Kapitalismus soll Umwelt retten

Die Natur bekommt einen Marktwert

Honigbiene sitzt auf Kornblume.
Wie teuer ist die Natur? Die Bestäubung der Bienen sei jährlich 253 Milliarden Euro wert, meint Josef Settele vom Umweltforschungszentrum in Halle. © imago / blickwinkel
Von Manuel Waltz · 25.07.2017
Niemand zahlt dafür, Wälder zu roden, Tier- und Pflanzenarten auszurotten, Schadstoffe in die Atmosphäre zu blasen. Die Natur ist zu billig zu haben, deshalb der schonungslose Umgang mit ihr - so die Erkenntnis einiger Ökonomen und Umweltschützer. Ihre Schlussfolgerung: Die Natur braucht einen Preis!
"Also, wenn Sie jetzt hier einen Torf-Stich machen und den mit nach Hause nehmen und trocknen, dann können Sie den auch Jahrzehnte auf dem Schreibtisch stehen lassen. Da passiert gar nichts."
Irgendwo in der Mecklenburgischen Seenplatte - nicht allzu weit des Müritz-Nationalparks. Thorsten Permien watet auf feuchtem Boden durch hüfthohes Gras.
"Oh, wir stören hier jetzt bestimmt einige."
Permiens Arbeitsplatz ist eigentlich in Schwerin, im Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt.
"Wenn wir jetzt einmal hier bis zum Rand gehen."
Der Boden wird immer feuchter, kurz vor der offenen Wasserfläche bleibt Thorsten Permien stehen.
"Ja, jetzt, hören Sie es? Es suppt. Toll!"
Hier, wo es schmatzt und suppt , liefen bis 2012 noch Pumpen, um den Boden und die darunter liegenden Torfspeicher so trocken zu halten, dass die Flächen landwirtschaftlich genutzt werden konnten.
"Also der Torf ist unter zwei Bedingungen stabil. Entweder Sie haben ihn unter Wasser, sodass gar keine Luft ran kommt. Oder Sie haben ihn total trocken, dann ist er auch stabil. Aber durch diesen ständigen Wechsel: Feucht, trocken, feucht , trocken.. und durch diese Mikroorganismen, die sich dann dort ansiedeln, wird der einfach veratmet, wird also mineralisiert, physiologisch abgebaut."
Trockengelegte Moore setzen permanent große Mengen Kohlendioxid frei. Deutschlandweit sind es etwa sechs Prozent der gesamten CO2 Emissionen. In Mecklenburg Vorpommern liegt der Anteil sogar bei einem Drittel - wegen der wenigen Industrie auf der einen Seite und großen Moorflächen auf der anderen.
Und so ist das Wiedervernässen von Mooren ein Teil des Klima- und Umweltschutzes des Landes. Das kostet Geld, denn die Felder können nicht mehr genutzt werden. Die Landwirte müssen entschädigt werden. Doch das Land ist knapp bei Kasse.

MoorFutures wird privat finanziert

Thorsten Permien brachte das auf die Idee, Privatpersonen und Unternehmen zu beteiligen. Und so entwickelte er das MoorFutures Projekt. "Ihre Investition in die Zukunft", so werden die Zertifikate beworben. Wer sie kauft, kann damit den Ausstoß von CO2 verhindern. Laufzeit der Futures: 50 Jahre. Klimaschutz in der Sprache der Finanzmärkte.
"Das heißt also die Emissionsminderungen hier am Standort sind berechnet worden auf 14.325 Tonnen Emissionsminderung, also CO2-äquivalente Emissionsminderungen bezogen auf 50 Jahre. So. Bei einer Investition von 500.000 Euro, die hier notwendig waren, um das alles umzusetzen, haben Sie einen Einzelpreis dann von 35 Euro pro Tonne und eine Tonne ist ein MoorFutures, also kostet ein MoorFutures von diesem Standort 35 Euro."
Das Projekt ist ein Erfolg, nur wenige MoorFutures sind noch verfügbar. Ohne diese Art der Ansprache, ohne einen Bezug zur Börse, hätte er nie das Geld einsammeln können, sagt Thorsten Permien. Nicht nur im Umweltministerium Mecklenburg Vorpommern hängt man der Natur immer öfter ein Preisschild um. Berechnet die Leistung von Ökosystemen, um ihren Wert auszudrücken und damit handeln zu können. Auch andere politische Entscheidungsträger setzen auf Marktkräfte und Monetarisierung für den Umwelt- und Klimaschutz.
"Das kann man jetzt für relativ harmlos halten und sagen: Gut, das ist eine andere Art Geld zu generieren für Naturschutz, und wir reden dann einfach die Sprache der Finanzmärkte."

Werden falsche Signale gesetzt?

Lilli Fuhr ist von der Heinrich Böll Stiftung in Berlin. In den Büros wird gearbeitet, zum Interview lädt sie deshalb nach draußen, an die frische Hauptstadt Luft.
"Ich glaube im größeren Kontext muss man sich schon anschauen, was für, ja, was für Entwicklungspfade man damit letztendlich legitimiert und welche mentalen Infrastrukturen man damit prägt, also was signalisiert man damit eigentlich, was uns gesellschaftlich und politisch der Schutz der Moore und Klimapolitik damit wert ist, wenn das eben keine Priorität zum Beispiel hat in der Landespolitik hat und dafür Gelder, über Steuern generierte Gelder im Landeshaushalt vorgesehen sind."
Wenn man Märkte und marktwirtschaftliche Instrumente im Natur- und Klimaschutz einsetzt, dann sende man die falschen Signale.
"Also das problematischste Signal ist, das wir senden: Natur ist eine Ware und wir können sie in Geldwert ausdrücken und wir können Einzelteile aus ganz komplexen Ökosystemen herauslösen und gewisse Funktionen, das wird ja dann oft bezeichnet als eine Ökosystemdienstleistung, also sehr menschenzentriert: Was leistet uns da die Natur, dass wir da etwas rausschneiden können aus einem ganz komplexen System und sagen können: Genau diese Funktion, diese Leistung, die dieses Ökosystem für uns erbringt, die fassen wir jetzt in Geld."
Die Botschaft sei: Wir können genauso weitermachen wie bisher und schützen nebenbei noch die Natur und das Klima.
"Und das halte ich für grundlegend falsch, sozusagen auch als Umweltbildungsprojekt."

Kompensation für zerstörte Feuchtgebiete

Marktlösungen im Umweltschutz, die gibt es seit den 1970er-Jahren. Die Regierung führte damals in den USA sogenannte wetland-credtis ein. Sie erlauben, Feuchtgebiete zu zerstören und als Bauland zu nutzen, wenn im Gegenzug eine Kompensation erfolgt, sprich an einer anderen Stelle wieder Natur hergestellt wird. Beides - die Naturzerstörung und der Naturschutz – werden zertifiziert und miteinander verrechnet. Ein neuer Markt entstand, denn seither werden diese zertifizierten wetland-credits von speziellen Banken gehandelt.
Ein ähnliches System gibt es für neues Bauland heute auch in der Bundesrepublik. Der Vorteil für die Wirtschaft: Das System ist flexibel und es funktioniert in der Art und Weise, wie Unternehmer denken. Die Bauerlaubnis ist käuflich, über gefährdete Kröten oder seltene Kräuter muss sich der Bauherr keine Gedanken machen. Und es macht vieles möglich, was andere politische Instrumente – wie Verbote und Verordnungen- verhindern würden.
Auf diese marktbasierten Lösungen wurde in den vergangenen 15 bis 20 Jahren immer mehr gesetzt, wie Martin Cames vom Ökoinstitut beobachtet.
"In bestimmten Bereichen hat man ja in den 80er Jahren zum Beispiel tatsächlich mit Verordnungen und Vorgaben, sozusagen Standards, viel erreicht. Zum Beispiel die Großanlagenverfeuerungsverordnung, die den sauren Regen oder die Schwefeldioxyd-Emissionen deutlich zurückgedrängt hat. Und in anderen Bereichen, gerade im Bereich CO2 wurde das schwieriger, insbesondere deshalb, weil man keine End-of-the-pipe-Technologie hat."
Vor allem weil der Klimaschutz immer stärker in den Focus gerückt ist, setzen Politiker zunehmend auf marktbasierte Lösungsansätze. Denn eine allumfassende, klare technische Lösung wo und wie am besten CO2 eingespart werden kann, gab und gibt es nicht, so Martin Cames.
"Also bei der Großfeuerungsverordnung, da wurden ja quasi Filter auf bestehende Anlagen gesetzt und bei CO2 bin ich letztendlich in vielen verschiedenen Bereichen, muss ich technologisch ansetzen. Und da haben die Marktlösungen tendenziell mehr Flexibilität und setzen mehr Anreize, sich auch Dinge zu überlegen, die auch wirtschaftlich sind."

Klimaschutz einzig praktikable Lösung

Auch Otmar Edenhofer, der das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung leitet, sieht darin gerade im Klimaschutz die einzig praktikable Lösung.
"Es geht darum, Verschmutzung zu reduzieren. Und bei so einem Verfahren, eben über Preissteuerung, dass dann die Marktkräfte dazu genutzt werden, die kostengünstigsten Vermeidungsoptionen ausfindig zu machen, das ist ja kein Fehler, sondern im Gegenteil, das ist sogar sehr gut, weil, wenn das kosteneffizient gemacht werden kann, heißt das ja, dass man mit minimalem Einsatz an Ressourcen eben eine gegebene Menge an Emissionen reduziert."
Das mit Abstand größte und bedeutendste Marktinstrument ist der Europäische Emissionshandel: Wer in der EU Kohlendioxid ausstoßen will, muss handelbare Verschmutzungsrechte dafür vorhalten. An diesem Handel sind Banken, Umweltschutzverbände, Regierungen, die Vereinten Nationen, kleine und mittlere Unternehmen genauso wie große Konzerne beteiligt. Seit der Mechanismus 2005 in Europa eingeführt wurde, kann man daran zentrale Wirkungsweisen und Folgen dieses Marktinstruments beobachten.
Diese sind auch weltweit von Bedeutung, denn durch den Clean Development Mechanism, kurz CDM oder auch freiwilliger Kohlenstoffmarkt, werden auch Projekte außerhalb von Europa einbezogen. Über den CDM werden Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern finanziert und das dort eingesparte CO2 ebenfalls zertifiziert. Diese Zertifikate werden gehandelt und können auch im Europäischen Emissionshandel angerechnet werden. Das Ganze hat eine stattliche Größe: Bis 2020 erwartet man noch CDM-Projekte im Wert von acht Milliarden Dollar. Im Umweltbundesamt überwacht Frank Wolke in der Deutschen Emissionshandelsstelle dieses System.
"Damals war die Idee, dass man Klimaschutz nur global bekämpfen kann und es deswegen nicht drauf ankommt im Prinzip, wo ich meine Emissionen mindere, sondern dass sie global gemindert werden. Um dann die kosteneffizientesten Maßnahmen identifizieren zu können, hat man damals entschieden, dass sich Staaten und auch Unternehmen, Projekte aus anderen Ländern anrechnen lassen können."

Der Markt selbst will kein Klima schützen

Sollte Deutschland zu viel CO2 ausstoßen, kann es ein Klimaschutzprojekt in einem Entwicklungsland finanzieren – einen Windpark oder ein Solarkraftwerk beispielsweise – und sich die eingesparten Emissionen anrechnen lassen. Voraussetzung ist, dass dadurch tatsächlich Emissionen eingespart werden und dass es ohne die Finanzierung aus Deutschland nicht zustande gekommen wäre, dass es also eine zusätzliche Einsparung bedeutet.
"Diese Zusätzlichkeit ist immer ein heikles Thema, auch früher schon gewesen. Man stellt sich halt immer die Frage, wie man die Zusätzlichkeit prüfen kann, weil es halt immer ein Blick in die Zukunft ist, wie sich Projekte entwickeln, wie sich Preise entwickeln."
Im Nachhinein hat sich gezeigt, dass viele Projekte auch ohne CDM-Geld umgesetzt worden wären. Angerechnet wurden sie dennoch. Auch Missbrauchsfälle wurden im Laufe der Zeit aufgedeckt: Beispielsweise haben Industrieanlagen ihren CO2 Ausstoß künstlich erhöht, um sich die anschließende Einsparung als CDM anrechnen zu lassen, Wald wurde abgeholzt, um die Aufforstung als CDM zu finanzieren. Immer wieder zeigt sich: Der Markt selbst will kein Klima schützen und auch keine Natur.
Erst der Staat muss den Markt mit Regeln und Überwachung dazu zwingen. Und oft gelingt das nicht, zu kreativ sind die Investoren darin, Regeln auszulegen, zu umgehen und zu tricksen. Der administrative Aufwand jedenfalls ist immens und verschlingt einen großen Teil der Gelder. Für Frank Wolke ist das Prinzip dennoch nicht gescheitert, man müsse aus den Problemen lernen und Missbrauch in einem neuen künftigen System ausschließen.
"Tatsächlich ist es so, dass wir über die Jahre festgestellt haben, dass solche Klimaschutzprojekte bessere Regeln brauchen, als sie derzeit haben. Insofern ist auch unsere Position, dass man den CDM nicht einfach fortsetzen kann nach 2020 und auch nicht fortsetzen sollte. Es sollte ein neuer Mechanismus generiert werden und der sollte ambitioniertere, anspruchsvollere Regeln tatsächlich mitbringen."

Investoren setzen auf Großprojekte

Das Problem ist aber auch grundsätzlicher Natur: Die Investoren wollen mit möglichst wenig Geld möglichst viel CO2 einsparen. Aber nicht immer ist das günstigste Projekt auch das Beste für das Klima, die Natur und die lokale Bevölkerung. Der Mechanismus hat jedenfalls zur Folge, dass 75 Prozent der Mittel in zwei Länder fließen: China und Indien. Denn dort – so entscheidet es der Markt - lassen sich die Projekte am günstigsten umsetzen. In vielen Gegenden Afrikas, wo dringend kleinteilige Projekte benötigt werden, ist der administrative Aufwand zu groß. Investoren setzen oft auf Großprojekte, Staudämme beispielsweise, die mit Naturzerstörung und Vertreibung einhergehen.
Torsten Permien im MooreFutures Projekt Mecklenburg Vorpommern. 
Torsten Permien im MooreFutures Projekt Mecklenburg Vorpommern. © Deutschlandradio / Manuel Waltz
Zurück in Mecklenburg Vorpommern. Auf dem See vor Thorsten Permien tummeln sich jede Menge verschiedene Vögel. Ein großer Raubvogel verschwindet gerade mit seiner Beute gen Himmel. Die baulichen Maßnahmen, um dieses Moor wieder in einen natürlichen Lebensraum zu verwandeln, waren überschaubar, die Pumpen wurden abgestellt, einzelne Gräben zugeschüttet und anschließend wurde das Ganze sich selbst überlassen.
"So und ansonsten passiert hier nichts. Also nichts, was wir jetzt als Menschen als spektakulär wahrnehmen würden. Für die Tiere passiert hier denke ich ´ne ganze Menge. Also wir haben hier, seit wir hier stehen, sicherlich wenigstens zwei bis drei Todesfälle erlebt, wenn ich mir die Greifvögel hier angucke."
Die Rendite der MoorFutures für die Natur geht weit über die Einsparung von CO2 hinaus. Vermarktet wird aber nur das CO2.
"Sie bezahlen im Prinzip für ein Klimaschutzprojekt, das ist eben gerechnet auf den Klimaschutzeffekt, auf die Tonne CO2-Äquivalent-Minderung. Das sind die 35 Euro. Und Sie kriegen on Top noch ein super Artenvielfalt-Projekt, Sie kriegen on Top noch ein Projekt, das dazu beiträgt, dass die Wasserqualität hier steigt, also die Grundwasser-Qualität. Letztendlich ist das ja dann irgendwo auch ein Beitrag für die Meere. Sie haben on Top noch ein Kühlungsprojekt und so weiter und so fort, also da kommt einiges zusammen."
Wer sein CO2 kompensieren möchte, der kann sich MoorFutures kaufen oder aber ein CDM-Zertifikat. Hier kostet eine Tonne weniger als zehn Euro. Permien und seine MoorFutures stehen also in einem harten Wettbewerb.
"Deswegen also 35 Euro für die Tonne CO2 - das ist ´ne Menge Geld, das kriegen Sie im freiwilligen Kohlenstoffmarkt wesentlich preiswerter. Aber Sie haben hier eben ein Projekt in Deutschland, was eben für Ihre Kunden, wenn Sie ein Unternehmen sind oder auch Ihre Geschäftspartner, relativ leicht besuchbar ist, sich verbinden lässt mit einem super Urlaub hier in Mecklenburg Vorpommern. Und Sie haben ein Projekt, was eben noch eine ganze Menge von weiteren Ökosystem Leistungen dazu bringt."

Schwierig wird es bei Flugzeugen

Mittlerweile hat man sich weltweit stark auf die Einsparung von CO2 fokussiert. Es ist quasi eine neue weltweite Währung entstanden, die unter Staaten und zwischen Unternehmen gehandelt wird. Klimaschutz wird gleichgesetzt mit CO2-Einsparung, auch wenn es viele andere Effekte und Stoffe gibt, die Einfluss auf das Klima haben. Da man aber eine zentrale Größe brauchte, die man handeln kann, hat man den gesamten Klimaschutz an CO2 ausgerichtet. Die Gründe für diese zentrale Rolle von CO2 sind wiederum im Kyoto-Protokoll zu finden, so Robert Sausen, der sich im Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt mit Klimaschutz beschäftigt.
"Das hat damit was zu tun, dass man eine Reihe von anderen Gasen relativ leicht in CO2-Äquivalent umwandeln kann. Das geht gut bei langlebigen Gasen, wie zum Beispiel bei Lachgas oder bei SF6."
Bei manch anderen Klimaeffekten geht das aber nicht. Im Flugverkehr beispielsweise. Da Flugzeuge in großen Höhen den Treibstoff verbrennen und ihre Abgase ausstoßen, tragen sie neben dem CO2 Ausstoß zusätzlich zum Klimawandel bei: Der Kondensstreifen beispielsweise hat einen Klimaeffekt, außerdem werden Stickoxide emittiert und Ozon in der Atmosphäre bildet.
"Wenn man all diese Beiträge einbezieht, dann sind die im Mittel vermutlich noch einmal so groß, wie der reine CO2-Effekt. Und diesen Beitrag kann man durch geeignete Wahl der Flugtrajektorien fast um die Hälfte reduzieren."
Die Flugtrajektorien, das sind die Flugroute und die Flughöhe. Die Nicht-CO2 Effekte werden nämlich umso stärker, je kälter und feuchter es ist. Würden Flugzeuge die kalten und feuchten Gebiete umfliegen, dann würde sich dieser Beitrag zum Klimawandel verkleinern – um bis zu 50 Prozent - auf relativ einfache Art und Weise. Allerdings würde sich der CO2-Ausstoß leicht erhöhen. Deshalb wird es nicht gemacht. Stattdessen wird in der politischen Debatte der Klimaeffekt des Flugverkehrs an den CO2-Ausstoß gekoppelt, der CO2 Ausstoß schlicht mit einem Faktor versehen – dem Faktor zwei, in manche Berechnungen auch mit dem Faktor drei.
"Zum Regulieren ist der nicht geeignet, weil der nämlich voraussetzen würde, dass die Nicht-CO2 Effekte proportional zum CO2 Verbrauch sind. Das ist also durchaus nicht der Fall und wenn man so etwas einführt, dann führt das dazu, dass die Nicht-CO2-Effekte nicht mehr reduziert werden, sondern nur die CO2 Effekte auf Kosten der NOX-Emissionen. Also ich kann ein Flugzeug dadurch effizienter machen, dass ich eine höhere Temperatur in der Brennkammer habe, und dann habe ich aber eine höhere Stickoxyd-Emission. Also das ist ein bisschen gegenläufig, und dadurch ist die Gefahr, dass, wenn man solche ganz einfachen, die also politisch einfach sind, Regelungen trifft, dass man kontraproduktiv arbeitet."

Verdacht auf Greenwashing

CO2-Einsparung wird mittlerweile mit Klimaschutz gleichgesetzt. Unternehmen und Fluglinien brüsten sich mit CO2 Minderung, das ist in der Sprache der Werbung leicht zu kommunizieren. Dass Klimaschutz mitunter komplizierter ist, das kann die Werbung nur schwer transportieren. Folglich wird es nicht gemacht. Hier könnten politische Vorgaben etwas ändern: Ordnungspolitisch könnten Fluglinien darauf verpflichtet werden, die Nicht-CO2 Effekte durch verbesserte Flugrouten zu reduzieren. Stattdessen will der Flugverkehr ab 2020 ein marktbasiertes Offset-System einführen und einen Teil seines CO2-Ausstoßes kompensieren.
Offsets, CDM, all das wird von vielen als Greenwashing bezeichnet: Weitermachen wie bisher, nur mit einem grünen Anstrich. Eine Kritik, die auch Ottmar Edenhofer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung teilt. Das aber ändert für ihn nichts daran, dass die Welt Markt- und Preis-Instrumenten brauche, um die Emission von CO 2 drastisch zu reduzieren, um auch nur die Chance zu haben, das 2-Grad Ziel zu erreichen. Das heißt, die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius zu begrenzen. Die Umsetzung ist für ihn entscheidend.
"Wir haben uns ja durch das Paris-Abkommen vorgenommen, dass wir die Emissionen letztlich in den nächsten Dekaden absenken, sogar nach 2020 jährlich um jährlich sechs Prozent, das ist ja ein gewaltiger Transformationsprozess für eine Wirtschaft, wo eben alle Sektoren mitmachen müssen: Der Transport-Sektor, der Strom-Sektor, am Schluss auch die Industrie, der Wärmemarkt. Deshalb brauchen wir Sektor-übergreifende Instrumente und diese Instrumente, die müssen dann eben auch die richtigen Anreize setzen. Und aus dem Grund ist eben auch eine Preissteuerung von so fundamentaler Bedeutung für diesen Transformationsprozess."
Lilli Fuhr von der Heinrich Böll-Stiftung widerspricht.
"Also wenn man sich jetzt die konkreten Instrumente anschaut, allen voran den Europäischen Emissionshandel, das ist ja, würde ich mal sagen, das größte marktbasierte Naturschutzinstrument, das wir haben, das es schon länger gibt. Dann sieht man in der Empirie einfach, dass es gar nicht funktioniert. So. Die Preise sind so niedrig, die Gewinnspannen der Konzerne, die sich daran beteiligen, so gigantisch groß, dass die das, was als Ziel deklariert wurde, dass da ein Preis für CO2 entsteht, der irgendwie Lenkungswirkung hat und tatsächlich zu einer Transformation des Energiesektors führen soll, überhaupt nicht stattfindet."
Otmar Edenhofer gibt ihr zwar darin Recht, dass der Europäische Emissionshandel nicht funktioniert, in seinen Augen liegt das aber an einzelnen Fehlern, die korrigiert werden könnten. Er plädiert für einen Mindest-Preis für die Zertifikate. Das würde die Erwartungen der Händler stabilisieren und die Lenkungswirkung entfalten. Und es würde die Einnahmen für den Staat vergrößern. Diese Einnahmen seien ein Haupt-Vorteil gegenüber ordnungspolitischen Maßnahmen wie Verboten oder Grenzwerten.
"Wir würden zum Beispiel sagen, Deutschland steigt jetzt per Ordnungsrecht aus der Kohle aus, das heißt jetzt sukzessive werden jetzt Kohlekraftwerke stillgelegt. Was würde denn dann passieren? Dann würde zunächst mal passieren, dass der Strompreis steigt, er würde so stark steigen, bis die Gaskraftwerke rentabel werden. Das heißt, auch Ordnungsrecht hat Preiswirkungen. Nur mit einem großen Unterschied. Diese Preiswirkungen kommen dann den Besitzern der Kraftwerke zu Gute. Hingegen würde beim Emissionshandel, der Zertifikate versteigert, oder bei einem CO2-Preis würden diese Einnahmen der öffentlichen Hand und damit auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Man könnte eben die Einnahmen zum Beispiel dazu verwenden, dass man diejenigen kompensiert, die besonders unter hohen Strompreisen leiden, nämlich die unteren Einkommensgruppen."

Umweltschutz sollte höchste Priorität besitzen

Lilli Fuhr von der Heinrich Böll-Stiftung sieht dagegen die einzige Lösung darin, unser Wirtschaften, die Machtinteressen dahinter, die politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen in Frage zu stellen.
"Und dann tatsächlich die politische Auseinandersetzung zu suchen und den Konflikt nicht zu scheuen und zu sagen: Ok, mit wem müssen wir uns genau anlegen, wenn wir da was ändern wollen, statt von einer Versöhnung von zwei ganz abstrakten Dingen wie Ökologie und Ökonomie zu sprechen, die dann diese Konflikte nur verschleiern und es unmöglich machen, da demokratische Lösungen am Ende zu finden."
Allerdings müsste dazu der Umwelt- und Klimaschutz deutlich in der Prioritätenliste nach oben rutschen. Den meisten Bürgern ist im Zweifel der eigene Arbeitsplatz wichtiger als ein Moor in Mecklenburg Vorpommern. Für Wissenschaftler und Umweltschützer besteht daher eine Aufgabe darin, überhaupt die Aufmerksamkeit auf bestimmte Probleme zu lenken. Und auch dazu nutzen sie mittlerweile die Idee der Monetarisierung.
Josef Settele ist nach Leipzig gekommen, um Kollegen zu treffen. Gelegenheit für ein Interview. Denn der Wissenschaftler hat eine interessante Rechnung aufgestellt. Settele arbeitet am Umweltforschungszentrum in Halle an der Saale. Er wurde von Berichten aufgeschreckt, dass es in China Gegenden gibt, in denen keine Bienen mehr leben, zu stark ist die Verschmutzung dort. Menschen bestäuben nun mit Pinseln die Blüten der Pflanzen, die dort noch angebaut werden. Um auf das Problem aufmerksam zu machen, hat er berechnet, wie viel weltweit die Bestäubung der Bienen wert ist.
"Er hilft zumindest diese Wertsetzung eine zusätzliche Komponente zu verleihen, die vielleicht überhaupt erst mal ein Mind-Opener ist für das Thema. Bislang war es so: Das Bienchen mit dem Blümchen, so.... What shalls? Was soll das Ganze? Ist mir doch egal. Aber dass eben gerade Bienen mehr sind als nur Honig, das ist schon eine wichtige Erkenntnis und dass die ganz viel leisten: Für die Ernährung, für Obst und Gemüse, für Vitamine sozusagen für uns, das ist glaube ich dadurch schon klarer geworden. Das kommt eben schon rüber, dass das nicht nur so eine verrückte Geschichte ist von irgendeinem Biologen und Umweltschützern."

Der Wert der Bestäubung der Biene

253 Milliarden Euro ist die Bestäubung der Bienen jährlich wert, sagt der Forscher aus Halle. Settele kam auf diese Zahl, indem er seiner Berechnung die Weltmarktpreise für Obst, Gemüse und andere agrarische Produkte zu Grunde gelegt hat.
"Da haben wir genommen die Preise aller Produkte und dann gesehen, also wie stark, zu welchem Verhältnis sind sie abhängig von Bestäubung? Also einige Pflanzen sind 100 Prozent bestäubungsabhängig, andere, wie Äpfel oder andere Obstsorten, so 60 oder 70 Prozent, je nachdem. Und haben dann diesen Weltmarktpreis des Handelsproduktes korrigiert um die Abhängigkeit der Bestäubungsleistung. Das heißt, jedes Produkt hat weltmarktpreismäßig so und so viele Millionen Euro bestäubungsabhängige Produktion."
Diese Zahl hat medial eine große Aufmerksamkeit geschaffen und auch politische Entscheidungsträger haben sich sehr dafür interessiert. Mehr als für die einfache Information, dass wir Bienen brauchen, um unsere Nahrungsmittelproduktion aufrecht zu erhalten.
"Ich denke es ist so ein bisschen auch der Trend der Zeit, dass wir ein bisschen leistungsorientierter auch versuchen, die Natur zu erfassen. Auch wiederum um klar zu machen, was die Natur für uns leistet. Was nicht monetär sein muss, einfach, was sie für uns bereitstellt. Weiß Gott: Klimaschutz, Luftversorgung, Nahrungsversorgung , die ganzen Punkte."
Die Information, dass die Leistung der Bienen 253 Milliarden Euro wert ist, birgt allerdings auch eine Gefahr. Denn sie relativiert. Bestäubung durch Bienen – kann man vielleicht kompensieren - wie in China. Dann wäre es nicht mehr so schlimm, wenn wir eines Tages keine Bienen mehr hätten. Dieser Gefahr ist sich Settele durchaus bewusst.
"Ich habe nur den Nutzen zu zeigen, welchen Wert momentan wir wahrnehmen, als Selbstverständlichkeit. Wenn ich es dann weiter spinne und sage ok, ich kann es ersetzen, dann merke ich sehr schnell, es klappt nicht. Ich kann nicht gegen fünf BMW 20 Apfelbäume eintauschen, selbst wenn es monetär vielleicht ginge, aber BMW kann ich nicht essen und das andere ist, wenn es weg ist, für uns halt fatale Folgen hat, von daher ist der Vergleich schwierig. Man kann es umrechnen, wie alle ökonomischen Güter irgendwie verglichen werden, auch wenn sie nicht vergleichbar sind."
Monetarisierung und Marktinstrumente stoßen auf die Komplexität von Natur. Und dabei an Grenzen. Oder auf Spielräume – je nach Sichtweise.
"Die Marktmechanismen können halt nur im Zusammenspiel mit anderen Mechanismen wirklich zu einem Erfolg führen."
Sagt Frank Wolke von der Emissionshandelsstelle. Marktinstrumente müssten durch andere politische Vorgaben, durch Ordnungsrecht und andere Mittel flankiert werden, was aber nicht immer passiert. Gerade der europäische Emissionshandel zeigt, dass sich die Politik schwer tut, Versäumnisse zu korrigieren und weiterhin gestaltend einzugreifen, wenn der Markt erst einmal da ist.
"Ich glaube, es geht nicht ohne, es geht nicht ohne den Markt und es geht nicht ohne die Investoren. Klimaschutzprojekte kosten einfach Geld, und damit das Geld fließt muss das Geld irgendwo herkommen. Jetzt kann man sagen: Ok, auf staatlicher Ebene investiere ich einfach staatliches Geld und unterstütze Klimaschutzprojekte. Das kann man machen, das passiert auch ein Stück weit. Allerdings wird man dadurch keine große Hebelwirkung erreichen werden, weil die staatlichen Potentiale für solche finanzielle Förderung von Klimaschutzprojekten dann irgendwann begrenzt sind."

Kann der Markt die Welt retten?

Lilli Fuhr glaubt nicht daran, dass der Markt – selbst wenn er von anderen Maßnahmen flankiert wird – das Klima und die Welt retten kann. Vielmehr ist es gerade der Markt, die kapitalistische Logik des "Immer mehr", die den Planeten an den Rand des Kollaps geführt hat.
"Deswegen ist eine zunehmende ökonomische In-Wert-Setzung von Natur so eine Art letztes Aufbäumen eines Kapitalismus, der an seine Grenzen gestoßen ist und sozusagen die letzten noch nicht durchkapitalisierten Räume einverleibt und es sich eigentlich immer mehr zeigt, dass wir diese Grenzen schon längst überschritten haben."
Noch einmal nach Mecklenburg-Vorpommern. Ins Moor. Zu Thorsten Permien. Dem Mann mit den Moor-Futures.
"Man muss sich also wirklich Gedanken machen, wie weit man das treibt. Reicht es aus, wenn ich irgendwo was baue und ich gleiche das aus. Dem Ganzen sind Grenzen gesetzt. Ich würde also auch nicht so weit gehen, dass ich jede Ökosystemleistung überall irgendwo versuchen möchte in Euro und Cent oder welche Währung auch immer auszudrücken. Ich glaube aber, dass es an verschiedenen Stellen Sinn macht und auch seriös ist. Wie beispielsweise die Klimaschutzleistungen der Moore und Wälder."
CO2 als globale Währung macht es möglich, vieles miteinander zu verrechnen, manches aber auch nicht. Die Gefahr, Natur zu relativieren, ist groß.
"Mit so einem Schmunzeln denke ich immer an Frederic Vester, ein Kybernetiker aus den 80er Jahren oder hat zumindest in den 80er Jahren auch veröffentlicht. Der hat einfach mal gesagt, also der Gesang einer Nachtigall beruhigt mich so sehr wie eine halbe Valium. Also ist der Wert einer Nachtigall bei - ich glaube er hat drei D-Mark Fünfzig gesagt, oder so. Die Zahl kenne ich nicht mehr. Den Mut muss man haben."
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