Karlheinz Gaertner: "Sie kennen keine Grenzen mehr"

Weckruf eines pensionierten Polizisten aus Neukölln

Cover: "Sie kennen keine Grenzen mehr" von Karlhein Gaertner, im Hintergrund: Einsatzkräfte der Polizei im Berliner Bezirk Neukölln.
Cover: "Sie kennen keine Grenzen mehr" von Karlhein Gaertner, im Hintergrund: Einsatzkräfte der Polizei im Berliner Bezirk Neukölln. © orell Füssli / dpa
Von Pieke Biermann · 06.05.2017
Schreibende Polizisten gibt es einige. Die meisten produzieren laue Einheitskost. Der ehemalige Hauptkommissar Karlheinz Gaertner aus Berlin-Neukölln brennt dagegen für sein Thema: Er zeigt, wie unsere Gesellschaft verroht und was Polizeiarbeit bedeutet.
Irgendwann in den 1990ern muss irgendeinem Schlaukopf eingefallen sein, dass das deutsche Fernsehpublikum zu all den Krimi-Kammerspielen ein paar Sättigungsbeilagen vertragen könnte: In Gestalt kleiner Realitätsstreusel, wie Privatfernsehmacher sie verstehen – echte Polizisten in echten Einsätzen und echten Dienststellen. Prompt lernte man mit "Toto und Harry", dass Polizisten nicht auf den Mund gefallen, aber ansonsten auch bloß Menschen sind. In ihrem Kielwasser schlingern seitdem diverse "Spezialeinheiten" hochaufgelöst durch die Kanäle, erweitert um Zoll, Ordnungsamt und sonstige an sich unbeliebte Vertreter der Staatsmacht.
Bald darauf interessierten sich auch Buchverlage für deutsches real crime, und heute sind schreibfreudige Polizisten nicht mehr nur auf Books on Demand oder Hobbyverleger angewiesen. Es herrscht also kein Mangel an Cop-Stories aus erster Hand. Besonders gern breiten Ex-Mordkommissare ihre spektakulärsten Fälle aus. Das meiste ist leider ungenießbar, weil die Autoren sprachlich im Aktenvermerksgenre operieren und außer der eigenen Bedeutung kein echtes Anliegen haben.

Latente Gereiztheit im öffentlichen Raum

Karlheinz Gaertner hat dagegen eins. Ihm liegt die friedliche Koexistenz in einem fast weltweit berühmten "Problembezirk" am Herzen, und für ihn ist das keine Floskel. Hier, in Berlin Neukölln, ist er geboren, hier war er über 40 Jahre Polizist, und nicht nur hier wird es ihm langsam zu unfriedlich:
"Wir haben uns an eine stetig zunehmende Gewalttätigkeit, eine immer stärkere latente Gereiztheit im öffentlichen Raum und einen um sich greifenden Mangel an Empathie viel zu sehr gewöhnt. Die sprachliche Verrohung, die Gewaltbereitschaft, den erschütternden Mangel an Rücksichtnahme über alle sozialen Klassen hinweg."
Bis zur Pensionierung 2015 war Gaertner ein Schutzpolizist in Uniform und Zivil. Hauptkommissar, Mittelstand könnte man sagen. Solchen begegnet der gemeine Bürger zumeist: Wenn er sie braucht – weil endlich mal jemand der Kneipe gegenüber nachts um eins die Musik abdrehen muss –, oder wenn er sich über sie ärgert – weil sie ihn nicht auf dem Gehweg Rad fahren oder in der Feuerwehreinfahrt parken lassen.

Attacken aus heiterem Himmel

So einer hat was zu erzählen, vor allem über reale Alltagskriminalität: Raubüberfälle, Einbrüche, häusliche Gewalt und Gewalt in Bus und Bahn, illegale Zigaretten und Drogen, "Klaufamilien", die Kleinkinder zum Taschendiebstahl abrichten, und Männer, die kleine Flüchtlinge vergewaltigen. En passant erfährt man, dass Polizeiarbeit nicht halb so langweilig ist, wie uns Krimischreiber weismachen wollen, und warum Polizisten emotional oft schmerzhafter einstecken müssen als körperlich:
"Die unzähligen Widerstandshandlungen mit teilweise massiven Angriffen machten mir relativ wenig aus, auf die war ich eingestellt. Schlimmer waren die Attacken aus heiterem Himmel. Eigentlich wollte man helfen oder beschützen, aber diejenigen, um die es ging, hatten das Gegenteil im Sinn. Oft wurde ich mit übelsten Schimpfworten beleidigt oder massiv und hinterhältig angegriffen."
Das muss man erstmal aushalten, zusätzlich zum tagtäglichen Blick auf schreiendes Elend oder Ekelszenen mit Kinderschändern in Aktion.
Gaertners Polizeidirektion ist zuständig für Neukölln, Kreuzberg und Friedrichshain und damit auch für das Gros der transfergestützten Armen und die größte türkische Community außerhalb der Türkei. Die Nordgrenze von Neukölln heißt offiziell Sonnenallee und im Berliner Spottmund "Gazastreifen", der vielen arabischen Läden wegen. Nach Neukölln-Nord zieht es seit Jahren alles, was aus Kreuzberg weggentrifiziert wurde – Hartzer, Studis, Bohème – mit und ohne Migrationshintergrund. Und neuerdings viele, denen Israel zu teuer oder zu homophob geworden ist.

Das Geschäftsmodell "Organisierte Schwerkriminalität" funktioniert

Neukölln ist aber auch Stammsitz der berüchtigten "Araber-Clans". Die angeblichen palästinensischen Libanonflüchtlinge sind arabischsprachige Kurden aus der Südosttürkei und konnten nirgendwohin abgeschoben werden. Also praktizieren sie seit drei Generationen hier ihr Geschäftsmodell: Staatsknete plus organisierte Schwerkriminalität.
"Nicht nur bei einfachen Einbrüchen, bei annähernd allen aufsehenerregenden Raubtaten der letzten Jahre hatten wir es mit Mitgliedern dieser libanesisch-kurdischen Großfamilien zu tun. Die Art und Weise der äußerst brutal durchgeführten Verbrechen ist geradezu ein Synonym dieser Tätergruppe. Sie kennen keine Grenzen mehr!"
Friedliche Koexistenz gehört nicht zu ihrem Geschäftsbereich. Mafiamäßige Einschüchterung und Bedrohung von Zeugen auch im Gericht schon. Gaertner erzählt davon ebenso offen wie von manchen seltsam milden Urteilen und Kooperationsdefiziten bei der Strafverfolgung. Ihn packt angesichts biodeutscher Kinderschänder derselbe Zorn wie angesichts sündhaft teurer Anwälte für den Clan-Nachwuchs, der offiziell von Stütze lebt. Ein wirklich besorgter Bürger, könnte man sagen, aber ein Konstruktivist, der nach Lösungen jenseits des alten Schachbretts sucht:
"Es spielt aus meiner Sicht keine Rolle, ob man auf linksalternativer Seite Meinungsmache betreibt, um Gewalt gegen Sachen zu rechtfertigen oder versucht, sein irres Nazi-Weltbild mit dumpfer Propaganda in die Köpfe anderer zu hämmern – beides hat mit demokratischen Spielregeln nichts zu tun. Meinungsfreiheit und Toleranz sehen anders aus!"

Karlheinz Gaertner: "Sie kennen keine Grenzen mehr". Die verrohte Gesellschaft. Erfahrungen eines Polizisten
Orell Füssli Verlag, April 2017
248 Seiten, 19,95 Euro

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