Kernfusionsforschung

Heißer Stoff in Wendelstein 7-X

06:33 Minuten
In der Kernfusionsforschungsanlage "Wendelstein 7-X" in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) ist am 10.12.2015 das erste Plasma erzeugt worden. Das Bild zeigt ein großes Gebilde aus Metall in einer Halle.
Hier wird an der Zukunft der Energiegewinnung geforscht: die 725 Tonnen schwere Kernfusionstestanlage Wendelstein 7-X in Greifswald. © picture alliance / dpa-Zentralbild / Stefan Sauer
Von André Hatting · 26.08.2021
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In Greifswald steht die wohl größte Kernfusionforschungsanlage der Welt. Hier betreibt die Max-Planck-Gesellschaft für Plasmaphysik unter dem konspirativ klingenden Namen Wendelstein 7-X Grundlagenforschung für die Zukunft der Energiegewinnung.
Ganz im Süden der Stadt Greifswald, gegenüber von einem Acker, liegt der Wendelstein 7-X. Nichts deutet darauf hin, dass hier, in diesen unscheinbaren Bürogebäuden, das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik an einem seiner weltweit wichtigsten Projekte forscht. Leiter Thomas Klinger ist von Anfang an dabei.
Das ganze Projekt heißt Wendelstein 7-X. Das klingt erstmal sehr geheimnisvoll. Was steckt dahinter und warum dieser Name?

Deckname für Geheimforschung

"Wendelstein ist ein Berg in Bayern. Die Wendelsteinlinie wurde bereits in den 60er-Jahren begonnen an unserem Standort in Garching in Bayern. Und die Gründerväter – waren das zu dieser Zeit ausschließlich – waren inspiriert von einem Projekt aus den USA, das Project Matterhorn hieß", erläutert Klinger. "Das war in der Tat ein Deckname, weil es zu der Zeit noch Geheimforschung war. Und wenn unsere US-Kollegen schon das Matterhorn genommen haben, dann nehmen wir jetzt den Wendelstein. Das heißt: Die erste, sehr, sehr kleine Versuchsanlage hieß bereits Wendelstein."

Der Wendelstein in Greifswald sei die größte und leistungsfähigste Anlage der Welt, sagt Professor Klinger, und damit von enormer Bedeutung für die Entwicklung der Kernfusionstechnik. Das hat auch die Bundeskanzlerin neugierig gemacht, die selbst Physikerin ist. Zweimal hat Angela Merkel den Greifswalder Wendelstein schon besucht, berichtet der Wissenschaftler.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lässt sich am 03.02.2016 in der Kernfusions-Forschungsanlage "Wendelstein 7-x" in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) nach der der erstmaligen Erzeugung von Wasserstoff-Plasma die Anlage von der wissenschaftlichen Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, Sibylle Günter, erklären Foto: Bernd Wüstneck/dpa ++
In Wendelstein 7-X kam die begeisterte Physikerin in Bundeskanzlerin Angela Merkel durch. 2016 ließ sie sich die Forschungsanlage zeigen., © picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
"Einmal während des Baus der Maschine, sozusagen ein Statusbesuch, wo sie sich informiert hat über den Zustand des Baus. Das war auch in der Tat ganz beeindruckend. Wir sind da so zu dritt auf den Gerüsten und den Plattformen der Maschine im Bau herumgeklettert. Die Bundeskanzlerin hat sich da sehr angeregt mit unseren Monteuren unterhalten. Ich glaube, das war ein interessanter Besuch für sie. Und sie hat es sich auch nicht nehmen lassen, als wir die Maschine tatsächlich in Betrieb genommen haben und das erste Plasma erzeugt haben, dies dann höchstpersönlich auszulösen."

Anders als bei der Kernspaltung, von der sich Deutschland endgültig verabschiedet hat – das letzte AKW wird Ende nächsten Jahres abgeschaltet – werden bei der Kernfusion Atomkerne zusammengebracht. Dazu braucht es Plasma. Plasma ist ein 100 Millionen Grad Celsius heißes Gasgemisch. Es kommt überall im Weltraum vor, bei uns auf der Erde ist es aber nur sehr schwer herstellbar.
Der Direktor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Thomas Klinger, steht am 23.02.2017 in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) vor dem 725 Tonnen schweren, ringförmigen Plasmagefäß für das Kernfusionsexperiment "Wendelstein 7-X". Foto: Stefan Sauer/dpa-Zentralbild/dpa ++
Projektleiter Thomas Klinger ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Greifswald.© picture alliance / dpa-Zentralbild / Stefan Sauer

Das große Fusionsversprechen

Der Wendelstein 7-X kann Plasma erzeugen. Klinger erklärt es so: "Das Plasma stellt erst mal die Voraussetzung dafür da, dass man damit Energie gewinnt. Das heißt also, in diesem Materiezustand, unter diesen Bedingungen, wird die Energie frei. Wärme ist der Ausgangspunkt. Das ist ein Wärmekraftwerk, was wir dann bauen, nur dass der Brennstoff dieses Wärmekraftwerks ungewöhnlich ist und dass der erst einmal zum Brennen gebracht werden muss. Das ist das große Fusionsversprechen oder die große Fusionsvision, hinter der man jetzt schon seit einigen Jahrzehnten hinterherforscht."
Wir sind hier jetzt in der so genannten Torushalle, also in der Halle, in der sich der Wendelstein 7-X befindet. Das ist eine 30 mal 30 mal 30 Meter große Betonhalle mit etwa 1,60 Meter dicken Betonwänden. Und hier steht die Maschine.
Von der ist allerdings nicht viel zu sehen. Eine dicke Röhre, kreisrund, Radius gut fünf Meter. Die Röhre ist von unten kaum zu erkennen, weil um sie herum Gerüste stehen. Aus unzähligen Luken dieser Röhre ragen Pumpen und Kabel heraus.

Das Herzstück von Wendelstein 7-X

Von oben ist der Röhrenkreis etwas besser zu erkennen. Er ist das Herzstück des Wendelstein 7-X, wie Forschungsleiter Thomas Klinger erklärt:
"Insgesamt sind etwa 1,3 Millionen Montagestunden hier reingegangen. So ein großes Frachtschiff, so ein Containerfrachter braucht, so weit ich weiß, eine halbe Million Montagestunden. Und die Skeptiker, die haben dann so bei sich gedacht: 'Na, ob das wohl klappt?'"
Später, bei einem Besuch mussten sie ihre Skepsis revidieren, erzählt Klinger und lacht: "We said, nobody can build such a machine. I revise my comment: Only the Germans can build such a machine", gibt er ihren Kommentar wieder. "Das war natürlich ein großes Lob. Sehr charmant."
Die Plasmaerzeugung geht aber nicht auf Knopfdruck wie bei einem Lichtschalter. Dazu braucht es eine monatelange Vorbereitung und die Unterstützung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt. Zweimal hat der Wendelstein 7-X in Greifswald Plasma erzeugt, 2015 und 2016.

Fortschritte in der Kernfusionsforschung

Die Grundlagenforschung im Bereich der Kernfusionstechnik ist aufwendig, teuer und langwierig. Das ist auch einer der Hauptkritikpunkte daran. Die kennt der Greifswalder Forschungsleiter natürlich. Aber Thomas Klinger betont, dass es immer Fortschritte in der Kernfusionstechnik gegeben habe – wenn auch nicht so schnell wie anfangs erhofft.
"Jetzt sind wir so weit, dass sich die Forschung traut, eine erste Großanlage zu bauen, die sich schon verdammt nah an einem Kraftwerk befindet. Das ist die Anlage ITER in Frankreich. Die Schritte dieser Großanlagen, die muss man jetzt noch gehen: Bau zehn, 15 Jahre, Betreiben zehn, 15 Jahre, zack, sind 30 Jahre weg. Fazit ist: Zweite Hälfte des Jahrhunderts, wenn alles gutgeht. Aber das ist gerade recht! Nämlich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts werden die Probleme der Versorgung der Welt mit Energie noch viel größer sein als jetzt. Das können wir uns gar nicht vorstellen, was da auf uns zugerollt kommt. Das ist ein Weltproblem und muss deshalb auch als Weltproblem behandelt werden", betont der Forscher.
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