Kiez-Klub mit Kultstatus
Der FC St. Pauli genießt Kultstatus, und die Fans bleiben dem Fußballverein treu, auch wenn er nach zwischenzeitlichem Abstieg in die Regionalliga erst seit der laufenden Saison zumindest wieder in der Zweiten Bundesliga mitkickt. Hermann Schmidt, selbst Hardcore-Fan, beschreibt in seinem Buch, wie der "Zauber am Millerntor" entsteht.
Ein diesiger November-Dienstagabend in Hamburg: Im rauchgeschwängerten "Ballsaal" des FC St. Pauli im sogenannten VIP-Container hinter der Haupttribüne des Millerntorstadions liest Hermann Schmidt. Es geht um eine Schlappe seines Vereins im Pokal-Auswärtsspiel gegen Werder Bremens Amateure.
"An der Raststätte Grundbergsee kauften wir uns ein Sixpack. Ali und ich zählten alle Niederlagen auf, die wir für den FC St. Pauli im Laufe unseres Fan-Daseins schon nach Hause gefahren hatten, von Auswärtsspielen. Die Aufzählung dauerte von der Raststätte Grundbergsee bis weit hinter den Elbtunnel."
Es gehört schon eine gehörige Portion Masochismus dazu, Anhänger des FC St. Pauli zu sein. Hermann Schmidt, Geschäftsführer des Hamburger Jahreszeiten-Verlags, leistet sich diesen Masochismus seit über 16 Jahren. Die erste Partie, die er am Millerntor verfolgt, nach Unterzeichnung seines Arbeitsvertrags, wird für ihn zum Schlüsselerlebnis. Damals, als St. Pauli noch Erstligist war und gegen den Karlsruher SC antrat.
"Und da hat dann der Dirk Zander nach zwölf Sekunden am 12. April 1991 das schnellste Bundesligator damals aller Zeiten geschossen, und da war in dem Stadion die Hölle los und ich war dann eben einfach gefangen von der Atmosphäre am Millerntor und hab mir dann gleich auch eine Dauerkarte gekauft."
Der Zauber am Millerntor: Das meint nicht argentinisch-brasilianische Fußballkunst mit raffiniertem Kurzpassspiel, Maradona und rasante Übersteiger.
Für den Paulianer Schmidt liegt der Reiz in den Ritualen: der kollektiven Anreise, dem gemeinsamen Frühschoppen, die Vorfreude auf das Spiel bis endlich der Anpfiff ertönt.
"Ich bin immer ganz gerührt, wenn das Spiel beginnt und diese Hells Bells von ACDC gespielt werden und dann all die Che-Guevara-Fahnen und die Papierschnipsel durch die Luft fliegen, dann denk ich immer: Wäre es mir doch jemals vergönnt gewesen in meinem aktiven Fußballerleben, unter einer Che-Guevara-Fahne zu spielen! Dann wäre ich wahrscheinlich noch besser gewesen als mancher, der heute da auf dem Platz rumläuft."
Wer Schmidts Schilderungen liest, begreift schnell, wieso der Hamburger Kiez-Klub einen solchen Kult-Status genießt. Und das, obgleich er nach zwischenzeitlichem Abstieg in die Regionalliga erst seit der laufenden Saison zumindest wieder in der Zweiten Bundesliga mitkickt. Als Marke spielt St. Pauli in der Champions League.
Das Leben eines St.-Pauli-Fans ist ein Wechselbad der Gefühle. Schmidt erzählt mit viel Witz und Ironie von grandiosen Siegen und schmählichen Niederlagen, vom Triumph des "Weltpokalsiegerbesiegers" über Bayern München, von Ab- und Aufstieg, von Klubfreundschaften und der ewigen Lokalrivalität mit dem großen HSV und von der Retter-Kampagne, die die Vereinsführung um den umtriebigen Präsidenten Corny Littmann im Jahr 2003, als der Lizenzverlust drohte, anzettelte. Dazu gehörte nicht nur die Kreation des legendären "Retter-T-Shirts", dessen Verkauf allein eine runde Million Euro in die Vereinskasse spülte.
"Es gab auch ganz kuriose Aktionen wie ’Saufen für St. Pauli’, wo Wirte auf der Reeperbahn und im Schanzenviertel dann einen Teil des Ertrages aus dem Bierverkauf dem FC St. Pauli geschenkt haben und es gab noch eine interessante und witzige Initiative, dass nämlich Damen, die Telefonsex anbieten, einen Teil des Geldes, das sie verdient haben, auch an den FC St. Pauli abgeführt haben."
"Wir sind das Freudenhaus der Liga", steht folgerichtig in dicken Lettern auf dem VIP-Container hinter der Haupttribüne. Zwar ist der Autor längst von den Stehrängen des Millerntorstadions in den sogenannten "Bonzenblock" gewechselt. Auf eine lebenslange Sitzplatz-Dauerkarte zum Schnäppchenpreis von 3910 Euro, wie sie der klamme Klub vor Beginn der Saison 2005/06 den treuen Fans anbot, mochte Schmidt sich allerdings nicht einlassen. Nach eigenem Bekunden "aufgrund meines Alters und meines Nikotinkonsums". Dem nach Meinung der meisten Fans frevelhaften Ansinnen des Vorstands, den Namen des Stadions an einen potenten Sponsor zu verhökern, steht der Autor skeptisch gegenüber. Bei einer forcierten Kommerzialisierung könnte die Identifikation der Fans mit dem Klub Schaden nehmen.
"Man wird sich dem nicht gänzlich verschließen können, wahrscheinlich auch beim FC St. Pauli nicht, aber ich bedaure die Entwicklung, weil: Wenn er auf diese Weise ein Wirtschaftsunternehmen aus dem FC St. Pauli machen will, der Zauber am Millerntor und der Fußball am Millerntor sein Herz verliert."
Ein amüsantes Buch über einen mit Recht als Kult gefeierten Verein, das nicht nur Hardcore-Fans erfreuen dürfte.
Hermann Schmidt: Zauber am Millerntor
Aus dem Leben eines FC-St. Pauli-Fans
Verlag Die Werkstatt, Göttingen
"An der Raststätte Grundbergsee kauften wir uns ein Sixpack. Ali und ich zählten alle Niederlagen auf, die wir für den FC St. Pauli im Laufe unseres Fan-Daseins schon nach Hause gefahren hatten, von Auswärtsspielen. Die Aufzählung dauerte von der Raststätte Grundbergsee bis weit hinter den Elbtunnel."
Es gehört schon eine gehörige Portion Masochismus dazu, Anhänger des FC St. Pauli zu sein. Hermann Schmidt, Geschäftsführer des Hamburger Jahreszeiten-Verlags, leistet sich diesen Masochismus seit über 16 Jahren. Die erste Partie, die er am Millerntor verfolgt, nach Unterzeichnung seines Arbeitsvertrags, wird für ihn zum Schlüsselerlebnis. Damals, als St. Pauli noch Erstligist war und gegen den Karlsruher SC antrat.
"Und da hat dann der Dirk Zander nach zwölf Sekunden am 12. April 1991 das schnellste Bundesligator damals aller Zeiten geschossen, und da war in dem Stadion die Hölle los und ich war dann eben einfach gefangen von der Atmosphäre am Millerntor und hab mir dann gleich auch eine Dauerkarte gekauft."
Der Zauber am Millerntor: Das meint nicht argentinisch-brasilianische Fußballkunst mit raffiniertem Kurzpassspiel, Maradona und rasante Übersteiger.
Für den Paulianer Schmidt liegt der Reiz in den Ritualen: der kollektiven Anreise, dem gemeinsamen Frühschoppen, die Vorfreude auf das Spiel bis endlich der Anpfiff ertönt.
"Ich bin immer ganz gerührt, wenn das Spiel beginnt und diese Hells Bells von ACDC gespielt werden und dann all die Che-Guevara-Fahnen und die Papierschnipsel durch die Luft fliegen, dann denk ich immer: Wäre es mir doch jemals vergönnt gewesen in meinem aktiven Fußballerleben, unter einer Che-Guevara-Fahne zu spielen! Dann wäre ich wahrscheinlich noch besser gewesen als mancher, der heute da auf dem Platz rumläuft."
Wer Schmidts Schilderungen liest, begreift schnell, wieso der Hamburger Kiez-Klub einen solchen Kult-Status genießt. Und das, obgleich er nach zwischenzeitlichem Abstieg in die Regionalliga erst seit der laufenden Saison zumindest wieder in der Zweiten Bundesliga mitkickt. Als Marke spielt St. Pauli in der Champions League.
Das Leben eines St.-Pauli-Fans ist ein Wechselbad der Gefühle. Schmidt erzählt mit viel Witz und Ironie von grandiosen Siegen und schmählichen Niederlagen, vom Triumph des "Weltpokalsiegerbesiegers" über Bayern München, von Ab- und Aufstieg, von Klubfreundschaften und der ewigen Lokalrivalität mit dem großen HSV und von der Retter-Kampagne, die die Vereinsführung um den umtriebigen Präsidenten Corny Littmann im Jahr 2003, als der Lizenzverlust drohte, anzettelte. Dazu gehörte nicht nur die Kreation des legendären "Retter-T-Shirts", dessen Verkauf allein eine runde Million Euro in die Vereinskasse spülte.
"Es gab auch ganz kuriose Aktionen wie ’Saufen für St. Pauli’, wo Wirte auf der Reeperbahn und im Schanzenviertel dann einen Teil des Ertrages aus dem Bierverkauf dem FC St. Pauli geschenkt haben und es gab noch eine interessante und witzige Initiative, dass nämlich Damen, die Telefonsex anbieten, einen Teil des Geldes, das sie verdient haben, auch an den FC St. Pauli abgeführt haben."
"Wir sind das Freudenhaus der Liga", steht folgerichtig in dicken Lettern auf dem VIP-Container hinter der Haupttribüne. Zwar ist der Autor längst von den Stehrängen des Millerntorstadions in den sogenannten "Bonzenblock" gewechselt. Auf eine lebenslange Sitzplatz-Dauerkarte zum Schnäppchenpreis von 3910 Euro, wie sie der klamme Klub vor Beginn der Saison 2005/06 den treuen Fans anbot, mochte Schmidt sich allerdings nicht einlassen. Nach eigenem Bekunden "aufgrund meines Alters und meines Nikotinkonsums". Dem nach Meinung der meisten Fans frevelhaften Ansinnen des Vorstands, den Namen des Stadions an einen potenten Sponsor zu verhökern, steht der Autor skeptisch gegenüber. Bei einer forcierten Kommerzialisierung könnte die Identifikation der Fans mit dem Klub Schaden nehmen.
"Man wird sich dem nicht gänzlich verschließen können, wahrscheinlich auch beim FC St. Pauli nicht, aber ich bedaure die Entwicklung, weil: Wenn er auf diese Weise ein Wirtschaftsunternehmen aus dem FC St. Pauli machen will, der Zauber am Millerntor und der Fußball am Millerntor sein Herz verliert."
Ein amüsantes Buch über einen mit Recht als Kult gefeierten Verein, das nicht nur Hardcore-Fans erfreuen dürfte.
Hermann Schmidt: Zauber am Millerntor
Aus dem Leben eines FC-St. Pauli-Fans
Verlag Die Werkstatt, Göttingen