Philosoph über den Hass

Kant zeigt souveränen Umgang mit Hate Speech

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Eine mit Farbe bespritzte Statue des deutschen Philosophen Immanuel Kant neben einem der Gebäude der Baltischen Föderalen Immanuel-Kant-Universität in der Stadt Kaliningrad (ehemals Königsberg).
Auch 300 Jahre nach seinem Tod ist der Philosoph Kant nicht vor Hass geschützt. © picture alliance / dpa / Vitaly Nevar
Von Matthias Gronemeyer · 19.04.2024
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Wie gehen wir mit dem wachsenden Hass in der Gesellschaft um? Manche Politiker würden Hate Speech am liebsten verbieten. Kant hatte eine bessere Idee, meint der Philosoph Matthias Gronemeyer.
Auf meinem Küchenkalender steht im Monat April der Spruch: „Wird Zeit, dass ich mich geschlossen meiner Freiheitsbewegung anschließe.“ Die Künstlerin Maren Profke hat dazu ein Bild gemalt: Im Vordergrund steht eine Frau mit zornigem Gesichtsausdruck und schwarzen Groll-Wolken überm Kopf, irgendein Hass scheint sie erfasst zu haben; im Hintergrund warten Freiheitsbanner, Schwert und Pferd.
Wenn die ihre Ankündigung in die Tat umsetzt, muss man fürchten, dann schlägt sie alles kurz und klein. Eine Gefahr für unser friedliches Zusammenland.
Wie meine Freiheitsbewegung mit denen der Anderen zusammenstimmen kann, zeigte der Philosoph Immanuel Kant in seinem Kategorischen Imperativ: Man solle nur nach derjenigen Maxime handeln, die auch allgemeines Gesetz werden könnte. Hass kann keine solche Maxime sein. Wir würden uns in der Tat alle gegenseitig totschlagen.

Die heftigste Leidenschaft

Gleichzeitig hat Kant Verständnis für unsere Leidenschaften, auch die schlechten. Weil Hass, so heißt es in seiner Anthropologie, aus erlittenem Unrecht entstehe, sei er „die heftigste und tiefste Leidenschaft“, die zudem aus der Natur des Menschen „unwiderstehlich“ hervorgehe.
Ob es sich um tatsächliches oder nur subjektiv empfundenes Unrecht handelt, macht dabei keinen Unterschied. Was aber „unwiderstehlich“ aus der Natur hervorgeht, lässt sich nun schlechterdings nicht einfach unterdrücken. So kann man dem Apfel nicht verbieten, vom Baum zu fallen.

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Aber Hass macht einsam, weil er, wie es bei Kant heißt, auf „einander widerstreitende Zwecke“ gerichtet ist: Ich kann mich nicht gleichzeitig mit der Gesellschaft entzweien und dazugehören wollen.
Um diesen Widerspruch zu lösen, posaune ich meinen Hass dann als Botschaft in die Welt: Hasst mit! Ginge es nach unserer Innenministerin und vielen anderen, soll genau das verboten werden: Seinen Hass öffentlich machen.

Hilft es, Hate Speech zu verbieten?

Hinter dem Verbot von Hassbotschaften steckt die Angst vor Ansteckung. So, als sei der Hass ein Virus, das das an sich friedliche Zusammenleben infiziere.
Diese Denkungsart hält Kant indes für falsch: In seiner Geschichte in weltbürgerlicher Absicht schreibt er: „Der Mensch will Eintracht. Aber die Natur weiß besser, was für ihn gut ist: sie will Zwietracht.“
Die „Quellen des Widerstands, woraus so viele Übel entspringen“, heißt es weiter, verrieten die „Anordnung eines weisen Schöpfers, und nicht etwa die Hand eines bösartigen Geistes.“ Bitte? Soll Hassen nun etwa nützlich sein?
Dem Einzelnen stehen seine schlechten Leidenschaften im Weg. Kant nennt sie „Krebsschäden der Vernunft“, weil wir von ihnen so zerfressen sind, dass wir unser eigentliches Ziel, nämlich gemocht zu werden, nicht erreichen.
Uns als Gattung sollen sie hingegen Ansporn sein, am Ziel einer Gesellschaft von größtmöglicher Freiheit zu arbeiten.

Auf den anderen zugehen

Ein Ziel allerdings, das wir wohl nie ganz erreichen werden: „Aus so krummem Holze“, schreibt er, „als woraus der Mensch gemacht ist“, könne „nichts ganz Gerades gezimmert werden“.
Kant, und das unterscheidet den großen Philosophen vom kleinlichen Moralisten, hält das Problem des friedlichen Zusammenlebens für letztlich unlösbar. Es ist uns vielmehr als fortwährende Aufgabe gestellt, derer wir uns nicht durch Verbote entledigen können.
Und was heißt das für den Umgang mit den Hassenden? Auch sie sind als Menschen Zwecke an sich und wir sind ihnen gegenüber in der Pflicht, sie als Menschen zu achten. Pflicht, weiß das Deutsche Wörterbuch, kommt von Pflege.
Kants Botschaft an uns lautet also: Streitet, auch heftig und zornig, aber geht pfleglich miteinander um. Auch mit jenen, denen ihre Gefühle gerade im Weg stehen.

Matthias Gronemeyer ist Doktor der Philosophie und arbeitet als freier Autor und Publizist. Zuletzt erschien sein Essay „Die ironische Existenz. Plädoyer für einen radikalen Skeptizismus“.

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