Kampf um die Matten

Wie die rechte Szene den Kampfsport instrumentalisiert

23:57 Minuten
Vier Männer mit durchtrainierten Körpern auf ihren T-Shirts steht "Noricum", der Name ihrer Kampfsportgruppe
Mitglieder der Kampfsportgruppe Noricum im sächsischen Ostritz. © David Speier/Imago
Von Alexa Hennings  · 17.03.2019
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Den sportlichen Kampf in einen politischen umdeuten: Das ist eine Strategie von Rechtsextremen. Sie verbinden Kampfsport mit soldatischem Männlichkeitsideal und Fantasien von einem "Tag X", an dem der Umsturz stattfindet.
Ein kleiner Flachbau in Rostock-Toitenwinkel. Eher ein umgebautes Lager als eine Sporthalle. Hier trainiert der Klub MMA Rostock. MMA steht für Mixed Martial Arts - was soviel bedeutet wie: gemischte Kampfkünste.
Steven Kitzing, ein durchtrainierter Bundeswehrsoldat, leitet das Training. Schon nach wenigen Minuten steht den 20 Männern und zwei Frauen der Schweiß auf der Stirn.
"Gut. Ein Knie hoch, Hände übern Kopf, Wechselsprünge. Füße schleifen über den Boden, nicht hochhopsen. Schön schnell. Und: Eins, zwo, drei…"
Kraft und Gewandtheit sind nötig, um Mixed Martial Arts zu beherrschen: Es ist eine harte Kampfsportart, die Elemente von Boxen und Kickboxen, Judo und Ringen, Karate und Kung Fu vereint. Seit 2016 kann man das auch in Rostock trainieren.
"Das war am Anfang so eine kleine Runde aus Feuerwehrleuten und Freunden der Feuerwehrleute. Ins Leben gerufen hat das der René Hoppe, der in Rostock als Ringer-Urgestein bekannt ist. Er leitet hauptsächlich das Bodentrainig, ich das Standtraining, so ist MMA Rostock entstanden."

Kitzing selbst kommt vom Boxen, und auch viele der 80 Klubmitglieder haben vorher schon die eine oder andere Kampfsportart betrieben. Wie Henry Stieler, der früher ebenfalls boxte.
"Man kann jedes Mal sich aus anderen Kampfsportbereichen Elemente aneignen, vertiefen und seine Stärken in diesen anderen Bereichen suchen, die sich aneignen und seinen eigenen Stil daraus finden. Das ist eben diese Abwechslung, die ich mag."

Vereinnahmung durch die rechte Szene

Es gilt bei Mixed Martial Arts, den Gegner mit - fast - allen Mitteln zu bezwingen. Das lässt diesen Sport besonders hart und brutal wirken. Und immer populärer werden, wie Zuschauerzahlen in den Hallen, bei Fernsehübertragungen und Klickzahlen bei YouTube zeigen.
"Der Hype um dieses Mixed Martial Arts wird ja immer größer, auch in Deutschland, gerade durch dieses UFC, Ultimate Fighting Championship, was eine größere Veranstaltungsserie aus den USA ist, die es da schon über Jahre - 20 oder 30 Jahre – gibt, und das schwappt ja hier auch rüber. Deutschland hat Super-Kämpfer, die auch bei UFC kämpfen. Trotzdem wird es öfters in den Medien hingestellt als irgendwelche Schläger von der Straße, die am Boden prügeln, bis einer blutet. Und auch noch auf einem drauf sitzen und im Liegen schlagen. Aber das ist halt dieses Mixed Martial Arts, das den Bodenkampf und den Standkampf verbindet. Das gehört halt dazu."
Die MMA-Kämpfer haben nicht nur mit dem Image der Brutalität ihres Sports zu kämpfen. Es gibt noch ein anderes Problem: Die Vereinnahmung durch die rechte Szene.
Ein Video im Internet. Die Musik ist martialisch, die Bilder passen dazu: Kämpfer mit nacktem Oberkörper voller Tattoos, schlagen, boxen und treten aufeinander ein. Auch, wenn der Gegner schon am Boden liegt. Das Video wirbt für den sogenannten "Kampf der Nibelungen", eine rechtsextreme Kampfsportveranstaltung in Ostritz.
700 Zuschauer kamen im Herbst 2018 in das sächsische Städtchen. Die Initiative "Runter von der Matte", die sich gegen eine rechte Vereinnahmung von Kampfsport zur Wehr setzt, dokumentiert auf ihrer Internetseite die Zugehörigkeit dutzender Besucher und Kämpfer zur gewaltbereiten rechtsextremen Szene. In den vorangegangenen Jahren wurde die Veranstaltung noch konspirativ organisiert - 2018 war der "Kampf der Nibelungen" erstmals eine angemeldete Veranstaltung. Mit Polizeischutz.

Aufklärung über Ideologie hinter der angesagten Jacke

Jan König vom Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg bemerkt ein neues Selbstbewusstsein der Szene.
"Das letzte Turnier im Oktober ist konkret mit einer Adresse beworben worden und tatsächlich sogar noch mit Abendkasse. Das zeigt, und das ist auch die Gefahr - den Schulterschluss in andere Spektren. Und man merkt ein neues Selbstbewusstsein der Szene, das da stattfindet. Und auch ein großer Vernetzungsfaktor."
König will mit Projekten in Schulen, Gemeinden und Vereinen aufklären. Trainer, Lehrer und die Jugendlichen selbst sollen erkennen, welche Ideologie hinter der angesagten Jacke und dem coolen Spruch steckt. Auf dem Werbevideo für die rechtsextreme Kampfsportveranstaltung in Sachsen beispielsweise taucht auch das Signet des russischen Labels "White Rex" auf - Weißer König. Inhaber ist der russische Hooligan Denis Nikitin. White Rex - der Name ist Programm.
"Dessen Labelbetreiber hat Kontakte zu rechtsextremen Kameradschaften in Rostock. Und war in den letzten zwei Jahren mindestens zwei Mal zu entsprechenden Kampfsportveranstaltungen hier gewesen. Die liefen konspirativ ab. Einmal hat man sich unter konspirativen Gründen eine Turnhalle gemietet von einer Grundschule, einmal war es ein rechtsextremer Veranstaltungsort hier in Nordwest-Mecklenburg, wo es entsprechende Kampfsporttrainings gab. Und es ist auch zu beobachten, dass Leute, die dort diese Trainings erfahren haben, jetzt selber weitergehen und anderen Neonazis diese Trainingssachen weitergeben."
Mixed Martial Arts, Kickboxen und andere harte Kampfsportarten haben zehntausende Anhänger auch in Deutschland. Nur die wenigsten von ihnen sind rechtsextrem. Viele Vereine und Klubs grenzen sich explizit von extremistischen Tendenzen ab. So heißt es zum Beispiel in den Regeln der Schweriner Kampfkunstschule "Fight & Family":
Kampfkunsttraining hat nichts damit zu tun, andere brutal zu verletzen. Es handelt davon, Konflikte friedlich zu lösen. Es hat nichts damit zu tun, andere zu kontrollieren. Es handelt von Selbstkontrolle.

Mit jedem Schlag kann man Stress abbauen

Seine Kraft und Technik verantwortlich einzusetzen, das ist bei Klubs wie dem in Rostock selbstverständlich. Beim Training im Stand wird klar - mit jedem Schlag kann man hier Luft ablassen, Stress abbauen. Hier trainieren Handwerker, Feuerwehrleute, Lehrer, Versicherungsvertreter, Studenten und Schüler. Mixed Martial Arts ist weder per se brutal, noch birgt dieser Sport eine besonders große Verletzungsgefahr - wenn man die Regeln einhält, stellt Henry Stieler klar.
"Das Problem ist natürlich: Für Laien sieht es von außen halt schnell mal wie 'ne wilde Prügelei aus. Es wird unterschätzt, wieviel Fachwissen und wieviel Technik dahinter ist. Und wer vernünftig trainiert und vernünftig vorbereitet ist, weiß, was er da tut und verletzt sich in der Regel nicht schwer."
Jan König: "Kampfsport per se und auch Mixed Martial Arts würde ich nicht grundsätzlich in ein rechtsextremes Spektrum packen, das wäre vermessen. Aber es gibt ein paar Andockpunkte, die sich Rechtsextreme nehmen. Wie zum Beispiel den Kampf umzuinterpretieren zu einem Vorbereiten auf einen Kampf für die Nation als eine Kampfgemeinschaft. So wird sich da verstanden."
Das Uminterpretieren des sportlichen in einen politischen Kampf registriert nicht nur Jan König. Auch Robert Claus findet dafür Belege. Er ist Extremismusforscher und Autor von Büchern über die Hooliganszene und über Männlichkeit im rechten Milieu.
"Wenn wir Rechtsextreme im Kampfsport angucken, dann herrscht ganz deutlich ein soldatisches Männlichkeitsideal. Verbunden immer mit einem politischen Ideal, mit der Vorstellung einer Volksgemeinschaft, die - in Anführungsstrichen - reinrassig ist, in der behinderte und Menschen, die nicht traditionell leben, also nicht heterosexuell leben, keinen Platz haben."
Über Kampfsport und die entsprechenden Labels, über Musik und Bekleidungscodes versucht die rechte Szene, vor allem bei jungen Menschen Aufmerksamkeit zu bekommen.
"Rechtsextreme mobilisieren und rekrutieren selten, indem sie hochtrabende Seminare über germanische Geschichte veranstalten. Sondern rekrutieren viel mehr über eine Erlebniswelt, die viel niedrigschwelliger daherkommt. Da geht’s um Action. Das geht’s um Zugehörigkeit, Gewalt und Männlichkeit. Eine Erlebniswelt, deren zwei, drei Standbeine die Musikszene sind, aber auch der gewalttätige Teil von Fußballfans, Hooligans, auch dort wird rekrutiert. Und mittlerweile würde ich sagen: Drittens der Kampfsport."

Radikale Salafisten rekrutieren über Sport

In dieser "rechtsextremen Erlebniswelt" war Philip Schlaffer jahrelang zuhause. Ein Kampfsport gestählter Neonazi, der in den 90er Jahren einer der größte Produzenten von legaler und illegaler Rechtsrock-Musik war und eine gewaltbereite Kameradschaft in Wismar gründete. Mehrere Jahre saß er in Haft, dort vollzog sich sein innerer Wandel. Heute arbeitet er bundesweit für den Verein "Extremislos" als Anti-Gewalt- und Deradikalisierungstrainer. Er geht in Schulen und in Gefängnisse - teilweise gemeinsam mit einem Aussteiger aus der radikalen salafistischen Szene. Denn Extremismus, egal von welcher Seite, funktioniert immer ähnlich, konstatiert Philip Schlaffer.
"Die bieten ein Gesamtkonzept an. Pierre Vogel, der salafistische Prediger aus dem Ruhrpott, der hat eine Sache gesagt und die haben die Rechtsextremen jetzt auch übernommen: Ist überhaupt kein Problem, Schule übernimmt die Jugendlichen von 8 bis 14 Uhr, 14 Uhr bis Mitternacht übernehmen wir. Das heißt: Die längere Zeit sind sie an den Jugendlichen dran. In der wichtigen Zeit. Und bei Rechtsextremen und Kampfsportvereinen, da geht es ja nicht nur darum, Kampfsport zu üben für zwei Stunden. Sondern da geht es darum, dass sie andere aus der Szene kennenlernen."
Die dann noch mehr zu bieten haben: Zelten am Wochenende, gemeinsames Grillen, Musik hören.

"Das heißt, der Sport ist der Trigger um sie zu holen in ihre Räumlichkeiten. Wenn sie dann erstmal da drin waren und sie sind ein paar Wochen da, dann werden sie auch nicht mehr aus diesen Fängen rausgelassen Und auf einmal haben sie dann nur noch dieses Umfeld und es wird schwer, den Jugendlichen da wieder rauszuholen."
Einst gehörte Philip Schlaffer selbst zu den Jugendlichen, die Schritt für Schritt in die rechte Szene drifteten. Die damals noch eine andere war als heute.
"Wo ich angefangen habe, Anfang, Mitte der 90er, da war es noch so, dass es typische Straßenschläger waren, der eine oder andere war Boxer oder Kickboxer, das kam damals auf. Aber nie sehr intensiv, weil, das hat sich mit dem Lebensstil gebissen: Alkohol, Musik. viel rumhängen in der Gruppe. Da passte es nicht so dazu, Kampfsport oder Kraftsport zu machen. Auch Kraftsport war damals noch nicht so das große Thema. Erst als ich länger in der Szene war, kam es dann so auf, dass man dann auch für das optische Bild was tun wollte. Dann gab es Bewegungen, forciert durch das Internet. Wo gesagt wurde: Ja, es geht hier nicht nur um Bier trinken, Springerstiefel und Bomberjacke anziehen. Sondern man muss auch den Körper stählen, wie es vorgegeben ist vom Nationalsozialismus. Dann gab es die ersten Bewegungen, die gesagt haben: Man muss Kraftsport machen, das Optische rausholen. So sind wir auch damals reingekommen, wir haben uns als Klub einen Kraftsportraum eingerichtet. Und dann haben einige aus der rechten Szene eigene Kampfsportschulen und eigene Kraftsportstudios eröffnet."

Übungen im Ausland an scharfen Waffen

Der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, stellt im Oktober 2018 fest:

Wir registrieren, dass es Aufrufe gibt, Kampfsportarten und Überlebenstechniken zu erlernen und gezielte körperliche Ertüchtigung zu betreiben. Es werden überregionale Kampfsportwettkämpfe organisiert. Manche Gruppen und Personen beteiligten sich im Ausland auch an Übungen an scharfen Waffen. Thüringer Rechtsextreme sind in der Kampfsportszene aktiv, haben aber derzeit keine Sportvereine unterwandert.
Eine Jugendliche beim Kampfsporttraining
© 2016, Scott Leibow, licensed via EyeEm
In Rostock ist Trainer Steven Klitzing gerade dabei, der 15-jährigen Gymnasiastin Klara Neumann zu zeigen, wie sie sich mit besonderen Griffen am Boden befreien kann - selbst wenn der Gegner über Ihr drei Gewichtsklassen mehr hat.
"Wenn sie unten liegt und ich auf ihr bin: Sie muss nur hier die Hand festhalten. Kommt jetzt hoch, greift einmal um die Hand. Dein Handgelenk greifen! Genau. Biegt meinen Arm nach oben und den Fuß in den Rücken. Und das war das - ah, okay."
Bei anderen Kampfkunstformen lernt man nur die Verteidigung im Stehen, hier auch im Liegen. Besonders die Selbstverteidigung ist ein Motiv, warum auch Frauen sich für die gemischten Kampfkünste interessieren. Extremisten dagegen haben im Rostocker MMA-Klub keinen Platz, betonen Steven Klitzing und Henry Stieler.
"Die, die Anwandlung haben, sich auf irgendwas vorzubereiten, die haben bei uns nichts zu suchen, die sollen ihren eigenen Verein gründen! Wir wollen einfach nur den Sport machen. Die haben bei uns nichts zu suchen, die sollen ihren eigenen Verein gründen! Wir haben hier über Aserbaidschan, Syrer, alles mögliche an Mitgliedern. Und das gilt einfach für alle: Politik und Religion hat beim Sport nichts zu suchen. Hier will man miteinander trainieren, miteinander arbeiten. Und der Rest gehört hier einfach nicht her."

"Immer die politische Dimension mitdenken"

Politik und Religion von der Matte fernhalten - das ist eine immerwährende Aufgabe für den Sportverein. Extremismusforscher Robert Claus ist jedoch der Meinung, dass "unpolitischer Sport" eine Fiktion sei.
"Man könnte ja sagen: Wenn die sich im Ring gegenseitig boxen, dann haben die ihre Gewalt dort und tragen die nicht nach außen. Das ist aber leider eine sehr naive Vorstellung. Es gibt Menschen, die einfach nur Kampfsport machen und ihren Raum haben. Aber bei Rechtsextremen muss man immer die politische Dimension mitdenken und darf da nicht drüber weg gucken. Es geht nicht nur um Sport im klassischen Sinn im Ring oder im Käfig, sondern es geht darum, sich fit zu machen für den politischen Umsturz oder mindestens für Angriffe auf den politischen Gegner."
Stephan Kramer, Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes, merkt im Herbst 2018 an:
Im Zusammenhang mit der Demonstration in Chemnitz am 27. August gingen von bekannten Thüringer Rechtsextremisten sowie hier bekannten rechtsextremistischen Gruppen über soziale Netzwerke gesteuerte Aufrufe zur Teilnahme aus. Die Mobilisierung erstreckte sich über das gesamte Spektrum und alle Regionen Thüringens.
"Das wird ganz offen kommuniziert in der meisten rechten Musik, dass man auf einen Tag X hinarbeitet, Umsturzphantasien. Dass der Kampf auf die Straße getragen werden muss, raus aus dem Internet, raus aus dem theoretischen Hinterzimmer. Der Kampf muss raus auf die Straße, so nach dem Prinzip Weimarer Republik, Umsturz, die SA auf der einen Seite, die roten Truppen auf der anderen."

Bei seinen Präventionsprojekten an Schulen und Behörden bekommt Philip Schlaffer, der Aussteiger, mit, dass Erwachsene viel schlechter als die Jugendlichen informiert sind über Codes, Musik und Labels der Szene. Oft begegnet er einer Sorglosigkeit oder einem Nicht-So Genau-Wissen-Wollen bei Eltern und Lehrern. Auch das vermeintlich saubere Image, das sich Rechte verstärkt zu eigen machen, verunsichert viele. Einst deutliche Grenzen verschwimmen. Statt Hakenkreuzen werden unverfänglichere Symbole verwendet, auch mit vermeintlich grünem, naturnahem und "gesundem" Image. So kaperte die rechte Szene die in den 80er Jahren populär gewordene "Straight-Edge-Bewegung", die ursprünglich aus dem Hardcore-Punk kommt.
"Das heißt: Kein Alkohol, keine Drogen, den Körper als Tempel ansehen. So ein bisschen sich lösen vom Image des rechten Schlägers und der Gewalt. Von außen guckt man ja auf die rechtsradikale Szene: Das sind die Bösen. Aber die Szene empfindet sich als: Wir sind die Guten. Und wir müssen das auch ausstrahlen. Wir müssen gesund aussehen und das Positive ausstrahlen. Und ich glaube, das wird noch intensiver werden, dass Menschen mehr auf ihr Äußerliches achten und sich aber auch schon vorbereiten auf Kämpfe, auf gewisse Trainings, das sie das auf der Straße anwenden können - wenn es eventuell mal zu solchen bürgerkriegsähnlichen Situationen kommt wie wir jetzt gerade in Frankreich sehen."

"Überall schwarze Schafe, auch im Fußball"

Der Rostocker Mixed-Martial-Arts-Trainer Steven Kitzing ärgert sich, wenn seine Sportart automatisch mit Extremismus verbunden wird. Für ihn ist das Problem umfassender.
"Man kann nicht sagen, dass jeder, der Extremist ist - ob rechts, links oder Islamist, der geht zu Mixed Martial Arts. Natürlich gibt es das im Boxen, im Kickboxen genauso. Es gibt überall schwarze Schafe, auch im Fußball wahrscheinlich. Das kann man nicht pauschalisieren, sonst müsste man ja alles verbieten. Auf Veranstaltungen liest man ja auch immer, dass es keine T-Shirts in irgendwelche radikalen Richtungen geben darf. Aber man weiß nie, wer kommt wirklich da rein. Wenn wir hier mitkriegen, wer bei uns trainiert, dass das falsch angewandt wird, der kommt hier nicht mehr zum Training und wird definitiv aus dem Klub ausgeschlossen, wenn so etwas verfolgt wird. Also, wir mussten noch niemanden rausschmeißen und keine Polizei stand vor der Tür. Bis jetzt ist alles gut."
Auch Jan König vom Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg hält nichts von der Verurteilung einer Sportart.
"Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es ist auch ein Aspekt, zum Beispiel zu schauen: Wer mietet sich hier gerade meine Sporthalle, was steht potentiell dahinter? Gleichzeitig ist es mir wichtig zu sagen, dass es sehr viele tolle Kampfsportvereine und Kampfsportler gibt, die demokratisch und pluralistisch in ihrem Verein agieren und diese Werte vorleben."
Ein Werbevideo für den Wettkampf "We love MMA". Der Veranstalter kommt aus der Popkultur und achtet streng darauf, dass Kleidung und Einlaufmusik frei von extremistischen Inhalten und Symbolen sind. Bei diesem Wettkampf machen auch die Sportler vom Rostocker MMA-Verein mit. Seriöse Veranstalter wie "We love MMA" bilden die eine Gruppe, so Extremismusforscher Robert Claus. Eine weitere vereint Veranstalter aus der rechten Hooliganszene. Und schließlich gibt es MMA-Veranstalter, die laut Claus aus dem kriminellen Milieu kommen: Sie sind zwar keine Rechten, haben aber kaum Berührungsängste zu dieser Szene. Deshalb plädiert er für Aufklärung in Vereinen, Gyms und bei Veranstaltern.

Rechtsextreme Labels in den Gyms verbieten

"Was die Gyms selber machen können und die Veranstalter, damit Rechtsextreme nicht zu ihnen kommen ist, präventiv zu handeln. Das heißt, man kann gern in seinem Gym eine Liste aushängen von rechtsextremen Kleidungsmarken, die hier verboten sind, weil sie einer neonazistischen Szene entspringen. Man kann sich sehr wohl überlegen: Wie geht man eigentlich mit Kämpfern um, die durch politische Gewalt aufgefallen sind? Dafür gibt es ja unter anderem die mobile Beratung in den einzelnen Bundesländern, die über das entsprechende Know-how verfügen."
Auch die Landessportbünde bieten Mobile Beratung an. Genau hinschauen und aufklären, das ist auch das Anliegen von Philip Schlaffer, einst Kampfsportler und Mitglied der rechten Szene. Heute ist er als Deeskalationstrainer unterwegs - und meidet Kampfsportveranstaltungen.
"Viele Kampfsportveranstaltungen sind leider auch ein Tummelplatz von Extremisten und Kriminellen. Das ist einfach so, da muss man bei einigen Veranstaltungen gucken, wer da das Publikum ist und so. Ich beobachte das von außen auf den sozialen Medien, Facebook, Instagram und so weiter. Aber das ist keine Veranstaltung, die ich noch besuchen wollen würde."
Für die Anbieter von Kampfsporttraining interessiert sich der Lübecker umso mehr - vor allem, wenn es dabei um Kinder und Jugendliche geht. Er rät Eltern, genau zu prüfen, wer das Training anbietet.
"Schleswig-Holstein war auch mal ganz weit vorne, so die Region Kiel, Neumünster, Flensburg. Da haben ehemalige Kader von C 18, also Combat 18, oder anderen Klubs, Klub 88, den es damals gab, die haben Kampfsportschulen aufgemacht. Und wenn ich das beobachte, dass wirklich Menschen ihre Kinder dorthin schicken, um sie im Kampfsport ausbilden zu lassen - einige von denen haben sich auch gelöst. Das kann ich ihnen auch nicht absprechen. Aber das Loslösen wirkt für mich manchmal nicht reell, wenn ich sehen, mit wem sie sich teilweise noch abgeben. Wenn man sein Kind schon in de Hände eines Kampfsportlehrers gibt, sollte man sich bewusst sein: Welche Werte werden dort vermittelt? Sie sollen da nicht den Kampfsport lernen, um auf der Straße aktiv zu werden, sondern es soll ja den Charakter stärken."
Noch ein Auszug aus den Regeln der Schweriner Kampfkunstschule "Fight & Family":
"Kampfkunst kultiviert inneren Frieden, Gleichgewicht und Harmonie. Die höchste Tugend sollte sein, alle Konflikte ohne eine laute Stimme oder eine erhobene Hand zu lösen."

"Konkrete Vorbereitung auf den Straßenkampf"

Und noch einmal der Verfassungsschutz, diesmal Henry Krentz vom Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz, März 2018:
"Wir beobachten einen Trend hin zu einer konkreten Vorbereitung auf den Straßenkampf. Es gibt eine zunehmende Militanzbereitschaft von Neonazi-Kampfsportlern. Einzelne Gruppen bereiten sich auf einen Tag X vor, an dem sie sich den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung erwarten und die Macht ergreifen wollen."
Philip Schlaffer: "Angst macht mir, dass die Mitte nicht kämpferisch sein darf - oder das so sieht. Die extremen Flügel, besonders im Rechtsextremismus, die sind laut. Diese wenigen Prozent sind so laut, sind lauter als alle anderen in der Mitte. Und die Mitte muss sich vielleicht auch so ein bisschen angewöhnen, auch ein bisschen kämpferisch zu sein. Damit meine ich nicht Gewalt auf der Straße, sondern dass man für die politische, demokratische, gewaltfreie Mitte auch kämpfen darf. Auch verbal, und dass man sich nicht alles gefallen lassen muss. Das macht mir so ein bisschen Sorge, dass die Leute sagen: Ach, das wird schon, das erledigt sich schon, alles halb so schlimm. Viele haben sich angewöhnt, das zu belächeln: Ach, die paar! Aber auch in der rechten Szene gibt es ganz clevere Köpfe. Menschen, die Visionen haben. Und die denken auch schon in Generationen. Und da muss man aufpassen."
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