Kant-Garagen in Berlin

Designerstücke im Parkhaus

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Das Bild zeigt eine Ebene eines ehemaligen Parkhauses, der Kant-Garagen in Berlin. Die Auffahrt ist zu erkennen, rechts ist eine Glasfront zu sehen, durch die das Laubwerk von Bäumen draußen zu erkennen ist. Der Raum ist geweißt und lichtdurchflutet.
Die Kant-Garagen in Berlin zeigen sich nun frisch renoviert. Die Doppelhelix zur Auf- und Abfahrt der Autos war eine Sensation bei der Eröffnung in der Zeit der Weimarer Republik. © imago / Schöning
Von Wolf-Sören Treusch · 26.09.2022
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In den 1930er-Jahren waren die Kant-Garagen eine Architektursensation, gebaut rund um die Bedürfnisse der Automobilisten. Dann verkam das Gebäude und wäre fast abgerissen worden. Der Denkmalschutz rettete es, bald eröffnet in ihm ein Design-Kaufhaus.
Vorbei sind die Zeiten, in denen der Eingang in die Hochgarage wie ein schwarzes Loch wirkte. Die gläsernen Vorhangfassaden an Vorder- und Rückseite, ein Markenzeichen der Kant-Garagen, sind originalgetreu saniert und lassen viel Licht ins Gebäude.
Hellgrau strahlt der Beton. Von den Wänden, der Decke, dem Boden. Handwerker erledigen letzte Feinarbeiten, im Erdgeschoss hängen Bilder eines jungen Künstlers. In wenigen Tagen eröffnet das Designcenter „Stilwerk“ seine neue Berliner Filiale in dem einstigen Parkhaus. 2020 hatte es an anderer Stelle in Charlottenburg schließen müssen.

Neue Heimat für Showrooms

„Das Schöne ist, dass wir diese Location haben und dieses Kunst- und Kulturerlebnis hier noch viel besser zeigen und erleben können, als wir es in der Vergangenheit konnten", sagt Centermanager Jörn Friedrichsen voller Vorfreude. "Das ist ja eigentlich unser Credo: Kunst, Kultur, Design, alles unter einem Hut."
"Wir konzipieren ganz bewusst Showrooms. Da geht es tatsächlich nicht in erster Linie ums Kaufen an sich, sondern darum, die Produkte kennenzulernen, Design zu erleben, das Ganze gepaart mit Kunst und Kultur, aber auch Gastronomie und Hospitality", fährt Friedrichsen fort. "Das ist ja alles ein Kosmos, in dem wir hier sind, und das ist unsere Aussage: Design ganzheitlich erlebbar machen.“
Wer eines der angebotenen Möbel oder Designprodukte kaufen will, erledigt das später im Internet. Hier sollen sich die Besucherinnen und Besucher inspirieren lassen, vor allem auch vom Gebäude selbst: den Kant-Garagen.

Doppelhelix im Parkhaus

Bei der Eröffnung 1930 verblüffte die Hochgarage das Publikum: Beheizte Stellplätze für 300 Pkw, Waschanlage, Werkstatt und Tankstelle, errichtet im Stil der klassischen Moderne, der neuen Sachlichkeit. Besonders die Doppelhelix, eine Wendelrampe, auf der sich die Autofahrer beim Rauf- und Runterfahren nicht begegneten, galt als Sensation.
„Man ist grundsätzlich immer richtig, egal, was man tut, die schlängeln sich ja spiralförmig um das Oktagon herauf, jede Etage hat zwei Ein- und Ausgänge, und von daher: gehen wir mal jetzt so weiter, wie früher die Autos gefahren sind“, sagt der Centermanager.
Dirk Gädeke ergänzt: „Sie können sich glatt hier verfahren, weil Sie gar nicht mehr wissen, wo sind Sie reingefahren, wo kommen Sie raus unten? Ist wirklich toll. Genial.“

Denkmalschutz verhinderte Abriss

Der Berliner Unternehmerfamilie Gädeke gehören die Kant-Garagen inzwischen. 2016 kaufte sie das Gebäude dem Vorbesitzer ab. Der hatte es verkommen lassen, wollte die Hochgarage gar abreißen, scheiterte jedoch am Denkmalschutz.
Die Bau-Ikone aus dem vergangenen Jahrhundert liege ihm schon lange am Herzen, macht Seniorchef Dirk Gädeke klar: „Als Student bin ich hier hochgefahren, da war oben eine Autofirma drin: British Leyland. Ich hatte einen Mini, da bin ich immer diese Rampe rauf", erinnert er sich.
"Ich habe dieses Parkhaus geliebt. Es war immer erkennbar Bauhaus, es war immer eine ganz besondere Immobilie und ich fand es eben einfach erhaltenswert. Das ist wunderbar, und deshalb habe ich das gemacht.“

Einen zweistelligen Millionenbetrag steckte die Unternehmerfamilie in die denkmalgerechte Sanierung der Hochgarage im Stil der neuen Sachlichkeit. Nicht für die alte Zentralheizung, die seinerzeit die empfindlichen Holzkarosserien vor Feuchtigkeit schützte – sie ist durch eine moderne ersetzt worden; sehr wohl aber für die Aufbereitung der gläsernen Vorhangfassaden, die als weltweit einmalig gelten. Und für die Wiederherstellung der Autowaschplätze und Parkboxen, die nun als Showrooms dienen und bei den Ausstellern besonders begehrt sein dürften.

Heinrichboxen für die Autos

Juniorchef Felix Gädeke findet, der Aufwand habe sich gelohnt. „Was ganz toll ist, dass zum Beispiel der Stahl, der hier verbaut wurde, so gut war, dass wir ihn in ganz vielen Bereichen erhalten konnten. Der Beton hingegen war teilweise schon so stark verwittert, dass wir ihn erneuern mussten", erklärt er. "Davon abgesehen: Das Gebäude trifft total meinen Geschmack, ich finde es einfach nur schön.“
„Stilwerk“-Manager Jörn Friedrichsen steht vor einer der sogenannten Heinrichsboxen – auch sie gibt es nirgendwo sonst in der Welt.
Zwei Männer stehen in einem Raum. der offenbar umgebaut wird. Der Mann links hat kurze Haae und trägt ein helles Hemd, der Mann rechts ein pastellfarbenes Shirt und darüber eine Outdoor-Jacke.
Jörn Friedrichsen (li.) und Felix Gädeke in den Kant-Garagen. Gädekes Familie gehören die Garagen, Friedrichsen managt das Design-Zentrum. (*)© Wolf-Sören Treusch


„Garagentor Nummer 16. Es wäre so schön, zu wissen, welches Auto hat da mal gestanden, welches Auto wurde da abgeschlossen", sagt Jörg Friedrichsen. "Hier wurden sie abgeschlossen, die Limousinen.“
Wie geölt laufen die 2,50 Meter hohen und 5 Meter breiten Garagentore aus Metall mit ihren deutlich erkennbaren Gebrauchsspuren auf den Rollschienen.
„Sie sind absolut genauso gelassen, wie sie 1930 waren, aber eben wieder funktional, das heißt, man kann sie auf- und zumachen", sagt der Centermanager. "Man könnte sie sogar abschließen – was wir natürlich nicht wollen. Aber sie geben diesen Charme der 30er-Jahre unglaublich gut wieder.“

Probeschlafen im Hotel nebenan

„Stilwerk“ hat die Kant-Garagen komplett gepachtet, eine Fläche von 9.500 Quadratmetern, ebenso das Hotel, das die Eigentümer nebenan bauen ließen.
In den beiden Corona-Jahren seien die Umsatzzahlen an den übrigen Standorten des Möbel- und Designcenters merklich gestiegen, berichtet Jörn Friedrichsen, das lasse das Unternehmen trotz der aktuell angespannten Wirtschaftslage optimistisch nach vorne blicken.
„Das ist ja auch mit ein Grund, warum wir gesagt haben, wir wollen dieses Objekt mit dem danebenliegenden Hotel. Wir bewirtschaften ja beides: nicht nur dieses Center, sondern auch das Design-Hotel, was ausschließlich mit Marken und Produkten unserer Mietpartner eingerichtet ist", macht Friedrichsen klar.
"Wir bekamen schon vor der Eröffnung des Hotels Anfragen: ‚Wann ist es denn endlich soweit? Ich möchte in dem Bett auch schlafen, bevor ich es dann auch kaufe‘.“

Hoffnung auf Aufwertung der Gegend

Direkt gegenüber, auf der anderen Seite der Straße, betreibt Peter Bauer ein Ladengeschäft mit Originalen, Kunstdrucken und Bilderrahmen. Seine Eltern hatten immer eines oder mehrere Geschäfte an der Ecke, er ist großgeworden mit den Kant-Garagen.
Er hat auch die Zeiten mitbekommen, in denen das Gebäude nahezu in Vergessenheit geraten war. „Zumal auch die Eingänge ein bisschen übel waren, die Hauseingänge. Da sind dann die Tauben zum Sterben hingeflogen." Einen neuen Anstrich könne sie vertragen, hat er später immer wieder gedacht.
Ein Bild der Kant-Garage aus dem Jahr 2014. Der Putz des Gebäudes ist dunkelbesch, Graffiti ist auf dem Gemäuer. Auf dem Nachbargrundstück steht ein eingeschossiger Bau, vom nächsten Haus ist die Brandmauer zu sehen.
Die Kant-Garagen waren 2014 in bescheidenem Zustand. Inzwischen strahlen die Garagen und auf dem Grundstück rechts neben der Bauhaus-Ikone steht ein Hotel. Es wird nur mit Dingen eingerichtet, die im "Stilwerk" nebenan verkauft werden. © imago / Jürgen Ritter
Über die Bedeutung der Hochgarage als Mobilitätsikone der klassischen Moderne wusste Bauer lange Zeit nichts, mittlerweile ist das anders. Jetzt sind die Kant-Garagen frisch saniert, und Peter Bauer hofft, dass damit die gesamte Umgebung aufgewertet wird. „Zumal die Kant-Garagen bei Touristen auch sehr beliebt sind."
Immer wieder seien früher Touristengruppen aus dem Vorderen Orient oder aus Asien oder auch aus Amerika gekommen, berichtet er, "immer mit so einem Fähnchen." Dann sei immer über die Kant-Garagen von der anderen Straßenseite berichtet worden:
"Das ist ja ein tolles Haus. Und das gehört einfach hier her. Jetzt hat man ja doch die Möglichkeit, dass dort was reinkommt, was auch für unser Geschäft, für unsere Umgebung wieder neue Kundschaft und neue Besucher, Touristen herbringt.“

Kreative für den Standort


Nun also ziehen die Kreativen in Europas älteste Hochgarage aus der Zeit der klassischen Moderne ein. Verteilt auf vier Stockwerken, auf offenen Flächen, in umfunktionierten Autowaschplätzen und Parkboxen präsentieren sich Interior Design und Lifestyle Marken, Händler und Servicedienstleister.
Man darf gespannt sein, ob das Mischkonzept aus Kunst, Kultur und Design mit Gastronomie im Erdgeschoss und Veranstaltungsloft im vierten Stock funktioniert.
Eigentümer Felix Gädeke und Centermanager Jörn Friedrichsen sind überzeugt: Allein die Geschichte dieser einzigartigen Immobilie wird viele Besucherinnen und Besucher anlocken.
„Bauhaus zieht, Historie zieht, und Qualität, die über so viele Jahre bestehen bleibt, das kann man ja nicht von jeder Architektur behaupten", sagt Gädeke. "Man weiß ja heute nicht, wie die Gebäude in zwanzig, dreißig Jahren gesehen werden, die man baut. Hier wissen wir es: Das gefällt eigentlich allen.“

„Wir stehen auch in verschiedenen Reiseführern schon drin, wir haben Anfragen von architektur- und designinteressierten Gruppen, die regelmäßig hier ihre Führungen beginnen werden", ergänzt Friedrichsen. "Berlin bietet ja sehr viel Design und Architektur auf Weltniveau, und tatsächlich ist das hier dann der place to be. Und ab hier geht es dann meistens los. Dazu gehört natürlich auch diese historische Glasvorhangfassade, die auf beiden Seiten des Objektes ist und weltweit einmalig ist.“
Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version wurden die Namen in der Bildunterschrift vertauscht. Diesen Fehler haben wir korrigiert.


 
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