Selfie-Wahn statt Urlaubsglück
Für Viele ist das Smartphone ein Schnuller-Ersatz, sagt Wirtschaftspsychologin Sarah Diefenbach. Doch wer sich auf Facebook zu oft mit Anderen vergleicht, bekommt davon meist schlechte Laune. Ist das Leben ohne Internet vielleicht schöner?
Stephan Karkowsky: Ich mach gerade eine unfreiwillige Digitaldiät. Unser Internet ist nämlich ausgefallen, und der Monteur ist hoffentlich schon auf dem Weg. Ich find's, ehrlich gesagt, schrecklich so ganz ohne. Dabei verbringen natürlich die meisten von uns viel zu viel Zeit im Internet. Durchschnittlich übrigens sechs Stunden am Tag. Britische Gesundheitsexperten haben nun eine Kampagne gestartet, für einen Monat mal ganz ohne Facebook, Instagram, Twitter und Co., quasi eine Digitaldiät unter dem romantischen Motto "Werde wieder ein sozialer Schmetterling". Sprechen möchte ich darüber mit der Münchener Professorin für Wirtschaftspsychologie Sarah Diefenbach. Guten Morgen!
Sarah Diefenbach: Guten Morgen!
Karkowsky: Und Autorin eines Buches namens "Digitale Depression. Wie neue Medien unser Glücksempfinden verändern". Gibt es das wirklich, eine digitale Depression?
Selfies statt Entspannung
Diefenbach: So, wie wir den Begriff verwenden, meinen wir damit nicht die Depression im klinischen Sinne, sondern sehen das eher als einen Hinweis darauf, sich mal zu hinterfragen, ob denn die Auswirkungen der ganzen Technik so positiv sind, wie wir sie uns eigentlich erhoffen, oder ob nicht auch manchmal Seiteneffekte auftreten, die uns von dem, was wir eigentlich wollen, also das, was uns das wahre Glücksempfinden bringt, wegbringen.
Das kann so was sein, wie dass man im Urlaub nur noch mit Selfies beschäftigt ist und den eigentlichen Urlaubsmoment verpasst. Das kann auch sein, dass man in sozialen Medien eigentlich Kontakt zu anderen sucht, aber es gibt auch schon den Begriff der "Pseudo-Social Networks", der eben besagt, es gibt ganz viele Leute, die posten und Anerkennung wollen, aber eigentlich nur wenige, die das dann alles konsumieren, lesen wollen und einem auch die erhoffte Wertschätzung und Anerkennung dafür zurückgeben. Ja, solche Effekte gibt es eben viele, die wir in dem Buch auch beschreiben.
Kaum jemand will sich Selfies anschauen
Karkowsky: Ich würde ja grundsätzlich davon ausgehen, dass Leute, die viele Selfies von sich machen, vor allen Dingen im Urlaub, dass die das auch wirklich glücklich macht. Sonst würden sie es ja nicht tun.
Diefenbach: Das ist ein bisschen eine naive Annahme, zu sagen, wenn es einen nicht glücklich machen würde, würde man das nicht tun. Ich denke, das kennen wir aus vielen Bereichen des Lebens, dass es oft nicht so leicht ist für die Menschen, einzuschätzen, was einen langfristig glücklich macht, oder man auch sehr leicht in Routinen rutschen kann, wo es anfänglich schon eine positive Auswirkung gibt, es dann aber einfach so ein gesundes Maß überschreitet.
Ich habe auch gerade wieder beispielsweise von einer Freundin gehört, die eben mit einer Freundin auf Reisen war und wo dann der Selfie-Wahn der einen Freundin dazu geführt hat, dass man dann irgendwann getrennt weitergereist ist, weil es eben auch den Mitmenschen sehr auf die Nerven gehen kann und man einfach nur noch auf sich selbst fokussiert ist. Wir haben dazu auch eine Studie gemacht, dass gerade dieses Selfie-Phänomen – alles Leute machen es, aber sehen will sie eigentlich kaum jemand. Und man nimmt auch die Leute oft als sehr narzisstisch wahr, die sich auf Selfies darstellen. Da ist auch die Frage, ob man denn damit diese Wirkung auf andere erzielt, die man sich wünscht.
Der Vergleich mit anderen macht oft unglücklich
Karkowsky: Mich persönlich stören vor allen Dingen dann immer die Leute, die auf Konzerten ein Konzert lieber filmen, als sich das anzuschauen. Dann sieht man ganz oft nicht mehr die Bühne, sondern einfach nur noch Bildschirme, durch die man dann die Bühne sehen könnte. Gibt es denn eigentlich verlässliche Daten über die Auswirkungen gerade sozialer Medien auf unsere Gefühlswelt?
Diefenbach: Das ist natürlich schwierig, da jetzt pauschal zu sagen, wie wirkt das auf alle Menschen. Aber was es an Studien gibt, ist beispielsweise, dass sie Beschäftigung, solange man am eigenen Profil Dinge ändert, sich damit beschäftigt, da tut es dem Selbstwert gut. Wenn man dann allerdings die Seiten anderer besucht, sinkt der Selbstwert eher. Das hängt auch damit zusammen, dass man sich natürlich automatisch vergleicht. Und das, was andere darstellen, ist natürlich nur ein selektiver, sehr geschönter Ausschnitt. Man kommt dann aber eben so zu diesem Schluss, andere sind glücklicher, andere haben ein besseres Leben.
Oder, was ich auch sehr interessant finde, eine Studie, die zeigt, dass die Zeit, die man dort verbringt, immer mehr ist, als man eigentlich vorher geplant hat oder als man annimmt. Das heißt, man versinkt sehr oft in dieser Welt. Und diese Idee, ich könnte das als Stimmungsaufheller verwenden, so als kleine Pause und kleiner Push, und dann geht es mir wieder gut, auch das geht nicht auf. Die Stimmung ist im Durchschnitt – das gilt natürlich nicht für jeden einzelnen Menschen –, aber in dieser Studie schlechter nach dem Besuch von Facebook, war es in diesem Fall, als vorher.
Smartphone als Schnullerersatz
Karkowsky: Kann ein Smartphone nicht auch Trost spenden, wenn ich mich allein fühle?
Diefenbach: Ja, absolut. Sehr interessantes Thema, wo ich gerade mit Kim Bormann auch zusammen eine Studie gemacht habe, die eben untersucht hat speziell die Smartphone-Nutzung in Zeiten des Alleinseins. Und da hat sie was ganz Interessantes herausgefunden, dass nämlich tatsächlich für manche Personen das Smartphone so was wie ein Attachment-Objekt, ein Schnullerersatz ist, also das, was Kindern Trost spendet. Und wenn das Bezugsobjekt, die Mama, nicht da ist und Beruhigung spendet, so was ist dann oft das Smartphone für manche Menschen. Das ist eben tatsächlich so, dass dann die negativen Gefühle, Stress und so was, reduziert werden.
Interessant ist aber auf der anderen Seite, dass Aktivitäten wie Selbstreflexion, die man sonst, wenn man Momente der Ruhe, des Alleinseins hat, vollziehen könnte, dass die weniger effektiv sind. Man kommt also zu weniger Einsichten über sich selbst. Und auch das ist dann eben wieder ein schönes Beispiel, wo man so sehen kann, es ist vielleicht so eine kurzfristige Befriedigung. Langfristig könnte diese Nutzung des Smartphones aber dann das Wohlbefinden beeinträchtigen, weil Selbsteinsichten, Nachdenken über sich selbst eben langfristig schon ein wichtiger Faktor für psychologisches Wohlbefinden ist.
Karkowsky: Nun sagen diese britischen Gesundheitsexperten, werde wieder ein sozialer Schmetterling, mach mal vier Wochen gar nichts auf Facebook und so weiter. Was halten Sie von solchen digitalen Diäten?
Auf die richtige Dosis kommt es an
Diefenbach: Gut, ich denke, es ist wie bei jeder Kurzzeitdiät. Da kann man sich natürlich fragen, ob das dann insgesamt einen Effekt hat. Interessant finde ich es aber schon. Ich kann mir vorstellen, dass einfach so eine Aktion für viele Menschen mal ein Anlass ist, so ein bisschen wie die Fastenzeit oder so. Man probiert einfach mal was Neues aus und merkt, welchen Einfluss die sozialen Medien auf das eigene Leben bislang hatten, was für einen Stellenwert es vielleicht auch im eigenen Leben einnimmt.
Wir haben auch schon mal Studien in ähnliche Richtungen gemacht, zum Beispiel, dass Leute mal experimentiert haben, auf WhatsApp zu verzichten oder so. Und das ist ganz interessant, für manche gibt es dann den Effekt, dass sie sagen, es ist wie eine Befreiung, ich muss auf einmal nicht mehr so viele Kanäle abarbeiten und mich kümmern. Andere merken auch, wie abhängig sie sozusagen schon davon sind, von dieser Bestätigung. Und auch das Gefühl, was zu verpassen, wenn man nicht ständig online ist. Ich finde die Initiative an sich gut und denke aber natürlich nicht, dass jetzt irgendwie der Weg dann für alle sein wird, für immer auszusteigen, denn die sozialen Medien haben ja auch ihren Wert. Ich denke, da kommt es einfach auf die Dosis an.
Karkowsky: Und bei mir ist die Dosis gerade schon ein bisschen zu knapp bemessen, denn bei uns ist das Internet ausgefallen. Und ich kann Ihnen sagen, das ist wirklich nicht schön. Wir sprachen über Digitaldiäten mit der Münchener Professorin für Wirtschaftspsychologie Sara Diefenbach. Sie hat ein Buch geschrieben, das heißt "Digitale Depression. Wie neue Medien unser Glücksempfinden verändern". Frau Diefenbach, herzlichen Dank!
Diefenbach: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.