Karoline Menge: "Warten auf Schnee"

Ein Buch wie ein Albtraum

Karoline Menge verweigert jede psychologische oder soziale Erklärung in dieser rätselhaften Geschichte mit dem Titel "Warten auf Schnee".
Ein trostloses Dorf, verlassene Häuser und zwei einsame Mädchen: In "Warten auf Schnee" ist kein Ausweg in Sicht. © picture alliance/imageBROKE, FVA
Von Manuela Reichart · 10.12.2018
Die Mutter ist wortlos gegangen, die beiden Töchter bleiben allein zurück. Den Grund dafür erfährt man nicht. In "Warten auf Schnee" erzeugt Karoline Menge eine dichte Atmosphäre der Bedrohung. Und verweigert jede Erklärung für die Geschehnisse.
Ein klaustrophobischer Roman über Furcht und Einsamkeit. Zwei Mädchen werden von ihrer Mutter verlassen und kämpfen ums Überleben. Ein literarischer Stoff, aus dem Alpträume und Horrorfilme gemacht sind.
"Meine Mutter ging an einem Nachmittag im Januar. Der Rasen im Garten lag feucht unter einem tiefen grauen Himmel, und sein Grün war unter dem Grau noch intensiver als sonst."
Der Roman der 1986 geborenen Autorin beginnt mit einem Satz, hinter dem sich die größte Angst verbirgt: Verlassen zu werden, nicht zu verstehen, warum man allein zurück bleibt. Die Mutter ist wortlos gegangen, hat die 16-jährige Erzählerin und ihre jüngere Schwester zurück gelassen.
Im Keller sind Vorräte, Kartoffeln und Konserven gelagert. Offenbar gab es lange schon den Plan für diesen Aufbruch. Aber nicht nur die Mutter ist aus dem namenlosen Dorf geflohen. Bis auf eine alte Frau, die nicht mehr ganz richtig ist im Kopf, sind alle Bewohner verschwunden.

Die Heimat wird bedrohlich

Karoline Menge variiert in ihrem erstaunlichen Debüt ein bekanntes Sujet: Zwei Menschen alleine in einer feindlichen Umwelt. Niemand weiß, was passieren wird, welches Unheil auf sie wartet. Die Heimat wird bedrohlich, kein Rettungsweg eröffnet sich.
Es ist eine unheimliche Lage, in der sich die beiden zurecht finden müssen, sie verstehen nicht, was und wie ihnen geschieht, wie man überhaupt nie versteht, warum ein Mensch verschwindet, warum er nicht mehr da ist. Und dann ist es auch noch die Mutter - die doch die verlässliche Behüterin inmitten einer gefährlichen und unverständlichen Welt sein sollte - die sich aus dem Staub gemacht hat.
Karoline Menge verweigert jede psychologische oder soziale Erklärung in dieser rätselhaften Geschichte. Sie beschreibt aus der Perspektive ihrer jungen Erzählerin, wie der Schrecken näher kommt und erzählt in Rückblenden, dass und wie die Frauen dieser Familie immer schon seltsam waren, dass es überhaupt immer nur die Frauen waren, die verrückt wurden.

Schnee über allen Gefühlen und Ängsten

Vielleicht ist diese hermetische Erzählung also auch nur die Angstvorstellung einer Verrückten. Der Roman bietet dichte atmosphärische Schilderungen der Bedrohung und der Ratlosigkeit. Das trostlose Dorf, die verlassenen Häuser: Kein Ausweg ist in Sicht.
Die Erzählhaltung bleibt subjektiv. Und die Erinnerung an den einzigen Freund, den dieses Mädchen Pauli je hatte - einen fremden Jungen, der plötzlich mit seinem Vater auftauchte und auch wieder verschwand - macht die Lage nur noch trauriger und verworrener.
Am Ende wird der Schnee über den Häusern und Gärten, über allen Gefühlen und Ängsten liegen. Offen bleibt, ob die beiden Heldinnen überleben oder nicht.

Karoline Menge: "Warten auf Schnee"
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt, 2018
200 Seiten, 20 Euro

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