Kartoffelschlachten und ein Generalstreik

Wie die soziale Marktwirtschaft entstand

06:56 Minuten
Eine Frau steht vor einem Schaufenster. In dem Schaufenster steht "Erhard befiehlt - wir folgen! und senken die Preise". Das Foto ist von circa 1949/50.
Allen Appellen zum Trotz führte die Mangelwirtschaft im Nachkriegsdeutschland zu einem starken Preisanstieg. © picture alliance / dpa / akg
Uwe Fuhrmann im Gespräch mit Winfried Sträter · 29.05.2019
Audio herunterladen
Ludwig Erhard gilt als Begründer der sozialen Marktwirtschaft. Der Historiker Uwe Fuhrmann hat sich die damalige Politik des Wirtschaftsministers genauer angesehen und festgestellt: Das ist eine Legende.
Es ist ein zentrale Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland: die Erfindung der sozialen Marktwirtschaft durch Ludwig Erhard, damals, vor 70 Jahren. Der Historiker Uwe Fuhrmann hat diesen Mythos in seinem Buch "Die Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft 1948/49" genauer unter die Lupe genommen und ist zu der Erkenntnis gelangt: Die Wirtschaftspolitik Ludwig Erhards sei alles andere als sozial gewesen. Sie lasse sich wohl eher als markliberal beschreiben.
Es habe nach 1945 in der Bevölkerung und in der CDU die Überzeugung geherrscht, der Kapitalismus habe sich nicht bewährt. So kam es in der CDU 1947 zum Ahlener Programm mit dem "Sozialismus aus christlicher Verantwortung". Aber Wirtschaftsdirektor - später Wirtschaftsminister - wurde dann Ludwig Erhard. Er habe die freie Marktwirtschaft gewollt, mit allem, was dazu gehörte.
Als Erhard 1948 die Festlegungen für Preise aufhob, kletterten diese in der Mangelwirtschaft in die Höhe. Lebensmittel, Textilien, Schuhe - alles wurde teurer. Preissteigerungen von bis zu 2000 Prozent (zum Beispiel bei Eiern) seien die Folge gewesen, sagt Fuhrmann.

Protest auf den Wochenmärkten

Die Bevölkerung nahm das nicht stillschweigend hin. "Es gab Kartoffelschlachten, Eierstände wurden umgeschmissen, Polizeikommandos mussten die Unruhen auf Wochenmärkten beenden." Die Gewerkschaften nahmen den Unmut der Bevölkerung auf und entwickelten eine Kampagne: Herunter mit den Preisen!
Damit begannen die großen Proteste erst richtig – bis zum Generalstreik am 12. November 1948. Dieser führte zum zweiten Misstrauensantrag gegen Ludwig Erhard.
Bereits beim ersten Misstrauensantrag habe Erhard gesagt, er wolle eine soziale Marktwirtschaft, das sei das Beste für alle, sagt Fuhrmann. "Aber danach hat er monatelang geschwiegen." Seine politischen Gegner nahmen den Begriff auf. Sein wirtschaftspolitischer Gegenspieler, Erik Nölting (SPD), und der Gewerkschaftsbund setzten Erhard und die CDU unter Druck.

Soziale Marktwirtschaft gegen Ludwig Erhard durchgesetzt

Schließlich bezog Hermann Pünder (CDU), formell Erhards Chef, zum Generalstreik Stellung. "Er sagt: Die CDU habe schon immer eine soziale Marktwirtschaft angestrebt – was nachweislich falsch ist. Aber damit macht Pünder die soziale Marktwirtschaft zum Regierungsprogramm." Schließlich, Ende Februar 1949, griff auch Ludwig Erhard die Idee auf und versuchte, sich programmatisch anzunähern und Ideen zu entwickeln. "Seine Überzeugung, dass der Markt alles regelt, bleibt, aber er nimmt das Schlagwort von der sozialen Marktwirtschaft auf und macht es sich zu eigen. Und im Juni, Juli 1949 denkt er schon, dass er das erfunden hat. Was aber nachweislich nicht der Fall ist."
(wist)

Uwe Fuhrmann: "Die Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft 1948/49"
UVK-Verlagsgesellschaft 2017
359 Seiten, 39 Euro

Mehr zum Thema