Katja Bohnets Krimi "Kerkerkind"

Tote Männer, starke Frauen

Die Schriftstellerin Katja Bohnet
Katja Bohnet sagt über ihr Schreiben: "Es gibt eine innere Gewissheit, was da zu tun ist." © Droemer Knaur / Markus Röleke
Katja Bohnet im Gespräch mit Andrea Gerk · 20.04.2018
Das Buch "Kerkerkind" von Katja Bohnet steht in diesem Monat auf unserer Krimi-Bestenliste. Wieder ermittelt das Berliner Duo Rosa Lopez und Viktor Saizew. Mit ihren Romanen will sie Geschlechterklischees unterlaufen, sagt die Autorin im Gespräch.
Andrea Gerk: "Kerkerkind" heißt der zweite Kriminalroman von Katja Bohnet. Der steht in diesem Monat auf unserer Krimi-Bestenliste. Und dieses Buch ist eigentlich so vielschichtig, dass es gar nicht so einfach ist, davon zu erzählen. Wieder ermittelt das Berliner Duo Rosa Lopez und Viktor Saizew. Sie ist hochschwanger mit ihrem dritten Kind, er ist gerade von einer Hirntumor-Operation genesen, und die beiden stehen im überhitzten Berliner Sommer vor einer verbrannten Frauenleiche. Die ist aber nur der Auftakt zu einer ganzen Serie von Morden. Aber dieses Buch erzählt auch von Familien und von ihren schwierigen Geschichten. Und ich bin jetzt mit Katja Bohnet in ihrem Studio in Köln verbunden. Guten Tag, Frau Bohnet!
Katja Bohnet: Ja, hallo Frau Gerk!
Das Cover von "Kerkerkind" von Katja Bohnet, im Hintergrund: Die Skyline von Berlin mit Oberbaumbrücke und Fernsehturm
Das Cover von "Kerkerkind" von Katja Bohnet, im Hintergrund: Die Skyline von Berlin mit Oberbaumbrücke und Fernsehturm© Droemer Knaur / picture alliance / dpa / Paul Zinken
Gerk: Ihre beiden Ermittler, fand ich, die sind ja mindestens so spannend eigentlich, als Figuren, wie die Geschichte, die sie dann erleben. Wie sind Sie auf diese beiden doch sehr ungewöhnlichen Typen gekommen?
Bohnet: Ja, das freut mich sehr, weil ich bin ihnen beiden sehr zugetan. Und ich bin gar nicht auf sie gekommen, sondern eigentlich sind sie auf mich gekommen, die beiden – Saizew und Lopez. Ja, sie sind einfach aus dem Nebel herausgetreten. Eines Tages war klar, ich wollte einen neuen Roman schreiben, und die beiden haben sich geradezu aufgedrängt. Es war auch klar, dass es ein Team sein musste. Und dann waren sie da, und dann habe ich mich einfach ein bisschen mit ihnen unterhalten – das war auch gar nicht so mystisch, wie es jetzt klingt –, und danach standen die beiden fest.

"Der filmische Blick"

Gerk: In "Kerkerkind" jetzt ist ja ein Serienkiller am Werk. Der stellt seine Opfer aus, wie Kunstwerke fast, und es gibt überhaupt viele bildhafte Anspielungen in Ihrem Buch. Sie sind ja studierte Filmwissenschaftlerin. Da gibt es mal eine Nosferatu-Anspielung, der Seewolf, wenn Saizew da einen Apfel mit der bloßen Hand zerdrückt, denkt man natürlich an die Kartoffel und benennt das dann auch. Oder Wallander-Filme kommen einem in den Kopf, und die Romane. Kommt das bei Ihnen so durch, da diese Lust an den starken Bildern?
Bohnet: Ja, es ist zweierlei. Es ist die Lust am Bild, also der filmische Blick, so schreibe ich auch. Es läuft vor meinem inneren Auge wie ein Film ab. Ich muss das eigentlich nur noch in die Tastatur eingeben und die Buchstaben tippen. Und das Andere ist aber natürlich auch die Freude am Zitat. Es gibt sicherlich Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die das komplett ablehnen, aber mir bereitet es einfach eine große Freude, weil es sich wirklich auch aufdrängt in einer Tradition zu stehen als Künstlerin. Was Filme anbelangt, bildende Kunst, Bildhauerei, es gibt sehr viele Anspielungen in diesem Roman, und es ist wirklich eine große Freude das umzusetzen.
Gerk: Machen Sie sich denn von diesem Film, den Sie da im Kopf haben, so eine Art Konstruktionsplan? Denn das muss man ja auch dazu sagen, der Roman ist ja sehr komplex konstruiert, was auch die Spannung wahnsinnig erhöht, weil man – Sie machen das sehr geschickt, dass Sie einen immer so hinhalten –, und man wartet dann schon wieder auf diese Erzählebene, und dann kommt aber erst mal noch mal eine andere. Wie konstruieren Sie das? Wie behalten Sie da den Überblick?

"Ich plotte nicht vorher"

Bohnet: Ja, ich freue mich natürlich wahnsinnig, dass Sie das so einschätzen und bemerkt haben. Tatsächlich ist das immer wieder eine intuitive Entscheidung. Ich plotte nicht vorher, es gibt keinen Szenenplan, ich habe oft noch nicht mal eine Ahnung, wie das Ganze ausgeht, sondern ich weiß einfach nach jeder Szene, was zu tun ist. Und weil ich mich natürlich auch immer frage, wie dieses Wunder zustande kommt, denke ich, das hat einfach mit unglaublich viel Lese- und auch filmischer Erfahrung zu tun – dass es eine innere Gewissheit gibt, was da zu tun ist. Und ich muss mich sozusagen nur trauen, mich auf dieses Abenteuer und auch das Ungewisse einzulassen.
Gerk: Auffallend fand ich auch, dass nach dieser ersten Frauenleiche, die ich schon erwähnt habe, dann eigentlich ja die Männer dran sind bei Ihnen. Da hatten wir auch kürzlich erst ein Gespräch dazu hier in der Sendung, dass das in diesem Genre eigentlich eher unüblich ist. Es gibt viel häufiger Frauen als Opfer. Haben Sie das bewusst so entschieden? Also arbeiten Sie mit diesen Gender-Klischees?

Mythos von Salome als Vorlage

Bohnet: Ich sage mal so, beim Schreiben möchte ich mich eigentlich keiner politischen Korrektheit unterwerfen. Aber was natürlich da ist, ist eine innere Gewissheit, wie wichtig es ist, mit dem Genre zu spielen. Und natürlich, wenn man am Schluss weiß, warum diese Frau umgekommen ist, ist es alles andere als ein Klischee, sondern es ist wiederum ein Spiel, es dreht diesen ganzen Spieß wieder um. Und ja, dass mehr Männer zu Tode kommen hat natürlich auch viel mit wiederum dem Vorbild zu tun, womit dieser Roman auch immer spielt, einmal dem Mythos von Salome und dann natürlich auch der shakespeareschen Vorlage.
Gerk: Aber ich habe mich das, als ich Ihr Buch gelesen habe, auch immer wieder gefragt, ob man das wirklich erkennt, dass das eine Frau geschrieben hat? Wie denken Sie über sowas? Schreiben Frauen, schreiben Sie anders, als Krimis, die Sie von Männern so lesen?
Bohnet: Also das hoffe ich natürlich. Ich gehe auch ganz fest davon aus. Ich glaube fest daran, dass ich eine originelle und auch ganz auffällige Stimme habe. Einmal einfach, weil ich ich bin, mit meiner ganz eigenen Erfahrung und meinem eigenen Wissen. Und einmal natürlich aber auch als Frau, mit meinem auch weiblichen Blick auf die Welt. Und da bin ich auch sehr froh, weil auch der erste Roman – "Messertanz" – ist natürlich auch von besonders Feministinnen nicht unbemerkt geblieben. Und das ist, weil meine Sicht der Welt natürlich auch eine solche ist.
Gerk: Sie haben ja auch einen sehr engagierten Artikel darüber im Internet veröffentlicht. Über zum Beispiel, dass Frauenkrimis in der Kritik weniger vorkommen, seltener mit Preisen ausgezeichnet werden. Abgesehen davon – weil das kann man ja tatsächlich belegen –, gibt es was, was Sie so konkret an Männerkrimis stört? Finden Sie, dass da zu starke Männerfantasien auch drin vorkommen?

"Klassische Aktiv-Passiv-Konstruktionen"

Bohnet: Also zunächst mal, ich bin ja auch mit Kriminalromanen von ganz vielen Männern aufgewachsen, von männlichen Autoren. Und ich habe das gerne gelesen. Und ich muss sagen, was mir jetzt zunehmend auffällt, das ist eigentlich entstanden durch Sachkenntnis, die ich eigentlich erst in relativ kurzer Zeit, in fünf Jahren, erworben habe. Und das ist, dass mir auffällt, dass es häufig männliche Figuren gibt, wenig weibliche, dass wir oft klassische Aktiv-Passiv-Konstruktionen haben, also die Frauen sind eher passiv, die Männer eher aktiv. Männer werden oft mit dem Familiennamen angesprochen, Frauen manchmal geduzt. Also es gibt so, das spielt sich eigentlich auf einer relativ subtilen Ebene ab, und das habe ich eigentlich erst gemerkt, seit dem ich selbst schreibe und rezensiere. Und das finde ich, das darf natürlich in heutigen Zeiten nicht mehr sein. Und dann ist natürlich oft die Darstellung von Weiblichkeit auch oft männlich klischeehaft beladen. Was sind das für Frauen, über die Männer schreiben – selbst, wenn sie Hauptfiguren sind. Und wenn man sich das mal genau anguckt, dann ist das auch nicht klischeefrei.
Gerk: Aber es gibt ja auch Frauenkrimis, die extrem erfolgreich sind, wenn wir jetzt so an Nele Neuhaus oder Rita Falk denken. Was glauben Sie, warum die so wahnsinnig erfolgreich sind? Sind das gar keine Frauenkrimis?
Bohnet: Naja, es wird ja oft dieser Begriff "Frauenspannung" bemüht, und dann kommt ja auch noch dazu, dass nicht alles, was auf den Bestsellerlisten steht – und damit meine ich "Spiegel"-Bestsellerliste – unbedingt das ist, was wahnsinnig gehaltvoll ist. Es ist völlig klar, dass es viele Frauen gibt, die, sage ich mal, patriarchalische Verhaltensmuster auch in ihren Romanen spiegeln. Da gehört ja auch schon wirklich ein Prozess dazu, das zu reflektieren und auch zu ändern beim Schreiben. Deswegen, ich würde mich gar nicht als ausgewiesenen Fan dieser Autorinnen bezeichnen, aber ich möchte eigentlich viel mehr über Autorinnen sprechen, die das zum Beispiel nicht so machen. Und wir haben ja viele wunderbare Autorinnen, die jetzt auch seit zum Beispiel im letzten Jahr auf den Bestsellerlisten stehen, und damit meine ich jetzt auch Krimi-Bestenliste – auf der ich ja jetzt auch sein darf, was mich wirklich sehr, sehr freut –; Zoë Beck, Simone Buchholz, Monika Geier. Aber es gäbe natürlich noch viel mehr Frauen, sie werden nur nicht sichtbar.
Gerk: Apropos sichtbar, wie war denn das für Sie überhaupt, da einen Fuß in die Tür zu kriegen? Hatten Sie es schwer, in diese Krimiwelt reinzukommen? So verlagsmäßig meine ich jetzt.

"Großes Verlangen nach einem Vertrag"

Bohnet: Ja und nein. Also bei mir hat das mit dem Verlag relativ schnell geklappt. Wobei ich diese, sage ich mal, anderthalb Jahre warten, vom fertigen Roman auf den Vertrag, die habe ich wie zehn Jahre erlebt, weil ich da einfach sehr getrieben war, unheimlich viel Output hatte, viel geschrieben habe, und weil das Verlangen nach diesem Vertrag unglaublich groß war. Und danach, muss ich sagen, bin ich – und das ist natürlich immer so bei mir auch der Pferdefuß, weil wir haben natürlich auch eine ganz wunderbare Krimikritik in Deutschland – und von der bin ich unglaublich wohlwollend mit dem "Messertanz" aufgenommen worden. Und erst im Nachhinein verstehe ich, was das, ja, was das für eine Besonderheit auch war, für die ich auch nach wie vor unheimlich dankbar bin. Das bedeutet, ja und nein, beides. Jetzt erstaunt mich fast die Schnelligkeit, in der das passiert ist.
Gerk: Es gab ja kürzlich den Vorstoß einer Autorin – ich glaube in Neuseeland, Australien –, die wollte einen Staunch-Price ins Leben rufen. Also einen Preis für Kriminalromane, in denen Frauen nicht sexuell ausgebeutet, nicht vergewaltigt und nicht ermordet werden. Darüber hatten wir hier auch ein Gespräch. Was halten Sie von so einer Idee, dass man da quasi so eine Art, ja, diese Political Correctness eben auch noch würdigt?
Bohnet: Was mir daran gut gefällt, Frau Gerk, ist, dass es natürlich Aufmerksamkeit auf ein sehr wichtiges Thema lenkt. Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn ein Kriminalroman noch irgendwas mit der Wirklichkeit zu tun haben soll – und daran ist mir auch viel gelegen, bei aller Abstraktion –, dann ist es natürlich undenkbar, dass Frauen nie mehr als Leichen vorkommen oder nie mehr misshandelt werden in Kriminalromanen. Ich glaube das ist auch ein wichtiges Thema. Worum es glaube ich bei diesem Award geht, und im Prinzip, was sich auch alle Schriftstellerinnen und Schriftsteller fragen müssen ist, warum muss diese Frau umkommen? In welchem Kontext steht das? Wenn das ein reiner Splatter ist, dann muss es schon auf einer sehr abgehobenen, künstlerischen Ebene stattfinden, damit das noch Sinn macht. Wenn das immer nur passier, Verrückter ersticht Frau, junge hübsche Frau, dann entspricht es einem alten, wirklich nicht mehr zeitgemäßen Muster, was Rollenverhältnisse immer wiederholt und bestätigt, was einfach nicht mehr zeitgemäß ist.
Gerk: Und die bürsten Sie in Ihren Krimis ordentlich gegen den Strich, Katja Bohnet. Vielen Dank für dieses Gespräch!
Bohnet: Ganz herzlichen Dank!
Gerk: Und der neue Kriminalroman von Katja Bohnet ist unter dem Titel "Kerkerkind" beim Verlag Droemer Knaur erschienen. Er hat 331 Seiten und kostet 14,99 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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