Kritische WM-Berichterstattung

"Katar will die Plattform Fußball politisch nutzen"

08:03 Minuten
Zwei Männer, der eine im Anzug mit Krawatte, der andere in langem weißen Gewand und einem weißen Kopfschutz der mit einem schwarzen Band festgehalten wird.
FIFA Präsident Gianni Infantino (l.) und Katars Emir Tamim bin Hamad al Thani: Das Geflecht zwischen Sportverbänden, Sponsoren und Medien sei kaum noch aufzubrechen, meint Ronny Blaschke. © FIFA / Harold Cunningham - FIFA
Ronny Blaschke im Gespräch mit Vera Linß und Marcus Richter |
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Über Menschenrechtsverletzungen in Katar wird immer wieder berichtet. Doch was passiert, wenn der Ball bei der WM erst mal rollt? Sportjournalist Ronny Blaschke fordert eine krititsche Berichterstattung auch während der Spiele - und darüber hinaus.
Es ist das vielleicht umstrittenste Sportereignis der letzten Jahre: die Fußball-WM 2022 in Katar, die am 20. November beginnen soll. Seit langer Zeit steht das Emirat am Persischen Golf in der Kritik. In Katar gibt es weder freien Wahlen noch unabhängige Medien. Homosexuelle müssen mit Verfolgung rechnen. Jüngst wurden 60 Gastarbeiter festgenommen und teils abgeschoben, die wegen nicht gezahlter Gehälter protestierten, berichtete die US-Nachrichtenagentur AP.
Über einen anderen Aspekt wird weniger gesprochen: Sportereignisse wie die WM oder die Olympischen Spiele hängen unter anderem von Lizenzgebühren großer Fernsehanstalten ab. Auch ARD und ZDF überweisen viel Geld an den Weltfußballverband Fifa, um Bilder von der WM in Katar senden zu dürfen.
Ist dabei überhaupt unabhängiger und kritischer Journalismus möglich? Kann man in diesem Zusammenhang tatsächlich von Journalisten sprechen? Oder doch eher von Verkäufern der lukrativen Ware Fußball?

Kritisch berichten, statt über Tore zu schwärmen

Das Geflecht zwischen Sportverbänden, Sponsoren und Medien sei tatsächlich kaum noch aufzubrechen, meint der freie Sportjournalist Ronny Blaschke, der fünf Bücher über Politik und Fußball geschrieben und auch länger in Katar recherchiert hat. „Aus finanziellen Gründen braucht dieses kleine Land Katar eigentlich keine WM“, sagt er.
"Wir haben es hier mit einem der reichsten Länder der Welt zu tun. Aber Katar will die Plattform Fußball politisch nutzen, neue Wirtschaftszweige erschließen, wirbt um Investoren, Fachkräfte und Touristen." Eine unkritische Berichterstattung um die WM helfe also den katarischen Anliegen eher hilft, erklärt der Journalist: "Je schwärmerischer wir über Tore und Titel berichten, desto weniger Zeit haben wir letztlich für die Thematisierung von Menschenrechtsverletzungen.“

Abhängigkeiten von Deutschland und Katar

Zudem sei Katar einer der größten Auslandsinvestoren in Deutschland, mit Anteilen an Volkswagen, der Deutschen Bank oder Hapag Lloyd. Und deutsche Konzerne hätten auch an der Infrastruktur in Katar massiv mitgebaut: Siemens, die Deutsche Bahn, auch SAP. „Und wir wissen spätestens seit dem Besuch von Wirtschaftsminister Robert Habeck in Doha, dass Deutschland bald auf katarisches Flüssiggas angewiesen sein könnte. Da gibt es viele Abhängigkeiten auch des demokratischen Deutschlands nach Katar." In der Berichtersattung müsste also auch das immer wieder thematisiert werden
Robert Habeck (l, Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Saad Scharida al-Kaabi, Energieminister von Katar, treffen sich im Hotel Sheraton zu einem Gespräch.
"Da gibt es viele Abhängigkeiten auch des demokratischen Deutschlands nach Katar", sagt Blaschke - und der Besuch Habecks macht deutlich, dass wohl noch einige dazu kommen werden.© picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
In der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass auch wenn es vor Weltmeisterschaften kritische Berichterstattung gegeben hätte, „sobald dann der Ball rollte, dann lief sie wieder, diese Unterhaltungsmaschine. Da gab’s Emotionen, Superzeitlupen, dieser berüchtigte Smalltalk am Spielfeldrand mit ehemaligen Fußballprofis.“ Dann sei der Graben zwischen der Mehrheit der Sportberichterstatter und den wenigen politisch denkenden Journalisten wieder deutlich geworden. „Ich glaube aber, dass sich dieser Graben ein bisschen auflösen kann, jetzt mit Blick auf die WM in Katar“, sagt Blaschke.

Kritik auch während der Live-Berichte?

Es sei wichtig, auf die sogenannten Premiumstrecken zu schauen, die ARD-Sportschau am Samstag oder das ZDF-Sportstudio am späten Samstagabend, denn sei das Politische eher Randnotiz gewesen. Oder auf die Live-Berichterstattung, denn da wollten die meisten Zuschauenden beim Fußball nicht mit Politik behelligt werden.
„Aber das wird in Katar nicht möglich sein“, davon ist der Sportjournalist überzeugt. „Das sind Stadionbauten, da sind viele Arbeitsmigranten ums Leben gekommen. Und das müssen wir thematisieren, und vielleicht führt es dazu, dass wir diese heldenhafte Fußballsprache so ein bisschen von der Glorifizierung befreien.“

Zeigt der Druck der Öffentlichkeit Wirkung?

Und noch etwas anderes beobachtet Ronny Blaschke. Bei den privaten Sender wie Sky, Magenta.tv oder dem Portal meinsportpodcast.de, seien interessante Rechercheformate und Dokumentationen in der Entwicklung und zum Teil auch schon gesendet worden. Gleichzeitig würden sich in einigen Rundfunkanstalten die Sportredaktionen noch mehr vernetzen mit ihren Kollegen aus Wirtschaft und Politik. Bei den Regionalzeitungen gebe es auch einen überregionalen Wissensaustausch.
„Und jetzt kann man hoffen, dass vielleicht dieser Druck, diese Öffentlichkeit dazu führt, dass Katar weitere Reformen auch zulässt, zum Beispiel im Arbeitsrecht“, sagt Blaschke. „Aber es sind Hardliner, Konservative in Katar, die darauf warten, Reformen auch wieder zurückzunehmen“, glaubt er. „Deshalb ist es wichtig, nach der WM immer noch kritisch nach Katar zu schauen."

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