Antisemitismus in Bayern

Theater gegen Hass

09:17 Minuten
Gruppenfoto des Theaterprojekts "ReMember" in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.
Erfolg des Theaterprojekts ReMember: Ein Teilnehmer denkt nun zum Beispiel nicht mehr schlecht von sogenannten Ungläubigen, also Nicht-Muslimen. © KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Thomas Dashuber
Von Joseph Röhmel · 27.05.2022
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Knapp 450 antisemitische Vorfälle wurden 2021 in Bayern dokumentiert, 80 Prozent mehr als 2020. Ein Theaterprojekt mit Berufsschülern, darunter Geflüchtete, hält dagegen und thematisiert etwa Antisemitismus oder Homophobie – mit klarer Wirkung.
Es ist Nakba-Tag in der Münchner Innenstadt. Demonstrantinnen und Demonstranten ziehen durch die Straßen und schwenken palästinensische Flaggen: schwarz, weiß, grün – mit einem roten Dreieck. Das Wort „Nakba“ kommt aus dem Arabischen und bedeutet Katastrophe beziehungsweise Unglück.
Die Demonstranten gedenken der Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser nach der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948. In Berlin wurde die Demonstration verboten. Die Gefahr von Gewaltausbrüchen und Volksverhetzung sei zu groß, entschied das Oberverwaltungsgericht.
In München dagegen verläuft der Protest friedlich. Und doch scheint es zu brodeln. So sagt etwa einer der Redner: „Wir sind hier, um euch zu beschützen. Falls euch etwas komisch vorkommen sollte, macht Fotos und Videos zur Dokumentation. Sprecht am besten auch nicht mit Pressevertretern, die versuchen, euch mit gezielten Fragen zu provozieren.“
Laut Münchner Polizei nehmen 270 Menschen an der Demonstration teil. Später wird uns der Bayerische Verfassungsschutz auf unsere Anfrage antworten, dass Teile der Demonstranten aus dem linksextremen Spektrum kommen – und von der sogenannten BDS-Bewegung, jener transnationalen Bewegung, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch boykottieren will.

Vielfältige Gründe für Anstieg von Vorfällen

Auf der Demonstration war etwa der Ruf zu hören: „From the river to the sea, Palestine will be free.“ Annette Seidel-Arpaci vom Rias Bayern sagt dazu: „Diese Parole – vom Jordan bis zum Mittelmeer, Palästina wird frei sein – zielt ganz klar auf die Abschaffung des jüdischen Staats Israel ab.“
Rias heißt im Freistaat die Fach- und Informationsstelle Antisemitismus mit insgesamt fünf festen Mitarbeitenden. Auch Rias hat die Nakba-Demonstration beobachtet, war vor Ort. Dort wurden auch Plakate in die Höhe gehalten mit Parolen wie „Panzer nach Palästina“. Da sei „ein versuchter Bezug auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine“, so Annette Seidel-Arpaci. Was genau das heißen soll – ob es um einen Krieg gegen Israel geht –, bleibt aber unklar.
Auch deshalb gibt es die Fachstelle Rias, um rechtzeitig aggressive Gedanken zu erkennen. Zum einen sei Rias „eine Anlaufstelle für alle, die Antisemitismus erfahren müssen“ – und dokumentiere das. Zum anderen vermittelten sie auch Beratung im Bereich Antidiskriminierungs- und Opferberatung.
Vor allem über ein Online-Portal erfährt Rias von den Vorfällen, wenn zum Beispiel ein Jude in einer U-Bahn beschimpft wird. Rias wird getragen von einem gemeinnützigen Verein. Die nicht-staatliche Stelle gibt es seit mehr als drei Jahren. In diesem Zeitraum hat das Bayerische Sozialministerium mehr als eine Million Euro investiert.
Jedes Jahr wird Bilanz gezogen: Im vergangenen Jahr hätten sie knapp 450 Vorfälle dokumentiert – 80 Prozent mehr als im Jahr davor, sagt Seidel-Arpaci. Die Gründe für den Anstieg seien vielfältig. Zum Beispiel der gerade wieder eskalierende Israel-Palästina-Konflikt oder die Corona-Maßnahmen: Zunehmend würden Juden verantwortlich gemacht für das Unheil dieser Welt.

Wenn man so einen judenfeindlichen Spruch in der U-Bahn an den Kopf geschmissen bekommt, dann ist das nicht notwendigerweise klar aus dem Inhalt der Beschimpfung, welchen ideologischen Hintergrund jemand hat.

Annette Seidel-Arpaci

Im Austausch mit den Behörden

Nicht alle Täterinnen und Täter werden erwischt, deshalb sucht Rias den Austausch mit den Behörden. So auch mit der Generalstaatsanwaltschaft München, zum Beispiel mit Oberstaatsanwalt Andreas Franck. Er ist seit Oktober 2021 der zentrale Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Justiz. Eine neu geschaffene Stelle, die ausschließlich judenfeindliche Straftaten in Bayern zur Anklage bringt.
In Staatsanwaltschaften von 14 Bundesländern gibt es inzwischen solche Anlaufstellen. Auch die Bundesanwaltschaft hat eine Ansprechpartnerin zum Thema Antisemitismus. In München bearbeitet Andreas Franck aktuell 30 Fälle. Bayernweit tauscht er sich mit anderen Staatsanwaltschaften aus. „Wir ermitteln vornehmlich im rechtsextremistischen Milieu. Wir ermitteln aber genauso im islamistischen Milieu, im linksextremen Milieu.“
Wenn es um Delikte im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen gehe, ermittelten sie auch im bürgerlichen Umfeld, erklärt er. „Also bei Menschen, die bis dato völlig unbescholten waren und keine staatsschutzmäßigen Erkenntnisse haben. Etwa jemand aus Grünwald, der auch diesen Holocaust-Vergleich gezogen hat zwischen Pandemiemaßnahmen und der Ermordung von sechs Millionen Juden.“

Lebendige Erinnerungskultur gestalten

Antisemitismus ist auch in der Mitte der Gesellschaft salonfähig geworden. Bei der Bekämpfung ist Kreativität gefragt. Die gibt es beispielsweise in Schwandorf in der Oberpfalz: Eine Handvoll Schülerinnen und Schüler des beruflichen Schulzentrums dort – darunter viele Geflüchtete – führte im Mai ein Theaterstück in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg auf. Anfang Juni geht es auf Tournee – nach Hamburg und Berlin.
Gespielt hätten sie verschiedene Szenen, die Antisemitismus oder Homophobie behandeln – in der Familie oder in der Schule, erklärt Asmen Ilhan, der pädagogische Leiter des Theaterprojekts ReMember. Zum Projekt gehören auch Rollenspiele, die sich zum Teil an Biografien der Teilnehmer orientieren.
Historische Schwarzweiss Aufnahme des KZ-Lagergelände Flossenbürg 1940.
Es gehe nicht darum, den Geflüchteten nun die deutsche Erinnerungskultur beizubringen, betont ein Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg – hier das Lagergelände 1940.© KZ-Gedenkstätte Flossenbürg
ReMember arbeitet eng mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg zusammen. Einige der Teilnehmenden beschäftigen sich zum ersten Mal in ihrem Leben intensiver mit Antisemitismus und dem Holocaust. Zum Beispiel die 18-jährige Mina. Wenn man mehr lerne, sei man einfach aufgeschlossener – und das sei cool für eine Gemeinschaft, sagt sie.

Ich wollte natürlich mitmachen, um neue Menschen kennenzulernen, wie zum Beispiel Juden, homosexuelle Leute. Und ich habe alle kennengelernt. Sie sind wie ich – nicht anders.

Mina

Mina ist seit zwei Jahren in Deutschland. Sie hat im Iran gelebt. Und auch in Afghanistan. So wie auch ein junger Mann, der seinen Namen weder im Radio hören noch im Internet lesen will. Früher habe er schlecht über Nichtmuslime gedacht, sagt er. Sie seien für ihn sogenannte Ungläubige gewesen, Kafir. „Kafir machen viele schlimme Sachen mit Muslimen.“ Inzwischen habe er seine Meinung komplett geändert, berichtet der Mann – auch dank des Projekts.
Zur Arbeit am Theaterstück gehört auch ein Besuch der KZ-Gedenkstätte in Flossenbürg. Es gehe aber nicht darum, die Jugendlichen zu belehren, sagt Dennis Forster, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte, der das Projekt begleitet und so intensiv an den Jugendlichen dran ist.
Es solle nicht als Integrationsprojekt begriffen werden, in dem „wir den Geflüchteten unsere deutsche Erinnerungskultur beibringen“, betont er. Sie wollten stattdessen gemeinsam mit Deutschen und Geflüchteten etwas Neues gestalten.

Wir wollen eine Erinnerungskultur gestalten, die lebendig ist – und die zu aktivem Engagement für Demokratie führt.

Dennis Forster

Die Schauspielerinnen und Schauspieler spüren, dass ihnen zugehört wird. So lassen sich Vorurteile leichter bekämpfen. Vielleicht könnte das Theaterstück ja auch einmal bei einer Nakba-Demo aufgeführt werden. Auch um mit den israelfeindlichen Demonstranten in Dialog zu kommen.

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