Ein Oratorium zu "I Can't Breathe"
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Durch George Floyds Tod hat Joel Thompsons Musik nochmal große Aufmerksamkeit erhalten. „The Seven Last Words Of The Unarmed“ wurde 2014 nach einem ähnlichen Todesfall komponiert. Das eher klassische Werk gibt sieben Schwarzen Getöteten eine Stimme.
"Es war eine emotionale Reaktion auf die Grand Jury in Staten Island in New York, die entschied, den Polizisten, der Eric Garner getötet hat, nicht zu verurteilen", sagt Joel Thompson über sein Stück "The Seven Last Words Of The Unarmed" (Die sieben letzten Worte der Unbewaffneten). Es ist eine Reaktion auf dieses Ereignis von 2014.
Der Afroamerikanier Eric Garner wurde damals während seiner Festnahme getötet. Thompson war zu der Zeit 25 Jahre alt.
"Mir, einem Schwarzen Mann in den USA, machte das damals klar, dass mein Leben nichts wert war." Das habe nicht nur ihn betroffen, sondern auch die Mitglieder meiner Familie. "Sie sollten Gerechtigkeit erwarten können." Das Stück sei "eine persönliche Antwort auf die Geschehnisse, die ich in nur zweieinhalb Wochen zu Papier brachte und dann erstmal weglegte".
Die Inspiration für das chorale Werk "The Seven Last Words Of The Unarmed" kam von der Piktogramm-Serie "#Last Words" auf Twitter. Die iranisch-amerikanische Künstlerin Shirin Barghi hatte sie veröffentlicht. Bei ihr und bei Thompson geht es um Schwarze Männer, die durch Gewalt und Polizeiwillkür ums Leben kamen. Als Vorlage diente Thompson die christliche Liturgie der sieben letzten Worte Jesu, die auch Joseph Haydn vertont hat.
Eine schockierende Parallele
"Die dritte Szene in dieser Liturgie zum Beispiel adressiert Maria: ‚Mutter, siehe, Dein Sohn. - Siehe, Deine Mutter.‘ Für diese Verbindung mit der Mutter habe ich die letzten Worte von Amadou Diallo gewählt: ‚Mom, I’m going to college.‘"
In der letzten Szene aus der Liturgie heiße es: "Vater, in Deine Hände lege ich meinen Geist", so Thompson. "Dafür habe ich Eric Garners letzte Worte ‚I can‘t breathe‘ genommen, weil es eine Verbindung von Atem und Geist gibt."
"I can’t breathe" waren nicht nur die letzten Worte von George Floyd, sondern bereits vor sechs Jahren die letzten Worte von Eric Garner. Eine geradezu schockierende Parallele.
Ursprünglich hatte Thompson nicht an eine Veröffentlichung seiner Musik gedacht. Sie sei vielmehr eine Art Tagebuch gewesen, um mit seinen eigenen Emotionen umzugehen.
Doch 2015 wurde "The Seven Last Words Of The Unarmed" an der Universität von Michigan uraufgeführt. Es ist das Erstlingswerk eines jungen Mannes, der heute im Alter von 31 Jahren an der Yale School of Music an der Ostküste der USA Komposition studiert.
Der Fall George Floyd hat dem Werk neue Aufmerksamkeit gebracht. Das Video der Choraufnahme ist vielfach in den sozialen Medien geteilt worden. Thompson hat eine seltsame Mischung aus Oratorium und Musiktheater für Chor mit orchestraler Begleitung geschaffen – wie eine Kreuzung aus mittelalterlichen Kirchengesängen und Westside Story. Wobei die Chorpassagen die wirklich starken Momente sind. "The Seven Last Words Of The Unarmed" besteht aus sieben Sätzen.
Der erwartete Ausbruch fehlt
Zum Beispiel der fünfte Satz: Oscar Grant the 3rd "You Shot, you shot me!": "Ich habe im Netz die Handy-Videos von seinem Tod angesehen", sagt Joel Thompson. "Er trug Handschellen an den Händen. Ein Polizist saß auf seinem Rücken. Oscar dachte, dass es eine Elektroschockpistole sei, aber der Polizist schoss. Schock und Überraschung lagen in seiner Stimme, als er sagte: ‚Er hat zweimal auf mich geschossen.‘" Da habe er keine Musik gehört, die das hätte wiedergeben können, so Thompson. "Stattdessen schlagen sich die Mitglieder des Chores in meinem Stück gegen die Brust, um den Aufprall der Pistolenkugel zu repräsentieren."
Zwischen Chaos und gespannter Ruhe bewegt sich das Stück. Es ist kein Zufall, dass Joel Thompson die menschliche Stimme in den Vordergrund stellt. Auf diese Weise gibt er den Männern, die starben, eine Stimme. Auffällig dabei ist: Der Ausbruch in der Musik, den man erwartet hätte, kommt nicht. Aber wie soll ein Ausbruch auch stattfinden, wenn die Luft zum Atmen fehlt?
"Pessimistischer Idealist" will nicht aufgeben
"I can‘t breathe" ist vielleicht der Leitsatz, der das Schicksal der Schwarzen Bevölkerung bestimmt. Das würde die elegische Grundhaltung des Stücks erklären. Anders als in der christlichen Liturgie steht am Ende keine Erlösung. Stattdessen strahlt die Musik große Resignation aus. Trotzdem will Thompson nicht aufgeben.
"Hoffnung ist der Ursprung meiner Kreativität. Aber die Welt steht in Flammen." Sogar die Pandemie habe überproportional mehr People of Colour betroffen als weiße Amerikaner. "Es gibt viel Grund für Resignation. Aber als Künstler muss ich weiterhin an der Hoffnung festhalten."