Kinder lernen Nein zu sagen

Von Katrin Albinus · 09.07.2013
Aufdringlichkeiten, Drohungen, Erpressungen: Nicht alle Kinder wissen, wie sie sich dagegen wehren können. Bei einem Training in einer Schule lernen sie sich abzugrenzen - und die Angst vor Beziehungsverlust zu überwinden.
Jörn Oberheim: "Erst mal begrüße ich euch ganz herzlich und offiziell zum Kindersicherheitstraining. Ich heiße Jörn und ich bin hier der Trainer. Und wir machen das jetzt mal so: wenn ihr das Gefühl habt, ihr wollt nur zukucken, dann dürft ihr mir das gerne sagen."

Montagnachmittag um 16.00 Uhr im Klassenraum der 4b in einer Grundschule im Hamburger Stadtteil Harvestehude. Jörn Oberheim sitzt mit 12 Schülerinnen und Schülern im Stuhlkreis. Der 1,85 große Mann trägt ein dunkelblaues Poloshirt mit der Aufschrift "Smart Team", dazu Jeans und Turnschuhe.

Und er erklärt die Regeln für das Training: Keiner muss mitmachen und keiner wird von ihm angefasst. Dann beginnt das erste Rollenspiel, Oberheim schlüpft in die Rolle eines aufdringlichen Mannes.

"Der will jetzt mal Kinder belästigen. Habt ihr vielleicht schon mal gehört, das Wort: das ist mal ein Belästiger. Willst Du es mal ausprobieren? Du kriegst jetzt erst mal einen dollen Applaus (Applaus). Und immer, wenn bei mir Theaterstücke losgehen, machen wir immer so Theaterklappe und wir sagen einfach mal: drei, zwo, eins, Kartoffelsalat. Seid ihr bereit? / Ja. / Alle: Drei, zwo, eins, Kartoffelsalat."

Jörn Oberheim schiebt sich mit seinem Stuhl näher an die 10-jährige Sarah heran - woraufhin die Schülerin erst zaghaft, dann immer entschiedener von ihm wegrückt.

"Entschuldigung! Kurze Frage: Hast du Angst vor mir. (Gelächter) Ich hab heute morgen geduscht! Komm doch mal wieder zurück, ich will mich mit dir unterhalten, das ist grad so nett mit dir, ich find dich voll süß!" (Mädchen rückt weiter weg, Kinder lachen)

Lachend, aber auch mit skeptischem Unbehagen sieht Sarah den Belästiger an und vergrößert den Abstand zu ihm, bis Oberheim das Spiel abbricht.

"Ich frag euch jetzt mal als allererstes: wie fandet ihr den, den ich gespielt hab? War der sympathisch oder fandet ihr den komisch? Wie war das für euch?"

Sarah: "Also ich fand, nichts gegen Dich, aber das war ein bisschen... das war nicht cool oder so, das war total komisch."

Das Smart Team will die Kinder darin bestärken, ihrem eigenen Gefühl zu vertrauen und sich dann eindeutig zu verhalten: Indem sie weg laufen, jemandem Bescheid sagen oder auch laut werden und Stop sagen. Dass sie das auch gegenüber Lehrern oder ihren Eltern dürfen, ist für einige neu.

Oberheim: "Ihr dürft selber bestimmen, ob ihr einen Kuss wollt, oder nicht. Auch bei Familienmitgliedern dürft ihr das selber bestimmen. Wusstet ihr das? Wusstet ihr nicht, nä? Viele Erwachsene wissen das auch nicht."

Viele Eltern wissen auch nicht, dass es bei sexuellem Missbrauch meist nicht um den bösen Fremden geht - 85 Prozent der Übergriffe finden im familiären oder sozialen Umfeld statt. Auch dazu macht Oberheim eine Übung mit den Kindern - und spielt Lehrer Hans Heimlich.

"Drei, zwo, eins, Kartoffelsalat. Ich hab ja eure Arbeiten ausgewertet gestern und da ist mir was aufgefallen, das hat mir eigentlich auch bisschen die Laune verdorben, weil zwei Schülerinnen von euch so schlecht waren, aber wir besprechen das erst mal zu dritt."

Lehrer Heimlich schickt den Rest der Klasse in die Pause und verschließt die Tür. Dann droht er den Mädchen damit, ihre Eltern zu informieren - es sei denn, sie würden ihm einen Gefallen tun.

"Aber ihr müsst mir vorher versprechen, dass ihr das euren Eltern nicht weiter erzählt."

Mädchen: "Kommt drauf an, was es ist."

"Und zwar, ihr könnt eure Note verbessern, wenn ihr mich jetzt hier mal ganz kurz am Bauch streichelt."

Mädchen: "Nein. Nein, das macht man aber nicht."

Der Lehrer versucht, die Schülerinnen weiter unter Druck zu setzen, doch die sind um Antworten nicht verlegen.

Mädchen: "Also, ich hör mir das nicht länger an, das reicht uns jetzt!"

Die Mädchen informieren die Schulleiterin, die Lehrer Heimlich zur Rede stellt. Im Anschluss an das Rollenspiel überlegt die Gruppe, mit welchen Tricks der Lehrer gearbeitet hat.

Oberheim: "Der macht was mit Kindern, was nicht in Ordnung ist. Und wie hat der eigentlich versucht, die Kinder dazu zu bringen, dass die ihn anfassen?"

"Also der hat gesagt, dass sie ne bessere Note kriegen, damit sie es auch wirklich machen. Weil einfach so würds ja niemand machen."

"Er wollte die Kinder sozusagen erpressen und er hat auch gesagt, dass wenn sie das nicht machen, dass er dann ihre Eltern anruft."

Oberheim: "Ja, der wollte die einschüchtern und er wollte denen Angst machen. Und es funktioniert auch manchmal bei Kindern. Aber hier hat das gar nicht funktioniert."

Die Kinder der 4b sind schon ziemlich fit darin, nein oder Bescheid zu sagen - und das ganz sicher auch dank ihrer Eltern. Die Unterstützung der Erwachsenen ist auch nach dem Kurs besonders wichtig für die Kinder. In einer zweiten Runde erklärt der Trainer Lehrern und Eltern, warum.

Oberheim: "Mir hat eine Mutter erzählt, ja nach dem Kurs, da hat mein Kind das auch bei Opa gemacht. Meine Tochter hat sich hingestellt und gesagt: ich mag keinen Kuss auf den Mund. Und dann hat sie mal vorgemacht, was ihr Vater dann gemacht hat. Der hat seine Enkelin so angekuckt, und dann sagte er auch noch: das kann doch nicht sein! Du willst doch immer ein Küsschen! Das passiert relativ häufig."

Oberheim erinnert die Eltern daran, wie schwer es Kindern gerade in ihrem nahen Umfeld fallen kann, Grenzen aufzuzeigen - aus Angst vor Beziehungsverlust. Ob sich das Kind nach einer solchen Erfahrung wieder traut, nein zu sagen, ist fraglich.

Oberheim: "Bitte verhindern Sie das.... Sagen Sie, es ist so ein Training gelaufen, was die Inhalte waren, und bereiten Sie ihr Umfeld darauf vor, dass die Kinder wahrscheinlich sich bei Körperkontakt, den sie nicht wollen, abgrenzen."

Das kann auch mal heißen: kein Abschiedskuss, kein Gute-Nacht-Kuss …

Oberheim: "Ja, das ist hart. Das kann hart sein, wirklich."
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