Kampf um den Kosmos

Rezensiert von Ulrich Woelk · 27.02.2011
Können Gegenstände in Schwarzen Löchern spurlos verschwinden? Zwei neue Bücher beschreiben eine Grundsatzdebatte unter den Top-Physikern Stephen Hawking und Leonard Susskind.
Sicher ist auch Ihnen schon einmal etwas in den Abfluss gestrudelt, was dort nicht hineingehört. Meistens ist das nur ärgerlich – manchmal aber, beispielsweise wenn es sich um ein wertvolles Schmuckstück handelt, eine kleine oder auch größere Katastrophe. Dann gibt es nur eins: Der Abfluss muss abgeschraubt werden in der bangen Hoffnung, dass das verschwundene Kleinod in der Krümmung des Rohres hängen geblieben ist. Wenn nicht, dann muss man wohl alle Hoffnung aufgeben, das Verlorene je wiederzusehen.

Der Unterschied zwischen dem Universum und einer Badewanne – so glaubten die Physiker lange Zeit – ist, dass aus dem Universum nichts spurlos verschwinden kann. Der riesige uns umgebende Kosmos hat keine Abflüsse – wohin sollten diese auch führen? Ein grundsätzliches Anderswo als das Universum gibt es ja nicht – oder doch?

1967 prägte der Physiker John Wheeler den Begriff "Schwarzes Loch" für eine Klasse von Objekten im Universum, die die Eigenschaft haben, dass zwar etwas in sie hineinfallen kann, nichts aber jemals mehr heraus kommt – nicht einmal Licht. Lange Zeit hielt man diese Objekte für rein theoretische Gebilde, aber inzwischen gehören sie mehr oder weniger zum astronomischen Alltag. Im Zentrum von Galaxien zum Beispiel bilden sie riesige Gravitationsfallen für die Materie in ihrer Umgebung. Allerdings passt der Gedanke des spurlosen Verschwindens von etwas immer noch nicht so recht ins deterministische Konzept der Physik. Und daher führte das Problem schließlich zu einer physikalischen Grundsatzdebatte auf allerhöchster Ebene, die von manchen der Kombattanten gar als "Krieg" bezeichnet worden ist.

Ausgelöst hatte die Debatte Stephen Hawking mit der Frage, was beispielsweise mit einem Buch geschieht, das in ein Schwarzes Loch fällt. Angenommen es gäbe nur noch eine einzige Ausgabe der Werke Shakespeares auf der Welt und diese würde von einem Schwarzen Loch verschluckt. Wären Shakespeares Werke dann für immer aus dem Universum gelöscht?

Hawking war der Meinung, dass genau das der Fall war. Für ihn waren Schwarze Löcher Entropiemaschinen, die wie ein Feuer wertvolle Information in nichtssagende Wärme verwandeln konnten. Doch Leonard Susskind, Professor für Theoretische Physik an der Stanford University in Kalifornien, sah darin einen Widerspruch zum physikalischen Grundprinzip von der Erhaltung der Information auf Quantenebene. Seiner Meinung nach musste das Schwarze Loch die Information in irgendeiner Weise speichern.

In seinem Buch "Der Krieg um das Schwarze Loch – wie ich mit Stephen Hawking um die Rettung der Quantenmechanik rang" schreibt Susskind über diesen zunächst sehr abstrakten Gedankenstreit:

Theoretische Physiker bemühen sich, in einem unbekannten Land Fuß zu fassen. Wie schon in der Vergangenheit haben Gedankenexperimente Widersprüche und Konflikte zwischen fundamentalen Prinzipien zu Tage gefördert.

Das Thema ist in der Tat schwierig und fundamental, aber Susskind reichert sein kosmologisches Schlachtengemälde mit vielen Scharmützel-Anekdoten und farbigen Schilderungen von Nebenkriegsschauplätzen an. Selten hat ein Autor so lebendig über den Fortgang einer physikalischen Debatte geschrieben wie Leonard Susskind.

An diesem Punkt muss ich einer verbreiteten Ansicht widersprechen. Physiker, besonders theoretische Physiker gelten vielfach als bornierte Sonderlinge mit fremdartigen, abseitigen und langweiligen Neigungen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Gleiches gilt für sein Buch. Über die Natur von Schwarzen Löchern nachzudenken, mag an unseren alltäglichen Problemstellungen gemessen ein wenig fremdartig sein – langweilig ist es bei Susskind aber auf gar keinen Fall. Vor allem über Stephen Hawking, den so tragisch erkrankten Superstar der Branche erfährt man vieles, was einem dieses Genie näher bringt – und das auch, weil Hawking die Debatte am Ende verloren hat. Es erging ihm so wie Albert Einstein, der zeitlebens mit der Quantenmechanik haderte.

Der entscheidende Punkt, den es bei all dem zu verstehen gilt, ist der, dass es im Grunde gar nicht möglich ist, dass etwas vollständig in ein Schwarzes Loch fällt, beziehungsweise den sogenannten Ereignishorizont überschreitet, der jedes Schwarze Loch umgibt. Je näher man diesem nämlich kommt, umso stärker wird das Gravitationsfeld. Gravitation hat aber die Eigenschaft, den Zeitfluss zu dehnen. Eine Uhr in einem Gravitationsfeld geht langsamer als eine in einer feldfreien Umgebung.

Am Ereignishorizont wird das Gravitationsfeld eines Schwarzen Lochs schließlich so stark, dass alle Uhren dort stehen bleiben. Auf der Oberfläche eines Schwarzen Lochs endet die Zeit – und folglich kommt dort jede Bewegung zwangsläufig zum Erliegen. Ohne Zeit keine Veränderung, keine Zerstörung: Shakespeares Gesamtausgabe bleibt uns als Information in jedem Fall erhalten, auch wenn es praktisch unmöglich ist, sie zurückzuholen.

Sich geirrt zu haben, hat Stephen Hawkings Popularität keinen Abbruch getan, und seine populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen erzielen nach wie vor hohe Auflagen. In "Der große Entwurf" gibt er zusammen mit dem amerikanischen Physiker Leonard Mlodinow eine sehr pointierte zusammenfassende Darstellung des Status Quo der aktuellen Physik. Mit vielen Bildern und Computergrafiken illustrieren Hawking und Mlodinow, was sich hinter so abstrakten Konzepten wie Pfadintegralen oder Multiversen verbirgt, wie Materie und Energie Raum und Zeit verzerren können, oder was Astronomen unter der Goldilocks-Zone verstehen.

Am Ende zeigen Hawking und Mlodinow, wie bereits in einem System mit sehr einfachen Gesetzen komplexe Strukturen entstehen können und kommen damit zum Begriff des Lebens. Rein physikalisch betrachtet ist Leben eine bestimmte Erscheinungsform der Materie und müsste als solche auch materiellen Gesetzen gehorchen. Dies entspricht aber nicht unserer Vorstellung und auch nicht unserer Erfahrung von Leben. Denn wenn alles nach bestimmten Regeln und Naturgesetzen abläuft, wie kann es dann Freiheit geben?

An dieser Frage scheiden sich die Geister ... Wie können wir entscheiden, ob ein Wesen freien Willen besitzt? Wie können wir entscheiden, ob wir es mit einem Roboter oder mit einem intelligenten Geschöpf zu tun haben, wenn wir einem Außerirdischen begegneten?

Und die Antwort ist: Wir können es nicht. Lebewesen bestehen aus Aberbillionen von Elementarteilchen, und es ist unmöglich vorauszuberechnen, wie diese sich in der Summe verhalten. Die Rechnung ist zu kompliziert und undurchführbar. Ob einer bestimmten Handlung also Freiheit und Intelligenz zugrunde liegen oder nur materielle Mechanik werden wir niemals entscheiden können – nicht gegenüber Außerirdischen und auch nicht gegenüber uns selbst.

Wir wissen ja nicht einmal, ob wir überhaupt jemals eine letztgültige Theorie des Materiellen finden werden. Zurzeit glauben viele Physiker, dass in supersymmetrischen Stringtheorien die Lösung des großen Welträtsels liegen könnte, aber wirklich sicher sind sie sich dessen noch nicht. Und so müssen auch Hawking und Mlodinow ihr Buch über den großen Entwurf mit einem Wenn-Satz abschließen:

Wenn die Stringtheorie durch Beobachtung bestätigt wird, ist sie der erfolgreiche Abschluss einer Suche, die vor mehr als 3000 Jahren begonnen hat.

Und wenn nicht? Dann lesen wir weiter Shakespeare.


Leonard Susskind: Der Krieg um das Schwarze Loch – Wie ich mit Stephen Hawking um die Rettung der Quantenmechanik rang
Suhrkamp-Verlag

Stephen Hawking und Leonard Mlodinow: Der große Entwurf – Eine neue Erklärung des Universums
Rowohlt-Verlag
Buchcover: "Der Krieg um das Schwarze Loch" von Leonard Susskind
Buchcover: "Der Krieg um das Schwarze Loch" von Leonard Susskind© Suhrkamp
Buchcover: "Der große Entwurf" von Stephen Hawking
Buchcover: "Der große Entwurf" von Stephen Hawking© Rowohlt