Kant und die Rassismus-Debatte

"Die Vertreter der Aufklärung sind nicht unschuldig"

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Das zeitgenössische Bild zeigt die Silhouette des deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724-1804).
Kritik an Immanuel Kant sei berechtigt - doch dessen Weltanschauung passe nicht zu Rassismus, sagt Stefan Gosepath. © picture alliance
Stefan Gosepath im Gespräch mit Gabi Wuttke · 16.06.2020
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Die "Black Lives Matter"-Bewegung führt auch zu den Ursprüngen von Rassismus und damit zu den Philosophen der Aufklärung. Statt Kant vom Sockel zu stürzen, sollten kritische Stellen in dessen Werk diskutiert werden, sagt der Philosoph Stefan Gosepath.
Rassistische Stellen gebe es in Immanuel Kants Werken und das müsse man auch offen zugeben, sagt Stefan Gosepath. Er ist Professor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin. Allerdings sieht er diese nicht als Kernpunkte in Kants Weltanschauung: "Das Zentrum seines Werkes, für das wir ihn schätzen, ist sein Universalismus, also die Behauptung, dass das für alle Menschen gilt - die Tatsache, dass er die gleiche Menschenwürde und den Kosmopolitismus mitbegründet hat."
Ob Kant, wenn er in seinen Schriften "von allen Personen spricht" tatsächlich mitnichten alle Menschen, sondern nur den "weißen Mann" meint, müsse die Kant-Forschung klären.

Rassenhierarchie und Rassenkategorie

Kant habe seine Meinung historisch geändert – möglicherweise, weil nur so seine Hauptprinzipien von Kosmopolitismus und Universalismus stimmig blieben, erläutert Gosepath: "Am Anfang hatte er nicht nur Rassen definiert, sondern auch eine Hierarchie von Rassen behauptet. Später hatte er eigentlich nur noch die biologische Kategorie - die wir heute auch in Frage stellen - aber keine These mehr darüber, dass es diese Hierarchie gibt."

Stellenwert im historischen Kontext hinterfragen

Gosepath glaubt, dass Hegel und Kant auch eine Form von rassistischen Vorurteilen vertreten haben: "Die Vertreter der Aufklärung sind nicht unschuldig." Die kritischen Stellen in Kants Werk sollten offen dargestellt und diskutiert werden. Entscheidend sei, wie stark Kant in historischer und gedanklicher Schuld verhaftet sei, und daran bemesse sich "ob wir mit ihnen, ihrem Andenken und mit dem Status, den sie haben, jetzt anders umgehen sollten."
Kants These der gleichen Menschenwürde mache deutlich, dass er den Rassismus nicht aufrechterhalten könne. "Und deshalb sollten wir versuchen, an diesen zentralen Elementen festzuhalten." Kant sei sicherlich "kein Heiliger" gewesen, so Gosepath, und habe in seinem Werk auch moralische Fehler begangen.

Blick auf die Gegenwart richten

Dass sich die Wut in der Rassismusdebatte gegen die Hauptvertreter unserer Kultur und damit auch gegen Kant richtet, hält Gosepath für fehlgeleitet. Die Wut müsse sich viel mehr gegen die gegenwärtigen Verhältnisse richten. Statt Kant vom Sockel zu stürzen, sollte man sich die Bedeutung dieser Menschen klar machen:
"Wieso die irgendwer irgendwann mal auf den Sockel gesetzt hat und warum wir jetzt eine andere historische Perspektive auf diese Figuren haben. Was macht das eigentlich mit unserer Betrachtung der Gegenwart, die natürlich historisch geworden ist, aber die wir selber natürlich auch historisch verändern können. Das ist doch das, worauf es eigentlich ankommt, damit wir den Rassismus heute austreiben."
(mle)
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