Fotoserie über den Selbstdarstellungskult auf Instagram

Auf der Suche nach der Person hinter dem Bild

Eine Frau fotografiert mit einem Handy ihre ausgestreckten Beine.
Fotografie aus Florian Müllers Essay "Hashtags Unplugged" über den Selbstdarstellungskult auf Instagram. © Florian Müller
Florian Müller im Gespräch mit Timo Grampes · 11.07.2018
Duck Face, Thigh Gap, Foodporn: Auf Instagram ist vieles möglich. Hauptsache es gibt ein Bild davon. Doch wer steckt hinter der perfekten Selbstinszenierung? Fotograf Florian Müller hat Instagrammer besucht und in einfühlsamen Porträts porträtiert.
Stark geschminkt, mit aufgespritzten Lippen und schwarzem Lidstrich posiert eine junge Frau im Lichte ihres Schminkspiegels. Sie hält ihr Handy in die Höhe und zupft eine Strähne zurecht, bevor sie auf den Auslöser drückt. Mit Schwarz-Weiß-Fotos wie diesen fängt Florian Müller die Welt der Instagrammer ein und wirft einen Blick hinter die Kulisse der digitalen Selbstinszenierung. Hunderte Instagrammer hat er kontaktiert und viele von ihnen in ihrem privaten Umfeld besucht. Entstanden sind einfühlsame Porträts, in denen Florian Müller versucht, nicht nur das "kuratierte Ich", sondern auch den privaten Menschen hinter dem Account einzufangen.
"Was ich an Instagram total spannend finde ist, dass die Leute mit ihrem Werteverständnis nach außen treten und ein kuratiertes Ich von sich entwerfen, das die Außenwelt sehen soll. Das heißt, die reduzieren sich auf bestimmte Aspekte ihres Seins. Und das sind ja zum Teil auch sehr kontroverse und zum Teil fragwürdige Weltsichten, die man da sehen kann. Wobei im Zuge meiner Arbeit dann irgendwann viel wichtiger wurde, wie diese Selbstdarstellung und dieser Drang zur Veräußerlichung auf die echten Menschen sozusagen zurückwirkt."

Blick hinter die Kulissen

Ob beim Sport, beim Essen oder beim Schminken – in der Kunst der Selbstinszenierung sind erfolgreiche Instagrammer wahre Meister. Wie schwer fiel es ihnen, die Kontrolle über ihr eigenes Bild abzugeben und sich von Florian Müller fotografieren zu lassen?
"Das war total unterschiedlich. Natürlich freuen sich Leute, die ohnehin einen großen Selbstdarstellungsdrang haben, eher über eine Aufmerksamkeit, aber durch ihr zum Teil sehr erfolgreiches Treiben auf Instagram wissen sie natürlich auch, in welchem Licht sie gut dastehen und wie sie gerne dastehen wollen würden. Dementsprechend gab es bei solchen Leuten auch eine kleine Zäsur, eine kleine Einschränkung, was ich hätte fotografieren können oder auch nicht."
Trotzdem gelingt es Florian Müller in seinen Bildern einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Er zeigt, wie stressig die Inszenierung des digitalen Ichs mitunter sein kann.
"Also wenn jemand 50 Selfies machen muss, um dann ein Bild zu finden, dass er dann für seinen Account als tauglich empfindet. Dann ist das auch ein Stress für die Leute. Es ist nicht immer so entspannt und schön, wie es dann am Ende aussieht."

"Da war noch viel, viel mehr dahinter"

In seiner Arbeit ging es Florian Müller nicht darum, die Instagram-Welt als Scheinwelt zu entlarven und ihr die "echte Welt" gegenüberzustellen.
"Es ist schon so, dass die Aspekte, die die Leute dort veräußern, ich auch in der echten Welt vorgefunden habe. Aber da war noch viel, viel mehr dahinter. Und dieses viel, viel mehr, hat mich tatsächlich interessiert."
Eine von Müllers Fotografien zeigt einen jungen Mann, der mit nacktem Oberkörper auf dem Asphalt liegt. Sein durchtrainierter Körper ist von unzähligen Tätowierungen bedeckt. Auf Instagram inszenierte er sich als starker Mann und machte Werbung für seine sexistischen Pornos. Doch hinter dem Image vom unnahbaren Macho steckte ein unsicherer Mensch.
"Dieser Mann ist jemand, der erhebliche Selbstzweifel hat. Und die hat er mit einem ziemlich starken Äußeren, das er um sich herum gesponnen hat, vor sich versteckt. Das Bild ist unterschrieben mit dem Hashtag 'Godkomplex', also eine populärpsychologische Beschreibung für jemanden, der seine unerschütterlichen Fähigkeiten, sein Äußeres oder was auch immer für gottgleich hält."

Die Person hinter dem Instagram-Account

Dass Florian Müller nicht so sehr an seinem Äußeren, sondern an seiner Person interessiert war, überraschte den Instagrammer.
"Als ich ihn kennengelernt habe, habe ich ihn gleich damit konfrontiert, dass ich ihm das nicht glaube. Und dass ich den Menschen dahinter fotografieren möchte. Was ihn beeindruckt hat, weil er natürlich erstmal nur aufgrund seines Äußeren eingeschätzt wurde. Und aufgrund meiner Ehrlichkeit habe ich auch einen ehrlichen Zugang zu dieser Person gefunden. Und konnte ihn so fotografieren, wie ich ihn wahrgenommen habe."
Ist die Instagram-Kultur eitel und oberflächlich? Diese kulturpessimistischen Kritik an Instagram teilt Florian Müller zunächst einmal nicht.
"Leute, die sich damit auseinandersetzen, neigen oft dazu, eine kulturpessimistische oder technophobe Sicht zu verbreiten. Ich finde, grundsätzlich ist es erst einmal total schön, dass die Menschen über Fotografien miteinander kommunizieren. Weil es einfach gut ist, wenn Menschen miteinander kommunizieren."

Langzeitfolgen unbekannt

Welche Auswirkungen der Selbstdarstellungskult auf unsere Gesellschaft hat, müsse man erst einmal abwarten sagt Florian Müller:
"Diese ganze Selbstdarstellung führt aber letztlich dazu, dass diese Ich-Bezogenheit in der Gesellschaft einen größeren Stellenwert hat. Das muss nicht zwingend gut sein, wobei wir reden über ein ganz, ganz junges Medium, wie die Folgen dieser Art der Kommunikation langfristig sein werden, lässt sich jetzt ja noch gar nicht abschätzen."
(mw)

Die Foto-Serie von Florian Müller ist noch bis zum 29. Juli in Schwerin zusehen: www.ausloeser.click

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