Kampf gegen Islamisten

Rezensiert von Florian Felix Weyh |
Wilhelm Dietl zeigt in „Schattenarmeen“, dass sich nicht nur westliche Staaten den Kampf gegen Islamisten auf die Fahnen geschrieben haben. Der Autor macht in seinem Buch auch Unterschiede der Geheimdienste im Nahen und Mittleren Osten deutlich – wie in Ägypten, Libyen, Syrien, Saudi-Arabien, im Iran und im Irak.
„Sie morden und foltern, verbreiten Angst und Schrecken. Intellektuellen begegnen sie von Anfang an mit Misstrauen und Ablehnung. Schriftsteller, Journalisten und Oppositionspolitiker stehen für sie auf der Liste potenzieller Feinde ganz oben. Im Vergleich zu den geheimen Diensten der islamischen Welt war die Staatssicherheit im früheren Ostblock ein menschenfreundliches Gebilde. An Brutalität sind die Dienste im Nahen und Mittleren Osten durch nichts zu überbieten.“ (S. 10)

Dietl: „Ich hab natürlich sämtliche Zeitungsartikel gelesen über die einzelnen Fälle, und interessanterweise berichten alle Medien immer sehr oberflächlich darüber. Die sagen: Ja, da gab's einen iranischen Oppositionellen, und der wurde ermordet aufgefunden. Punkt. Die Täter sind flüchtig, Genaues weiß man nicht. Keiner beschreibt, was wirklich passiert ist, dass zum Beispiel da drei Täter waren, die mit Küchenmessern kamen und den richtig wie ein Metzger in Einzelteile zerschnitten haben, diese ungeheure Brutalität, dieser Hass, diese Gewalt, die sich da ausübt! Und deswegen ist das natürlich ein erschreckendes Dokument.“

Keine Sorge, Wilhelm Dietl ist kein gewaltverliebter Autor, der blutverschmierte Leichen zum grausigen Nervenkitzel der Leser auftürmt. Der Geheimdienstexperte bevorzugt die journalistisch lesbare Form, die Täter und Opfer, Tatorte und Motive zu einem großen Schaubild montiert, um daraus ein unschönes, aber wahrhaftiges Bild der Welt zu gewinnen. Sprachliche Genauigkeit zählt dabei zu seinen Erkenntnisinstrumenten: Nicht „islamische Geheimdienste“ treiben ihr blutiges Unwesen, sondern die in der „islamischen Welt“:

Dietl: „Also der iranische Geheimdienst ist ein islamischer Geheimdienst. Aber zum Beispiel der syrische ist ein absolut säkularer, ein nationalistischer Geheimdienst.“

... und das ist durchaus ein Unterschied, der in Dietls Buch über die „Schattenarmeen“ Ägyptens, Libyens, Syriens, Saudi-Arabiens, des Iran und des Irak deutlich wird. Den Kampf gegen Islamisten haben sich nicht nur westliche Staaten auf die Fahnen geschrieben. Die berüchtigte „Moslembruderschaft“ etwa wurde in Syrien schon vor 30 Jahren von den Staatsorganen niedergemetzelt, und der erste Haftbefehl gegen Osama bin Laden stammt aus dem keineswegs westlich orientierten Libyen Ghaddafis. Wer den Geheimdiensten des arabischen Raums eine einheitliche Stoßrichtung zuschreibt, irrt daher:

Dietl: „Es geht kunterbunt durcheinander, aber wiederum eine andere Gemeinsamkeit: Sie tun alles, um ihr Regime zu schützen und zu stabilisieren, das ist ihre wichtigste Aufgabe.“

... sagt Wilhelm Dietl und beschreibt in seinem Buch eine Fülle von Bündnissen in jede Richtung, die durchaus widersprüchlich erscheinen. Derselbe Ghaddafi, der religiös motivierte Terroristen verfolgen ließ, gab beim Lockerbie-Anschlag 1988 ungerührt einen Auftrag des iranischen Mullah-Regimes an seine Killerkommandos weiter:

„Ich bin von Anfang an der Überzeugung gewesen, und ich versuch das auch in dem Buch darzustellen, dass es ein Joint-Venture war, dass es die Rache war für den Abschuss eines iranischen Airbus über dem Persischen Golf durch die US-Marine. Dass die Iraner als Vergeltung ein amerikanisches Flugzeug – und wichtig war auch, dass das Wort „American“ drin war, „Pan American“ –, dass sie das zerstört haben. Die Libyer mögen einen kleinen Anteil gehabt haben, aber es ging mit Sicherheit nicht von ihnen aus.“

„Joint-Venture“ ist ein gleichermaßen befremdlicher wie passender Begriff für das, was sich zwischen Geheimdiensten der Welt immer mal wieder ereignet: Zusammenarbeit auf Grundlage nihilistischer Zweckerfüllung, und der Westen lässt sich solche Optionen keineswegs entgehen. Gerade ihre menschenverachtenden Folterpraktiken machen arabische Dienste attraktiv für „wet jobs“, Dreckarbeiten, die sich die USA aus guten Gründen versagen:

„Ein neues Unwort hat sich seinen festen Platz im Wortschatz der Politiker, Sicherheitsexperten und Medienvertreter gesichert. Es kommt aus den USA und heißt »Extraordinary rendition« oder auch »Irregular rendition«. Beides umschreibt juristisch die Festnahme und den illegalen Transfer einer Person über Staatsgrenzen hinweg – eine Entführung. In unmittelbarem Zusammenhang damit steht der Terminus »Torture by proxy«, also »Folter in Vertretung«. Beides zählt zu den neuen Spezialitäten der CIA. Mit dem Regierungswechsel zu Barack Obama hat man sie keineswegs aufgegeben.“ (S. 211)

... und findet zum Beispiel in Jordanien willige Folterknechte:

„Die eher weltoffen und freundlich wirkenden Hashemiten haben die meiste und intensivste Erfahrung mit dem Quälen von hilflosen Gefangenen. Sie verfügen über so viel Expertise, dass sie derzeit als erste Adresse gelten.“ (S. 213)

Was man bei Wilhelm Dietl zu lesen bekommt, flößt schon nach wenigen Seiten Angst ein – Angst vor einem Abgrund an Barbarei, nur wenige Flugstunden von uns entfernt und manchmal sogar in unserem Namen praktiziert. Doch selbst diese Distanz ist eine Täuschung. Staatsterroristische „Hit-Teams“, Mordkommandos, operieren seit Jahrzehnten auch in Europa, begehen Attentate oder ermorden oppositionelle Landsleute.

Traurige Berühmtheit erlangte das Massaker an kurdischen Oppositionellen im Berliner Restaurant Mykonos 1992, weil in einem Aufsehen erregenden Prozess fünf Jahre später mutige deutsche Richter die wahren Schuldigen benannten: Minister in der iranischen Regierung.

Dietl: „Also es gibt diverse Fälle, wo die Justiz stärker war als die Politik! Die Politik neigt dazu, zum Beispiel Geiseln auszutauschen. Nehmen wir mal den Iran. Der Iran hat die Eigenheit, dass er Ausländer einsammelt und die irgendeiner unbedeutenden Sache beschuldigt und dann will man dafür im Gegenzug den Täter eines großen Anschlags auf den ehemaligen Ministerpräsidenten in Paris haben.

Das sind die iranischen Forderungen, und irgendwann setzen die sich durch! Die behalten dann ihre Geiseln so lange, bis sie eine Tauschmöglichkeit sehen, und dann machen sie Menschentausch. Unschuldige gegen Mörder.“

Die europäische Politik, stets auf diplomatischen Ausgleich und keinesfalls auf rechtsstaatliches Überengagement bedacht, wenn es um Geheimdienstmörder geht, gibt in Wilhelm Dietls Buch eine beschämend schwache Figur ab. Lieber duckt man sich weg, schiebt verdächtige Staatskriminelle ab oder tauscht sie gegen erpresserisch festgenommene Geiseln aus. Da sich Appeasement gegenüber Mörderregimen jedoch noch nie ausgezahlt hat, erhebt der Autor zum Schluss eine ebenso naheliegende wie bei Außenpolitikern unpopuläre Forderung:

„Der Minimalkonsens würde aus dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen und der Handelskontakte bestehen. Das hat es bisher nur in einigen seltenen Ausnahmefällen gegeben. Würde es als Regel festgeschrieben, dann wäre der Freiraum für die Geheimdienste des Nahen und Mittleren Ostens bei ihren Operationen in Europa und den USA spürbar begrenzt. Wo immer sie zuschlagen wollen, sie würden es sich vorher zweimal überlegen.“ (S. 296)

Wilhelm Dietl: Schattenarmeen. Die Geheimdienste der islamischen Welt
Residenz Verlag, Salzburg, 2010
Cover: "Wilhelm Dietl: Schattenarmeen"
Cover: „Wilhelm Dietl: Schattenarmeen“© Residenz Verlag