Juri Andruchowytsch: "Karpatenkarneval"

Sex, Drugs und die Macht der Dichtung

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Cover des Romans "Karpatenkarneval" von Juri Andruchowytsch
Eine Geschichte mit Gottesengeln, Zigeunern, Kosaken, Bären und Bubabisten: Juri Andruchowytschs Erstlingswerk ist nun auf Deutsch erhältlich. © Suhrkamp
Von Jörg Plath · 03.07.2019
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"Karpartenkarneval" ist der erste Roman des vielfach ausgezeichneten ukrainischen Autors Juri Andruchowytsch. Bereits 1992 veröffentlicht, ist er nun endlich auf Deutsch erschienen. Er handelt von vier Dichtern, die zu einem bizarren Fest reisen.
Der Literaturwissenschaftler Bachtin wurde mit seiner Theorie des Karneval bei den Ingenieuren der Seele höchst beliebt. Mit der karnevalistischen Umwertung aller Werte konnten die Schriftsteller erträumen, was die KPdSU für bereits vollendet erklärt hatte: die Revolution. Der Ukrainer Juri Andruchowytsch, der in den 1990er-Jahren sein Land, dessen Literatur und Kunst fast im Alleingang bekannt machte und 2005, ein Jahr nach der orangenen Revolution, den Leipziger Preis für europäische Verständigung erhielt, hat dem Karneval immer wieder gefrönt.
Schon sein erster, nun erstmals übersetzter Roman aus dem Jahr 1992 trägt den Mummenschanz im Titel: "Karpatenkarneval" erzählt von einem "Fest des auferstehenden Geistes" im entlegenen ukrainischen Tschortopil, zu dem Jung und Alt, seltsam gestrig wirkende Bürgerliche und Adlige ebenso wie die dichterische "Blüte der Nation" mit allerlei Fahnen zu Fuß, im Zug oder auch mit einem Chrysler-Oldtimer anreisen.

Eine Mixtur aus Woodstock und Geisterbeschwörung

Organisiert wird die Mischung aus Woodstock und Geisterbeschwörung, Konzert und Dichterlesung, Performance und Drogentrip von einem "ORGKOM", garniert mit der Unterschrift Fellinis. Oder war es die von Hitchcock? Egal, Überraschungen sind hochwillkommen.
Das Treiben in den Karpaten ist erst freudig, dann schreckenerregend und lässt sich hinreichend präzise mit Sex, Drugs and Poems umschreiben. Insbesondere die Drogen führen in eine Vergangenheit, in der die Bürger einer unabhängigen Ukraine noch eine heitere Zukunft vor sich glaubten, während der Stationenroman am Ende die gewaltsame Besatzung der nach Unabhängigkeit strebenden Ukraine parodiert.
Die Invasion erweist sich allerdings als inszeniert – Andruchowytsch setzt schon in seinem ersten Roman, entstanden nach 1990, während eines zweijährigen Aufenthalts am Moskauer Schreibinstitut Maxim Gorki, auf die Kunst.
Für die Macht der Dichtung stehen vier Männer ein: der Dichterstar Martofljak, der bereits ein US-Visum in der Tasche hat und mit seiner Ehefrau Marta, einer "Sexbombe", anreist; Chomskyi, ein Leningrader mit schillernder sexueller Orientierung, womit er den ukrainischen Machos gleich doppelt als Außenseiter erscheint, sowie Hrytsch und Nemyrytsch. Hrytsch, desssen Eltern unter Stalin nach Kasachstan deportiert wurden, lässt sich die langen Haare zur Kosakenlocke scheren und erhält für seine "Marmorjeans" die Uniform der Ukrainisch-Galizischen Armee.

Selbstreferenzielle Scherze

Nemyrytsch stellt ein im Chrysler angereister ukrainischer Emigrant einen Frack zur Verfügung, damit er auf einem Ball mit adligen und bürgerlichen Honoratioren um sein Leben spielen kann. Ansonsten steht den Dichtern der Sinn nach Alkohol und Frauen, ihre Poeme bringen sie nur selten zu Gehör. Glücklicherweise.
In Tschortopil fehlt ein gewisser Andruchowytsch, weil er, wissen die vier Dichter, jetzt Prosa schreibe. Selbstreferenzielle Scherze dieser Art sind häufig in "Karpatenkarneval": Unter den Teilnehmern des Festes befinden sich neben Gottesengeln, Zigeunern, Kosaken und Bären auch Bubabisten. Als Trio BuBaBu (Burleske – Balagan (Jahrmarktsbude) – Buffonade) trat Andruchowytsch ab 1985 mit zwei Freunden in lyrischen Performances auf. Mit der Prosa wurde er danach auch außerhalb der Ukraine berühmt. Zuletzt ist es ruhig um ihn geworden. "Karpatenkarneval" ist eine schöne Fingerübung – und ein hochwillkommenes Lebenszeichen.

Juri Andruchowytsch: Karpatenkarneval. Roman
Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
171 Seiten, 16 Euro

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