbst nicht getraut zu sagen!

Oliver Jeffers: Steckt
Übersetzt von Anna Schaub, NordSüd Verlag, Zürich 2015, 32 Seiten, 14,99 Euro. Ab vier Jahren.