Eine Produktion von Deutschlandfunk/Deutschlandfunk Kultur 2020, das Skript zur Sendung finden Sie hier.
Kampf um Chancengleichheit in den USA
Der US-Bürgerrechtler Martin Luther King Jr, hielt 1963 seine berühmte Rede "I have a dream". Heute tragen wieder Menschenmassen ihren Protest gegen Rassismus auf die Straße. © National Archives via CNP / dpa
Rassistische Gewalt, Widerstand und Hoffnung
156:00 Minuten
Die Geschichte des Rassismus und der Bürgerrechtsbewegung in den USA ist eine offene Wunde. Der Kampf für Gleichberechtigung dauert bereits lange - doch aktuelle Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze zeigen, dass kein Ende absehbar ist. (Erstsendung 5.9.2020)
Der Rassismus ist nach wie vor die Achilles-Ferse der USA. Das Rechtssystem behandelt bis heute die Reichen und Schuldigen besser als die Armen und Unschuldigen. Insbesondere die Situation der Schwarzen Bevölkerung in den Slums ist geprägt von Gewalt, dem fehlenden Zugang zu Bildung, zu Arbeitsplätzen und Wohnraum.
Montgomery war 1860 die Hauptstadt des Sklavenhandels. Dort befindet sich heute das "Legacy" Museum in dem Gebäude, in dem Schwarze Menschen auf ihre Käufer warteten. Montgomery ist ein Symbol für die Freiheitskämpfe in der ganzen Welt. Hier ist die Geschichte von Rassismus, Tod, Verfolgung und Unrecht dokumentiert. Vom Kampf für die Bürgerrechte der Afro-Amerikaner in einer von Weißen beherrschten Gesellschaft, welche teuer erkämpfte Rechte bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts erfolgreich unterdrückt.
Birmingham ist das industrielle Zentrum Alabamas und die größte Stadt dieses Bundesstaates. Rund 70 Prozent der Bürger sind heute Afro-Amerikaner. Das war nicht immer so. Birmingham war ein "Hotspot" der Diskriminierung und des Kampfes um die Gleichheit vor dem Gesetz, um die Civil Rights, die Bürgerrechte. Rassendiskriminierung gab es überall in den USA. Aber in Birmingham war sie sogar gesetzlich besiegelt. Schwarze und Weiße durften nicht miteinander spielen, nicht zusammen essen.
Rassismus und Protestbewegung in den 60er-Jahren
Die Situation in den 60er-Jahren in Alabama ist angespannt. Verschiedene Gruppierungen protestieren gegen die Rassentrennung. 1961 werden sie vom Ku-Klux-Klan angegriffen. Die Polizei unternimmt nichts dagegen und selbst Kinder gehören zu den Opfern dieser Angriffe. Ab 1961 kommt es in Birmingham zur Eskalation. Trotz seiner gewaltfreien Methode scheut auch Martin Luther King nicht vor der Konfrontation und Gewalt zurück.
Im April 1963 ist es soweit. Die von King geführte Southern Christian Leadership Conference und die lokale "Alabama Christian Movement for Human Rights nutzen die österliche Einkaufszeit für gewaltfreie Demonstrationen. Karfreitag eskaliert die Situation. King wird festgenommen und kommt in Isolationshaft. Ein Anwalt wird ihm verweigert und er darf nicht telefonieren.
Acht weiße Geistliche fordern ihn in einem Brief auf, Birmingham zu verlassen. King weigert sich und kontert "wenn die Gerechtigkeit an einem Ort bedroht wird, dann ist sie überall bedroht." Am 28. August 1963 fordern 250.000 Menschen beim "Marsch auf Washington" Chancengleichheit, Arbeit und Freiheit und Martin Luther King hält dort seine berühmteste Rede.
Die strukturelle Ungleichheit der 60er-Jahre entstand durch die Verbindung zwischen den Ordnungskräften und jenen Weißen, die die gesetzlichen Vorgaben aus Washington ablehnten. Das Wahlrecht blieb bis Mitte der 60er-Jahre eingeschränkt bis Präsident Johnsons "Voting Act" von 1965 in der Wahlkabine gleiche Verhältnisse herstellte. Andere Forderungen jedoch blieben unerhört, wie zum Beispiel das Recht auf gleiche Wohnverhältnisse, auf gute Schulen, sauberes Wasser und Lebensmittel. Die Sklaverei wurde 1865 zwar formal abgeschafft, aber es gibt in den USA bis heute keine Chancengleichheit.
Rassistische Tendenzen in den Nordstaaten
Für den Anwalt und Gründer der "Equal Justice Initiative", Bryan Stevenson, sind Angst und Wut der weißen Mehrheitsgesellschaft die maßgeblichen Voraussetzungen für Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Es gibt immer noch das Vorurteil, dass Schwarze gefährlich seien. Unschuldige werden beschuldigt und verurteilt. Kinder kommen in Gefängnisse für Erwachsene. In 13 Staaten gibt es kein Jugendstrafrecht. Das führt dazu, dass Stevenson zehnjährige Kinder vertritt, denen 50 Jahre Haft in einem Gefängnis für Erwachsene drohen. Er vertritt Jugendliche, die bereits in Gefängnissen sitzen, in denen sie misshandelt, verprügelt und vergewaltigt werden.
Ungerechtigkeit und brutale Gewalt sind die Gründe, die viele Afroamerikaner veranlassten, in den Norden zu ziehen, um bessere Jobs und mehr Schutz für ihre Familie zu bekommen. Aber wohin sie auch kamen, der Rassismus war schon da. Er war im Norden subtiler und weniger gewalttätig, aber dennoch wirksam. Seit 1965 kam es immer wieder zu aggressiven Unruhen in amerikanischen Großstädten und die sozialen Verhältnisse schienen wie einzementiert.
In Washington leiteten diese Ereignisse irgendwann einen Denkprozess ein und nach langen und kontroversen Debatten unterzeichnete Präsident Johnson am 2. Juli 1964 den Civil Rights Act. Ausgrenzende Mathematik- und Rechtsschreibetests für Schwarze vor dem Eintrag in das Wahlregister gehörten zum Ablauf der Wahlen. Sie wurden verboten. Die Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen wie Restaurants, Kinos, Hotels, Verkehrsmitteln oder Sportanlagen war nun illegal.
Soweit die neue Lage. Bis zur praktischen Umsetzung des Civil Rights Acts allerdings lag für alle Beteiligten noch ein langer Weg, der bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Das zeigt nicht zuletzt der gewaltsame Tod von George Floyd am 25. Mai in Minneapolis, hoch im Norden der USA – ein Tod verursacht durch Polizeigewalt.
In den Nordstaaten gibt es zwar viele Programme und Initiativen gegen Rassismus, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass Rassismus immer noch zur Realität in den nordamerikanischen Städten gehört. Den Betroffenen bleibt oft nur noch der Weg des Protests: Der Aufstand ist die Sprache der Unerhörten. Doch was hat Amerika nicht gehört? Es hat nicht gehört, dass die Versprechen von Freiheit und Gerechtigkeit nicht eingelöst wurden. Und es ignoriert dieses Thema, weil die breite Masse der weißen Gesellschaft sich mehr um Ruhe und ihren Status Quo sorgt als um Gerechtigkeit und Menschlichkeit.
Lynchmorde gibt es noch heute. Jedoch erst seit dem Tod von George Floyd in Minneapolis wehren sich die Bürger wieder. Demonstrationen in hunderten von Städten in den USA, begleitet von weltweiten Protesten, fordern ein Ende der Gewalt gegen Schwarze Menschen. Inzwischen solidarisieren sich in den Vereinigten Staaten große Teile der Bevölkerung, auch der Polizei und des Militärs, mit den Demonstranten.
Rassismus im Jahr 2020
Vor dem Civil Rights Institute steht eine Kastanie, die an Anne Frank erinnern soll, sie verkündet die Botschaft, dass Hass universell ist. Er existiert in Birmingham und in den von den Nazis besetzten Niederlanden. Es geht nicht nur um Schwarz oder Weiß. Es geht darum, was Menschen einander antun können und zwar überall auf der Welt. Diese Geschichte kann man in Birmingham erzählen, in Ruanda, in Bosnien und in Kambodscha.
Die Wissenschaftlerin Jill Lepore betrachtet die Ereignisse der vergangenen Monate in ihrem historischen Kontext. Sie sieht die Diskrepanz zwischen dem politischen Ideal von Gleichheit und Volkssouveränität und einer faktischen Ordnung, die durch eine Rassenhierarchie geprägt ist.
Die Tumulte hält sie für die Ausgeburt eines unterschwelligen und ungelösten Konflikts in der amerikanischen Geschichte: Rassisten verbreiteten heute noch ihre Propaganda und ließen ihrem Rassismus freien Lauf. Nachdem die Rassentrennung auf dem Papier aufgehoben wurde, hätten sich viele Menschen ehrlich engagiert. In den 70er- und 80er-Jahren hätte man einiges geschafft, aber dann sei nichts mehr unternommen worden. Was heute passiert, sei ein Weckruf. Die Amerikaner müssten aufpassen, dass die Geister des Rassismus nicht wieder geweckt würden. Sie müssten zusammenhalten und gegen die jüngsten rassistischen Tendenzen vorgehen.
Elaine Lee Turner ist 75 Jahre alt. Sie hat demonstriert und war für ihre Überzeugung im Gefängnis. Sie sieht den Fortschritt, der mit der Bürgerrechtsbewegung begann, als rückläufig. Die Schwarzen haben Zugang zu öffentlichen Einrichtungen errungen, die Tore zu den Bildungseinrichtungen wurden für sie geöffnet. Faktisch gibt es ein faires Wohnungswesen und Gesetze.
Was jetzt nur noch fehlt ist die ökonomische Gerechtigkeit. Als Präsident Obama gewählt wurde, glaubte Elaine an eine Veränderung zum Guten. Aus ihrer Sicht haben die Bürgerrechte in der Regierung keine Stimme mehr. Nach dem Erfolg der Bürgerrechtsbewegung haben die kommenden Präsidenten zumindest über die Rechte aller Menschen gesprochen. Der jetzt amtierende Präsident, den sie nicht beim Namen nennen mag, mache Vieles rückgängig. Er werde dabei von den konservativen Kirchen unterstützt.
Die Corona Pandemie verstärkt die verzweifelte Lage vieler Afro-Amerikaner in den USA. Der Fotograf Ken Schles ist an vielen verschiedenen Orten unterwegs, sieht viel und zieht seine Schlüsse: "In zu kleinen Wohnungen kann man sich nicht sozial distanzieren, die Arztkosten treiben viele in den Bankrott, viele afro-amerikanische Gemeinden sind nah an industriell verseuchten Gebieten. Die Menschen leiden an Diabetes, Krebs, Herzerkrankungen, sie leben in Überschwemmungsgebieten" und unter erschwerten Bedingungen. Dadurch sind sie gesundheitlich stärker gefährdet.
Gleichzeitig steht Amerika für Integration, was in dem Satz "Alle Menschen sind gleich geschaffen" in der Unabhängigkeitserklärung festgelegt ist. Dazu gehört auch das Versprechen, dass in einer unteilbaren Nation jedem Amerikaner Freiheit und Recht garantiert werden.