Kevin Vennemann über "Buddenbrooks"

Erschöpfung und Panik des Bürgertums

12:20 Minuten
Szene aus einer Verfilmung der "Buddenbrooks" von 2008 mit Armin Mueller-Stahl (links) und Mark Waschke
Schleichender Energieverlust in der Folge der Generationen: Szene aus einer Verfilmung der "Buddenbrooks" von 2008 mit Armin Mueller-Stahl (links) und Mark Waschke. © picture alliance / Everett Collection | Bavaria Film International/courtesy Everett Collection
Kevin Vennemann im Gespräch mit Frank Meyer · 22.12.2020
Audio herunterladen
Was hat der zweite Satz der Thermodynamik mit dem Roman "Buddenbrooks" zu tun? Für den Literaturwissenschaftler Kevin Vennemann sind beim Zerfall des Bürgertums physikalische Kräfte am Werk: Ein Energieverlust, der sich bis heute beschleunigt.
Die Gesellschaft in Thomas Manns Roman "Buddenbrooks" befindet sich im Zustand der Erschöpfung, nachdem die Industrialisierung im Laufe des 19. Jahrhunderts die Welt rasant verändert hatte. Eine Parallele zur heutigen Situation, so eine der Thesen des in Kalifornien lehrenden Literaturwissenschaftlers Kevin Vennemann in seinem Buch "Die Welt vom Rücken des Kranichs".
"Diese Lübecker Händlerfamilie war in den 1830er/1840er-Jahren überzeugt davon, den Höhepunkt menschlichen Fortschritts erreicht zu haben und auch zu repräsentieren", sagt der 1977 geborene Schriftsteller und Hochschullehrer. Das habe "auch für den Rest der ehemals revolutionären bildungsbürgerlichen Elite in Europa" gegolten.
"Es sollte nie wieder bergab gehen, weder ökonomisch, noch politisch, noch kulturell." Möglicherweise gehe es uns heute ähnlich, so Kevin Vennemann. "Insofern als wir überzeugt waren oder immer noch sind, dass Hyper-Technologisierung und Ultra-Globalisierung uns unverwundbar machen werden. Der Klimawandel und auch das politische Klima in der Welt zeigen ein bisschen, dass dem eben nicht so ist. Und erschöpft sind wir ja sowieso alle heute."
Vennemann bringt die Roman-Analyse mit Überlegungen aus der Physik in Zusammenhang, die davon ausgehen, dass sich Energie nach und nach verbraucht. "Und das ist eine Erkenntnis, die natürlich Panik bewirken musste", so der in Kalifornien lehrende Wissenschaftler. "Diese Panik führt dazu, dass das Bürgertum realisiert: Vielleicht sind wir doch gar nicht so ideal entwickelt, wie wir es die ganze Zeit gedacht haben. Selbst wir sind einem unausweichlichen Niedergang ausgesetzt. Irgendwann in weiter Ferne wird es auch mit uns, dem Bürgertum, ein Ende haben."
(svo)

Kevin Vennemann: "Die Welt vom Rücken des Kranichs"
Matthes & Seitz, Berlin 2020
236 Seiten, 28 Euro

Mehr zum Thema